Nationaltheater

Stadtensemble liefert "Brennstoff" und erinnert an Ausschreitungen auf der Schönau

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Die Bürgerbühne im historischen Konfrontationseinsatz (v.l.n.r): Berrin Seker, Mary Stickel, Anatoli Rabinstein, Claudia Pflaum-Richter, Lena Hauke, Jan Henri Müller, Maja Biedert, Obada Al Syah (mit dem Rücken zur Kamera), Zita Hoefer, Chiara Laux, Henri Möhren im Werkhaus des Nationaltheaters. © Maximilian Borchardt

Mannheim. „Lieber Hochschaukeln, lieber Unter den Teppich kehren, lieber Gras drüber wachsen lassen, lieber totschweigen.“ Antigone Akgün setzt einen Punkt und kein Fragezeichen hinter die Frage nach dem Umgang mit den Schönauer Ereignissen des Jahres 1992. Den traurigen Geschichten, die sich dort in der damals zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Gendarmerie-Kaserne auf der Lilienthalstraße ereigneten, widmet diese Zeitung in mehrere Beiträgen Raum. Das Nationaltheater und die Wochenzeitung „Die Zeit“ tun es ebenso wie der Mannheimer Gemeinderat und verschiedene Bürgerverbände in Stadt und Land. Es herrscht also Rede- und Erinnerungsbedarf, der sich in diesem massiven Falle unschwer als Umgangsempfehlungsbedarf manifestiert.

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„War da was?“ fragen die einen. Mannheim müsse in Sachen rassistischer Gewaltakte fürderhin in einem Atemzug mit Hoyerswerda, Lichtenhagen, Halle oder Hanau genannt werden, meinen die anderen, etwa Regisseurin Beata Anna Schmutz. Die dritte Option, die auch ihr Stadtensemble unbedingt vermieden wissen möchte, ist leider die gängigste: Gras darüber wachsen lassen. Das ist es auch schon längst, „schließlich ist ja nix passiert“ legitimiert man sich, weshalb die 13 von Schmutz angeleiteten Spielerinnen und Spieler, viel mit Gras hantieren. Auf Barbara Lennartz klug-greller Bühne ruht ein Berg aus selektiven Bruch- und Fundstücken. Zeitzeugenprotokolle, Artikelauszüge aus dem Mannheimer Morgen, Zitate von Polizisten, dem damaligen OB Gerhard Widder, Menschen aus der Unterkunft, Zaungäste, Anwohner...

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In die Ritzen und auf die Flächen dieser wohlmeinende Mischung aus Recherche-Projekt, Dokumentation und teils etwas eigenwilliger Weltverbesserungsprosa stopft und klebt das Ensemble echte Grashalme. Über diesen „Erinnerungshaufen“, der bestiegen, erklettert und hernach auch mit großer Geste auseinandergerissen wird, will Antigone Akgün sprechen, vor allem und zu Recht über „die Risse und Gräben der Ungleichheit“.

Verkehrtes Nord-Süd-Gefälle

Dass sie auch Mannheims Norden und Süd-Osten trennen könnten, bleibt ebenso so unerwähnt, wie die Tatsache, dass auch Migranten der ersten und zweiten Generation bedrohlich am Zaun rüttelten. Auch sie glaubten unseligen Gerüchten, auch sie fürchteten auf der Schönau (und nebenbei nicht „in der Schönau“) um das mühsam erkämpfte Stückchen Wohlstand, darum durch „neue Fremde“ noch mehr abgehängt werden. Das kann und darf nur schreiben, wer als Zeitzeuge selbst dabei war. Darüber nachzudenken, wie die Sache weitergegangen wäre, wäre das Asylbewerberheim doch in der Oststadt eingerichtet worden, verbietet sich noch heute aus vielen Gründen unter der Grasnarbe. Auch für einzelne Journalisten und Lokalpolitiker kann sie ja ein Segen sein.

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Selbst künstlerische Recherche, das beweisen diese engagierten 80 Theaterminuten, schützt nicht vollumfänglich vor Tritten in die Klitterungsfalle. Etwas mehr Differenzierung wäre bei einem solchen heißen Eisen angebracht gewesen. Die Schuld liegt in der Ablehnung alles sichtbar Fremden, dort wo in diesem Lande die Würde laut Akgün dann doch antastbar ist. Den „Subalternen“, wie er im Text heißt, gemeint ist also der „einkommensschwache“, „bildungsferne“, aggressive Schönauer „in den unaufgeklärten 80ern“ verbal zu prügeln ist da in Theaterkreisen gefälliger.

Blick auf einen Parkplatz

Warum übrigens ein Schönauer Lidl-Parkplatz zwischen zwei millionenschwer idealsanierten Schulen, Waldrand, Eigentumswohnungen und Zweifamilienhäusern trostloser sein soll als einer im Niederfeld oder Neuostheim, bleibt ein Theatersetzungsrätsel. Vermutlich weil es so schön ins Bild passt. Apropos: Das von Karolina Serafin kunstvoll zum Video zusammengeschnitten TV-Material ist da schon aussagekräftiger, wenn man sich ein eigenes Bild machen will. Um dessen Unvollständigkeit weiß auch „Brennstoff“, vielleicht nicht unbedingt selbstkritisch, aber zumindest selbstironisch heißt es am Ende: „So ein Gedächtnistheater. Ein Gottesdienst der Bestürzung, (...) Theater, Tempeln aus Mitleid und Furcht, Wo Geschichten nur Projektionen Unserer Ängste sind.“ Leider hatten diese Projektionen 1992 auf der Schönau reale Folgen, denen man sich nun stellt. Dass darüber kein Gras mehr wächst und Erinnerungskultur Einzug hält, ist ein Verdienst dieser Produktion.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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