Mannheim. 142 Festnahmen, offiziell sieben verletzte Personen, darunter zwei Polizisten und zahlreiche zu Bruch gegangene Schaufensterscheiben - so liest sich die Bilanz einer von Gerhard Widder verboten Demonstration am Pfingstsamstag 1992. Der Oberbürgermeister hatte nach den ersten Unruhen auf der Schönau jegliche Demos in der Stadt untersagt, bestätigt wurde er durch Verwaltungsgericht Karlsruhe.
Dennoch reisen Autonome in die Quadratestadt, weil sie für ein Asylbewerberheim und gegen angebliche rassistische Mannheimer auf die Straße gehen wollen. Da sich der nicht genehmigte Aufzug trotz Aufforderung nicht auflöst, schreitet die Polizei ein. Es kommt zu Ausschreitungen in der Innenstadt. Doch in der Folge flachen die Auseinandersetzungen, die mehrere Tage zuvor begonnen haben, ab.
Alles beginnt am 28. Mai, Christi Himmelfahrt, Vatertag. Die Siedlergemeinschaft Schönau hat zu ihrem Waldfest eingeladen. Im Laufe des Abends bricht eine Schlägerei aus. Erst die Polizei kann die Streithähne trennen, die Organisatoren beenden daraufhin das Fest. Und noch etwas trübt die ursprünglich gute Stimmung. Das Gerücht macht die Runde, dass ein Bewohner der Gendarmeriekaserne in der nahen Lilienthalstraße eine 16-jährige Schönauerin vergewaltigt haben soll. Auf dem Areal leben Asylbewerber.
OB Widder will beruhigen
Genau dorthin macht sich jetzt die Menge auf. Insbesondere angetrunkene Jugendliche ziehen vom Festgelände zur Kaserne. Was sie nicht wissen oder nicht wissen wollen: Die Vergewaltigung gab es, Täter ist aber der Freund der Jugendlichen - ein 26-jähriger US-Amerikaner. Am Asylbewerberheim angekommen, ist die Stimmung hitzig, nicht zitierfähige Parolen werden gerufen. Der „MM“ schreibt dazu in seiner Ausgabe vom 30. Mai : „Dort gesellten sich Anwohner zu ihnen, am Ende standen an die 400 Menschen vor dem Heim, unter ihnen zahlreiche Schaulustige, zum Teil sogar Mütter mit Kindern.“
Die Mannheimer Polizei ist auf einen Einsatz in dieser Größe nicht vorbereitet und muss Verstärkung anfordern. Letztendlich gelingt es den Beamten, die Kaserne und damit auch die Asylbewerber zu schützen. Mittendrin: Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) und CDU-Stadträtin Regina Trösch, die die Leute beruhigen wollen und zum Heimgehen auffordern.
Auch an den Tagen danach versammeln sich immer wieder Menschenmengen vor der Kaserne, die aber von einer Hundertschaft Polizisten geschützt wird. Krawallmacher werden vorübergehend in Gewahrsam genommen, zusätzliche Gitter aufgestellt, die Lillienthalstraße ist abgesperrt.
Längst ist die Gendarmierkaserne auch außerhalb Mannheims ein Thema. Am Donnerstag, 4. Juni, titelt der „Mannheimer Morgen“: „Reisende Gewalttäter erreichten Schönau“. Zunächst veranstaltet die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ eine friedliche Mahnwache und rollt dann ein Transparent mit der Aufschrift „Weg mit dem rassistischen Bürgermob“ aus.
Einheimische kommen hinzu, die beiden Gruppen beschimpfen sich. Unter den Angereisten sollen Linksextreme aus Frankfurt und Hamburg sein, die Polizei geht dazwischen, und es kommt zur Straßenschlacht. Die Lage beruhigt sich erst weit nach Mitternacht.
Einen Tag später kontrolliert die Polizei Autos mit auswärtigen Kennzeichen. Mit Erfolg: Schlagringe, Stöcke, Feuerwerkskörper werden beschlagnahmt. Am Pfingstsamstag dann reisen Hunderte Auswärtige in die Stadt, um an der verbotenen Demo teilzunehmen.
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