75 Ideen für ein besseres Mannheim – Teil 71 - In den Vororten gibt es nur wenige Denkmäler zu historischen Ereignissen / Rheinauer Drais-Skulptur wäre Vorbild

Mannheim, wie wär‘s … mit mehr Stadtteilgeschichte?

Von 
Konstantin Groß
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Das Drais-Denkmal vor dem Seniorenzentrum Rheinauer Tor – attraktiver Ortseingang für die Rheinau. © Thomas Tröster

Mannheim. Um es gleich zu sagen: Über die Frage, ob Denkmäler die richtige „Darreichungsform“ für geschichtliche Botschaften sind, lässt sich trefflich streiten. Nach ihrem Missbrauch in Kaiserreich und NS-Zeit werden denn auch nach 1945 kaum mehr neue errichtet. Doch in den zurückliegenden 30 Jahren kommen in Deutschland mehr hinzu als in den 40 Jahren zuvor, vor allem in Form von Gedenk- und Mahnmalen für die Opfer der NS-Zeit, so auch in Mannheim der Kubus auf den Planken. Wenn nun aber offenkundig Konsens darüber besteht, dass es Denkmäler geben darf, so sollten sie in Mannheim auch in den Vororten stehen – eine Idee für Mannheim.

Die Begründung dafür ist offensichtlich. Mannheim ist „die Stadt der Stadtteile“, um das legendäre Wort des früheren Oberbürgermeisters Hans Reschke zu zitieren; auch diese Zeitung beherzigt dies im Übrigen in ihrer Arbeit, indem sie die Stadtteile mit besonderer Berichterstattung bedenkt. Bislang jedoch gibt es in den Vororten kaum Denkmäler. Und wenn es sie gibt, dann gehen sie oftmals aus privater Initiative hervor, von der Gesamtstadt jedoch auch heute noch zu wenig beachtet. Das sollte sich ändern.

Rheinauer Drais-Skulptur als Vorbild

Ein Paradebeispiel für diesen Befund: das Drais-Denkmal auf der Rheinau. Drais? Ein wenig Geschichtsunterricht: Geboren 1785 als Freiherr Drais von Sauerbronn, studiert er in Heidelberg Mathematik, Physik und Baukunst. Von Technik begeistert, erweist er sich in vielen Bereichen des Lebens als innovativ, entwickelt etwa Frühformen einer Schreibmaschine mit Tasten und einer Stenomaschine auf Lochstreifen. So manchem gilt er daher als „badischer Leonardo da Vinci“.

Zu seinen Erfindungen gehört die Laufmaschine: wie unser heutiges Fahrrad, nur ohne Tretmechanismus, stattdessen Fortbewegung durch Abstoßen mit den Füßen. Am 12. Juni 1817 unternimmt Drais damit eine erste Ausfahrt – von seinem Haus in M 1, 8 nahe dem Mannheimer Schloss in Richtung Süden. In Höhe des heutigen Karlsplatzes, an einer Pferdewechselstation, dem Relaishaus (nicht zu verwechseln mit jener 2015 abgebrannten Gaststätte in der Relaisstraße, die diesen Namen lediglich zu Werbezwecken trägt) macht er Halt, wendet und fährt zurück in die Innenstadt.

Eine Wendung im epochalen Sinne: menschliche Fortbewegung erstmals ohne Zugtiere, wenn auch noch nicht mit mechanischer Hilfe. Doch bis dahin ist es nur ein kleiner Schritt, bald kommt der Tretmechanismus hinzu. Und für die Rheinau, als Siedlung überhaupt erst 1872 begründet, eines der wenigen historischen Ereignisse, die auf ihrem Boden stattfinden. Dessen zu gedenken, bietet daher die Möglichkeit, in dem jungen und aus fünf voneinander getrennten Ortsteilen zusammengesetzten Vorort historische und damit langfristig auch soziale Identität zu generieren.

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Auch politisches Vorbild

Und das Schöne: Im Unterschied zu anderen Mannheimer Erfindern wie den braun kontaminierten Johann Schütte oder Friedrich Bergius ist Drais auch politisch untadelig: Ein Demokrat, der auf seinen Adelstitel verzichtet und nach Niederschlagung der Badischen Revolution 1849 entmündigt und seiner Pension beraubt werden soll. So stirbt er denn auch im Jahre 1851 nahezu verarmt.

