Gesellschaft

Warum zu viel Achtsamkeit narzisstisch machen kann

Was ist dran an dem Hype um Achtsamkeit und Co.? Wem hilft sie, was kann sie? Und warum kann zu viel sogar schaden?

Von 
Lea Seethaler
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Stessbewältigung durch Sitzmeditationen, Konzentrations- und Bewegungsübungen. © Christin Klose

Mannheim. Das Wort Achtsamkeit klingt für viele sicher erst einmal nach Esoterik. Das Konzept geht aber ursprünglich auf die buddhistische Philosophie zurück. Dort praktiziert man es zum Erlangen unbedingten Wohlbefindens. Achtsamkeitsübungen werden seit einiger Zeit zudem in der Psychotherapie eingesetzt - auch in Mannheim.

Die wohl bekannteste Achtsamkeitsübung – „Die Rosine“

 

  • Als eine der bekanntesten Achtsamkeitsübungen gilt „Die Rosine“. Auf den ersten Blick mag es komisch wirken, aber dabei wird eine einzelne Rosine ganz langsam – und eben achtsam – verzehrt.
  • Sie wird von der Person, die sie isst, von Beginn an als etwas ganz Neues betrachtet. Ihr Äußeres wird erspürt, ihre Struktur im Mund erfühlt. Erst dann wird sie gekaut und gegessen.
  • Achtsamkeitstrainer Mathias Gugel vom Verband der Achtsamkeitslehrenden sagt indes: „Vor allem drei Aspekte sind bei Achtsamkeitstraining wichtig: Sich auf die Gegenwart fokussieren. Absichtsvoll sein. Nicht werten.“
  • Eine achtsame Haltung kommt nicht von selbst, sondern will trainiert werden. Gugel zufolge gibt es hier zwei Wege: Sie machen Achtsamkeitsübungen wie Atem- oder Gehmeditation. Oder Sie bauen achtsame Momente ganz unkompliziert in den eigenen Alltag ein, so dass diese zur Gewohnheit werden.
  • Eine Anleitung zur Gehmediation gibt es bei der Krankenkasse AOK online: https://shorturl.at/jtBQS.
  • Die Übung Body-Scan bei der Techniker Krankenkasse auch als angeleitete Audiodatei unter https://shorturl.at/hCEVZ.
  • Viele weitere Übungen mit detaillierter Anleitung, auch als PDF, gibt es unter https://shorturl.at/nMPY3. see

Aber wann machen Achtsamkeitsübungen Sinn? Und was sind sie überhaupt? Kurz gesagt bedeutet Achtsamkeit, sich auf den Moment zu konzentrieren - also Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle bewusst wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten.

Wer das einmal versucht, merkt: Gar nicht so einfach. Oft schweift der Gedanke sofort ab.

Hype im schnelllebigen Digitalzeitalter

Denn viele Menschen funktionieren wie im Autopilot-Modus. Sie sind mit ihren Gedanken entweder in der Zukunft oder in der Vergangenheit. Das ist sicher ein Grund, warum die Achtsamkeit im schnelllebigen Digitalzeitalter einen Hype erlebt.

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Neben Konzentrationsübungen, etwa zum Atmen, vermittelt Achtsamkeitstraining zudem Techniken, um eigene Gedanken und Gefühle zu beobachten und sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen.

Und auch, wenn der Körper mal nicht so will, kann Achtsamkeit seelische Folgen abmildern. Forscher am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) etwa erkannten in der Pandemie, dass Achtsamkeit Post-Covid-Patienten helfen kann.

Dort lernten Menschen, die nach der Genesung weiter Atembeschwerden hatten, Atemübungen. Oft litten sie nach kurzem Treppensteigen nicht nur an Luftnot, sondern wurden dadurch seelisch massiv unter Stress gesetzt.

Hier setzten, wie das ZI berichtet, die Achtsamkeitstrainings erfolgreich an, damit nicht ein Kreislauf aus Angst oder gar Panik entsteht.

Durch Meditationsübungen können Menschen lernen, im Moment zu sein, automatisierte Handlungsmuster zu erkennen - und sie letztlich zu durchbrechen.

Studien: Achtsamkeitstherapie ist erfolgreich

Das kann sich lohnen: Die Datenlage zum Erfolg der Achtsamkeitstherapie ist recht gut. Studien zeigen, dass sich mit der Meditationspraxis der Achtsamkeit eine Reihe stressbedingter, aber auch anderer Erkrankungen begegnen lässt. Sie ist ein Hebel von vielen, den man nutzen kann.

Gerade wer Stress hat, zum Grübeln neigt oder sich viele Sorgen macht, kann oft dank ihr den Fokus auf Positives legen.

Der Kampf gegen Handlungsmuster ist auch der Grund, warum sich viele Psychotherapeuten bei ihren Patienten die Achtsamkeit zunutze machen.

Wichtig dabei: Achtsamkeitsübungen sind nie Allheilmittel, und müssen immer kritisch und mit wissenschaftlicher Grundlage eingesetzt werden. Man kann sie nur bei bestimmten Störungsbildern miteinbeziehen und bei Suizidalität gar nicht anwenden.

Und es gibt auch ganz andere Stimmen zum Thema: Wie die des Psychologen und Narzissmus-Forschers Jochen Gebauer, der an der Uni Mannheim lehrt. Er fand mit seinem Team in einer Studie heraus: Wer etwa selbstzentriert Yoga macht, neigt stärker dazu, sich selbst zu überschätzen.

Im Fragebogen stimmte die Yoga-Gruppe Sätzen wie „Ich werde einst für meine guten Taten berühmt sein“ eher zu. Wer diese Aussage befürwortete, neige eher zu gemeinschaftsbezogenem („dem kommunalen“) Narzissmus.

Typisch für diese Narzissmusform sind Arroganz, Anspruchsgehabe und überhöhtes Selbstvertrauen.

Aber: Selbstüberschätzung muss nicht immer negativ sein, betont Gebauer immer wieder, nachdem er mit seiner Publikation viral ging. Menschen, die sich selbst überschätzen, ginge es psychisch besser, so der Forscher.

Die Nachfrage nach Achtsamkeitstraining ist jedenfalls da. Das zeigt nicht nur der Diskurs (besonders im Netz). Wie der Verband der Achtsamkeitslehrenden mitteilt, war Achtsamkeitstraining zuletzt stark gefragt. Besonders in Bildungseinrichtungen, bei Pädagogen und Kindern, gerade nach dem Corona-Stress.

Wie einen Muskel trainieren

Einen Versuch ist Achtsamkeitstraining sicher wert. Es braucht keine teure Ausrüstung wie beim mancher Sportart, aber es gibt Parallelen zur Athletik: Ohne regelmäßiges Üben geht es nicht.

In Studien haben Sportpsychologen des Karlsruher Instituts für Technologie gezeigt, dass sich die Fähigkeiten, Konzentration aufrechtzuerhalten und Emotionen zu regulieren, genauso wie ein Muskel trainieren lassen.

Achtsamkeitstraining kann auch helfen, beim Sport Spitzenleistungen zu erzielen. Wer regelmäßig trainiert, steigert seine mentale Stärke, hieß es. Und wer emotional stabil ist, bewerte Situationen eher optimistisch, statt sich auf Schwieriges zu konzentrieren. Das helfe im Leben generell, aber auch beim Training.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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