Für Christiane Haas war es ein Schlüsselerlebnis. Im Naturschutzgebiet auf der Reißinsel nahm sie das alte, verfallene Pegelhäuschen näher unter die Lupe. „Da flatterte auf einmal eine kleine Eule weg“, berichtet sie im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“. Wo sich eine Eule wohlfühlt, dachte sich Christiane Haas, könnten auch andere Vogel- oder Tierarten einen Unterschlupf finden. Sie recherchierte im Internet – und stieß auf Artenschutztürme.
„Die Türme können aus stillgelegten oder ungenutzten Gebäuden, zum Beispiel Trafostationen, und an geeigneten Standorten entstehen“, erklärt die Mannheimerin: Die „Hochhäuser“ für Tiere könnten „bis zu 50 Gebäude-bewohnenden Arten (Vögel, Fledermäuse, Wildbiene, etc.) geeignete Nist-, Brut- und Versteckplätze bieten“, so Haas.
Beispiele dafür gibt es zuhauf. Besonders rührig ist etwa der Naturschutzbund (Nabu) Gera-Greiz in Thüringen. Auf seiner Internetseite stellt er gleich drei Projekte in Bad Köstritz, Wüstenhain und Zschippach vor. Der Artenschutzturm in Bad Köstritz etwa ist eine ehemalige, seit Jahren ausgediente Transformatorenstation auf dem Grundstück eines Chemiewerks. Er hat eine Grundfläche von 4,85 auf 4,85 Metern und ist 10,50 Meter hoch.
Im Jahr 2018 nahm der Nabu den Umbau in Angriff, die erforderlichen 29 000 Euro bekam er über Fördergelder und Spenden. Vor allem aber packten die Mitglieder kräftig mit an und investierten 400 Arbeitsstunden. Seit gut zwei Jahren ist das „Hochhaus“ mit 40 doppelten Mehlschwalbennestern, sechs Rauchschwalbennestern, 16 Singvogelkästen, sechs Starenkästen, 26 Einfluglöchern für Mauersegler, 30 Fledermauskästen und vielem mehr ausgestattet. Als Gäste willkommen sind auch Dohlen, Turmfalken, Steinkäuze und Schleiereulen. Zudem bieten zwei Baumscheiben verschiedenen Insekten einen Unterschlupf. „Im Keller und oder Erdgeschoss finden oft auch Amphibien und Reptilien einen neuen Lebensraum und Überwinterungsort“, so der Naturschutzbund.
Warum sind „Häuser“ für Tierarten überhaupt notwendig? Auch darauf gibt der Nabu Gera-Greiz eine Antwort: „Hausumbauten, Dachsanierungen und Wärmedämm-Maßnahmen zur Energieeinsparung vernichten jedes Jahr Zigtausende Nistplätze, Brutstätten und Tagesverstecke von Gebäude bewohnenden Tierarten. So entziehen wir diesen unbewusst oder bewusst ihre Lebensgrundlagen und verletzen damit zugleich ihr Existenzrecht“, schreibt die Umweltschutzorganisation auf ihrer Webseite.
„Durch die Schaffung von Artenschutztürmen wird diesen – inzwischen oft schon bedrohten – Tierarten ein neuer Lebensraum zu Verfügung gestellt. So bieten Artenschutztürme vielen Tierarten einen Ort für die Aufzucht des Nachwuchses oder einfach nur Schlafplatz bei Tag oder Nacht“, heißt es weiter.
Kuriere suchen Unterschlupfe
Wie gefährdet manche Arten sind, macht Christiane Haas am Beispiel der Mauersegler deutlich. Sie nutzen Spalten und Ritzen, meist in Dachecken, um einen Nistplatz zu finden. All diese Brutplätze werden immer weniger. Deshalb hat sich die Mannheimerin im vergangenen Jahr den Mauersegler-Kurieren angeschlossen – einer Gruppe engagierter Umweltschützer, „die sich aufopferungsvoll um die Vögel kümmern“. Die Kuriere suchen für Tiere, die keinen Unterschlupf finden, nach Nistmöglichkeiten. Die wären auch zusätzlich vorhanden, wenn es in Mannheim Artenschutztürme gäbe, meint Christiane Haas. Neben dem Pegelhäuschen auf der Reißinsel, davon ist sie überzeugt, „gibt es bestimmt auch andere Plätze, die in Frage kommen“. Das vermutet Paul Hennze vom Vorstand des Mannheimer Nabu ebenfalls. Ihm fallen einige möglicherweise geeignete Objekte ein. Aber zu klären seien natürlich zunächst die Besitzverhältnisse. Es sei „relativ arbeitsaufwendig, solche Gebäude zu finden und sie dann auch in die Finger zu bekommen“.
Nabu zeigt sich interessiert
Prinzipiell hält er Artenschutztürme für „eine sehr gute Sache. Das ist praktikabel“, bekräftigt der Naturschützer – „gerade für Tierarten, die Probleme haben“. Er kennt das aus eigener Anschauung. In dem Dorf, in dem sein Sohn lebt, in Wiesoppenheim bei Worms, sei ein altes Trafohaus mit Nistkästen ausgestattet worden.
Sollten sich in Mannheim Objekte finden, die für den Umbau in ein Tier-„Hochhaus“ infrage kommen, werde sich der Nabu „auf jeden Fall“ einbringen: „Wir haben Personen, die sich so etwas anschauen.“ Und die die entsprechende Expertise mitbringen. Unter anderem hat der Mannheimer Nabu Arbeitsgruppen für Fledermäuse, Greifvögel und Eulen, Schwalben und Mauersegler.
Ehemalige Trafo- oder Pegelhäus chen, alte Fährhäuser oder ...
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