Es ist Gras über die Sache gewachsen. Denn auch, wenn verschiedene Bürgerinitiativen, politische Organisationen und couragierte Mannheimer in den kommenden Tagen 30 Jahre nach den Ausschreitungen in Mannheim-Schönau an die rechtsextremen Angriffe auf eine Flüchtlingsunterkunft erinnern werden: Im gesellschaftlichen Diskurs ist die fremdenfeindliche Gewalt von damals schon lange nicht mehr.
Das wollen Beata Anna Schmutz und das Mannheimer Stadtensemble am Nationaltheater nun ändern. Folgerichtig haben sie ihre neue Inszenierung „Brennstoff“ getauft – und den wollen sie auch liefern. Da mag der große grüne Hügel noch so sehr an die Vergessenheit zurückliegender Tage gemahnen: Diese Performance will den Finger in die Wunde legen – und eine Stadt zum Nachdenken bringen. Der Tag der Premiere am 26. Mai ist daher auch kein Zufall. Denn es war genau jener Tag vor 30 Jahren, an dem sich das Gerücht verbreitete, ein Asylant aus der ehemaligen Militärkaserne habe eine 16-Jährige missbraucht. Die Saat des Hasses war ausgesät, die Gewalt sollte nur zwei weitere Tage auf sich warten lassen.
Hybrid aus Zitaten und Fragen
Die Premiere des Stadtensembles und ihre Hintergründe
„Brennstoff“ befasst sich mit fremdenfeindlichen Ausschreitungen vor einer Flüchtlingsunterkunft in Mannheim-Schönau vor 30 Jahren.
Mit dem Ansatz, historische Zitate mit zeitgenössischem Diskurs zu vereinen, verbinden die Macher die Absicht, eine Debatte über die Ereignisse anzustoßen.
„Brennstoff“ feiert am 26. Mai um 20 Uhr Premiere im Studio Werkhaus des Nationaltheaters, weitere Termine: Freitag, 27. Mai (18.30 und 20 Uhr), Samstag, 28. Mai (18.30 und 20 Uhr).
Tickets für die Aufführungen gibt es unter www.nationaltheater-mannheim.de sowie telefonisch unter 0621/1680150. mer
Die Entscheidung, diese Ereignisse in Theater zu fassen, fiel keineswegs zufällig, aber auch nicht leichtfertig. Einerseits nimmt sie den Umgang mit Rassismus einer ganzen Stadt in den Blick, die etwa bis ins 20. Jahrhundert bei der Garten- und Landausstellung rund um den Wasserturm auch stolz eine Völkerschau aus Gefangenen als Attraktion präsentierte – andererseits will das Format im Studio Werkhaus des Nationaltheaters auch die Kontinuität rechtsnationaler Ausschreitungen und Anschläge verdeutlichen.
„Rassismus wird häufig als ostdeutsches Problem gesehen. Vor den Augen taucht plötzlich der organisierte Hooligan auf, der den Hitlergruß zeigt“, wie Sophie Kara feststellt – und entschlossen ergänzt: „Das ist ein Klischee, mit dem wir endlich aufräumen müssen.“ In ihrer Funktion als Diversitätsbeauftragte des Theaters habe sie die Möglichkeit gehabt, mit Ibrahim Arslan zu sprechen, der die Brandanschläge von Mölln 1992 überlebte. Sie sei sich mit Arslan einig gewesen, dass rechte Gewalt noch heute viel zu oft relativiert und schließlich vergessen werde. Dafür spreche auch, dass die Stadt – auch durch den Mangel an offiziellem Gedenken – einiges dafür unternommen habe, dass die Ausschreitungen in der Erzählung der Kommune nicht vorkommen.
„Genau deshalb haben wir uns gefragt: Ist es vermessen, das zu Kunst zu machen? Reißen wir nicht zu viele alte Wunden auf? Ist es richtig, die Bilder der Gewalt zu reproduzieren?“ Die Frau, die sich und ihren Schauspielern diese Frage gestellt hat, ist Beata Anna Schmutz. Die Regisseurin entschied: „Ja, die Bühne, muss dafür zur Verfügung stehen“; sie ging dann jedoch so behutsam wie nur möglich vor. In monatelanger Kleinarbeit analysierte sie die Diplomarbeit des Dramaturgen Tristan Ludwig, befragte Zeitzeugen, studierte Medienberichte und interviewte Betroffene. Die Textfassung, die das Ensemble gemeinsam mit der Autorin Antigone Akgün erstellt hat, ist demnach ein Hybrid aus echten Zitaten, historischen Fakten und der Frage, was uns diese Erkenntnisse für den heutigen Umgang mit Geflüchteten lehren.
Nur eines wird „Brennstoff“ nicht liefern: eindeutige Antworten auf Fragen, die nur in ihrer Komplexität und Tiefe vollends zu ergründen sind. „Das wird ein Anstoß sein, der auch Schmerz auslösen kann, aber manchmal muss man diesen Weg einfach gehen“, sagt Beata Anna Schmutz. Und: „Wir werden Spuren hinterlassen. Weil wir sollten und vielleicht auch, weil wir müssen, wenn wir uns nicht darauf verlassen wollen, dass andere die Gelegenheit versäumen.“
Dass es in Mannheim bei den Unruhen keine Toten gegeben habe, habe ohne Zweifel zu deren Vergessen geführt, konstatiert Schmutz „bitter“; sie sieht deswegen aber keinen Anlass für Entspannung oder Gelassenheit in einer „unaufgeregten Stadt“, wie sie Mannheim sieht. Denn auch, wenn der Künstlerin klar ist, dass sie die „Ausländer raus“-Kultur mit ihrem Stück nicht auflösen wird: Dass Mannheim nach Mölln, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen als ein weiterer Ort rechter Gewalt im Gedächtnis bleibt, ist ihr ein zentrales Anliegen. Eines, das für diese Stadt vielleicht längst überfällig ist.
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