Paul Buchert erkennt, welches Potenzial in dieser Persönlichkeit steckt. Der studierte Historiker, Geschichtslehrer am Lessing-Gymnasium und CDU-Stadtrat entwickelt 2003 die Idee, für Drais ein Denkmal zu errichten; so gebührt Buchert ohne Zweifel das Verdienst, „Vater des Drais-Denkmals“ zu sein. Sein Freund Ulrich Bechthold, Inhaber einer Schreinerei mit künstlerischer Ader, gestaltet ein handliches Modell, mit dem Buchert, teilweise durchaus noch belächelt, über Feste und durch Vereinsversammlungen zieht, um für seine Idee zu werben.

Mit Erfolg: Bürger und Vereine spenden, Unternehmen stellen ihre Arbeit in den Dienst des Projekts: So ist das Drais-Denkmal nicht nur privat initiiert, sondern auch ohne öffentliche Mittel finanziert. Volumen immerhin: 60 000 Euro.

Als Standort wird die dreieckige Grünfläche direkt neben dem Karlsplatz gewählt – auch wenn mancher einen repräsentativeren in den Quadraten für angemessen hält. Doch der gewählte Standort hat mehr für sich – nicht nur, weil es sich um den authentischen handelt, sondern auch, weil er genau im Blickfeld des Stadtteils liegt: Hier kreuzen sich die Relaisstraße, Haupterschließungsachse der Rheinau, die Auffahrt zur B 36 sowie die Wachenburgstraße nach Seckenheim und in den Osten Mannheims insgesamt. Zudem befindet sich hier ein Knotenpunkt des öffentlichen Nahverkehrs im Süden mit Straßenbahn, Bus und Taxis.

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Charakteristische Gestaltung

Die Gestaltung wird von Architekt Michael Marzenell bewusst so minimalistisch-modern gehalten wie das Laufrad bei seinem Erscheinen 1817. Denn in der Tat ist für Denkmäler die Zeit martialischen Gesichtsausdrucks vorbei. Stattdessen viel Symbolik: Das Zweirad steht auf einem offenen Betonrahmen – eben weil diese Erfindung für die damalige Zeit aus dem Rahmen fällt. Und der quadratische Rahmen ist natürlich ein Bezug zum Quadrate-Grundriss der Mannheimer City.

Bald hat das Denkmal seinen Spitznamen weg: die Brille. Zumal einer der ehrenamtlichen Initiatoren, Michael Lösch, ein Optik-Geschäft in der Relaisstraße führt. Doch zeigt dieser Spitzname nur, dass sich diese Menschen mit dem Denkmal beschäftigen.

Mehrere Jahre lang feiert der Gemeinnützige Verein Rheinau, Dachorganisation des Stadtteils, jeweils an einem Samstag um den 12. Juni herum vor Ort ein Mobilitäts-Fest. In Reden wird das historische Ereignis gewürdigt, aber auch für das Fahrrad als nachhaltige Form der Fortbewegung geworben. Oft stoßen Delegationen von Radfahrern aus der gesamten Region hinzu, 2010 sogar eine Gruppe auf ihrer Sternfahrt nach Berlin. Gesangvereine singen, Bürger sind zu Sekt und Häppchen eingeladen. Historisches Ereignis und Ort der Erinnerung sollen die Rheinauer emotional ansprechen.

Ein Wechsel im Vorstand des Trägervereins führt zum Ende der Feste. Zumindest eines ist hoffnungsvoll: Wenn der Verkehrsknotenpunkt Karlsplatz bald umgebaut wird, soll laut Stadt das Denkmal wieder aufgestellt werden – auf dem umgestalteten Areal vor der Tankstelle.

Internationale Beachtung

Immerhin hat es Werbewirksamkeit bis über den Atlantik: Am 1. Juni 2017 berichtet die renommierte New York Times mit einem Bild vom Rheinauer Drais-Denkmal über die Stadt, die sich „der ersten Fahrradtour der Geschichte“ (the first bike tour in history) rühmen darf. Was könnte Mannheim aus der Drais-Story im Allgemeinen und dem Denkmal im Speziellen machen, wenn man sich ihm noch intensiver widmen würde!

Was aus dem Drais-Denkmal zu lernen ist? In den Vororten müssen sich Bürger im Allgemeinen und Ehrenamtliche im Speziellen wohl vor allem selbst um die Darstellung ihrer Geschichte kümmern. Aber dabei brauchen sie die Aufmerksamkeit, ja Unterstützung der Gesamtstadt, die davon ihrerseits ja nur profitieren kann. In diesem Jahr besteht zu derartigen Initiativen übrigens ausreichend Anlass: 125 Jahre Eingemeindung Käfertal und 150 Jahre Gründung der Rheinau-Siedlung.

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