Es ist fast wie in den Anfangszeiten. Leider. Damals, Ende 1946, als der Zweite Weltkrieg kaum vorbei war, gab es für besonders Notleidende sogenannte Winterspeisungen. 2022 haben öffentliche Tafeln wieder ungeahnten Zulauf. Grund dafür ist nicht nur Putins Ukraine-Krieg mit seinen Folgen, die sogar bei uns in jedem zweiten Wohnzimmer zu spüren sind, manchmal schon an der Raumtemperatur. Auch die Corona-Zeit hatte für viele Deutsche keinen wohlstandsfördernden Effekt, um es behutsam auszudrücken. In eine soziale Schieflage zu kommen, kann inzwischen überraschend großen Teilen der Bevölkerung passieren. Gut also und notwendig wie lange nicht, dass es „Wir wollen helfen“ gibt, die vom „Mannheimer Morgen“ bereits 1946 etablierte Benefizaktion - die dort ansetzen will, „wo Hilfe wirklich nötig ist“.
Lange Tradition
Das Geld dafür wird auch durch Benefizkonzerte eingesammelt. Die Veranstaltung im Rittersaal des Schlosses etwa hat schon eine lange Tradition. Wie immer, treten dabei auch in diesem Jahr Dozenten und Dozentinnen der Mannheimer Musikhochschule auf. „Wir wollen helfen - und wir müssen auch“, sagt Violin-Professor Stefan Arzberger. Es gelte mehr denn je, Verbundenheit zu demonstrieren.
Im Konzert ist es natürlich vorrangig eine Verbundenheit der Töne, Arzberger führt in das erste Stück des überwiegend spätromantischen Programms ein: in die zweite Violinsonate von Johannes Brahms. Entstanden in der Sommerfrische 1886, als der Komponist am Thuner See im Berner Oberland logierte - und vom harten Winter nichts zu spüren war. Brahms zogen zarte „Melodien leise durch den Sinn“, zitiert der Geiger. Und so spielt Arzberger die Sonate auch. Er ist ein Musiker, der Traditionszusammenhänge kennt und lebt, stammt aus dem Vogtland, war Student in Leipzig, spielte dort auch später am Gewandhaus. Doch er sorgt dafür, dass diese Tradition kein Fett ansetzt, sein Ton ist eher schlank: Brahms ohne Bart und Bierbauch.
Analytisches Gehör
Arzberger kann nichts erschüttern. Als in einer Satzpause ein Klingelton den Rittersaal durchschneidet, kommt sein analytisches Gehör sofort zu dem Ergebnis: „E-Dur!“ Unerschütterlich (in ihrer Zuverlässigkeit) ist in der Brahms-Sonate Rudolf Meisters Ausgestaltung des Klavierparts fraglos auch. Der Rektor der Musikhochschule spielt an diesem Sonntagvormittag in jedem einzelnen der Stücke mit.
Ist er bei Brahms noch eher als Begleiter denn als nachdrücklich bestimmender Gestalter unterwegs, so wächst sein Interpretationsanteil in César Francks Sonate merklich. Das berühmte A-Dur-Stück ist „eigentlich“ für Violine und Klavier geschrieben, doch es gebe zahllose Bearbeitungen, sagt Cellist Francis Gouton. Es fehle allenfalls noch eine für die Mundharmonika, scherzt der Professor. Aber „seine“, also die für Cello angefertigte Bearbeitung, sei jene, die vom Komponisten offiziell gestattet worden sei. Gouton, einst Schüler solcher Großmeister wie Pierre Fournier und János Starker, spielt sehr nobel, schwermütig, trägt warme, dunkle Farben auf. Schwingt sich in kadenzierten Abschnitten aber hoch auf. Und lässt im Schlusssatz in gelöster Atmosphäre Hochzeitsglocken läuten: Die Sonate war zur Eheschließung des berühmten Geigers Eugène Ysaye geschrieben worden.
200. Geburtstag
Das Konzert im Rittersaal würdigt zwei Komponisten, die in diesem Jahr ihren 200. Geburtstag hätten feiern können. Neben dem weithin bekannten César Franck ist das Joachim Raff. Den kennt fast niemand mehr. Zu recht oder zu unrecht?, fragt sich Geiger Stefan Arzberger. Auf eine Antwort scheint er sich nicht festlegen zu wollen. Er gibt einen Abriss seiner Vita: Raff, ein Mann aus einfachen Verhältnissen, wurde ein Zögling von Franz Liszt. Als Komponist galt er als Vielschreiber. Mehr als 6000 Spielminuten würde eine Aufführung des Raff’schen Oeuvres dauern, hat der Geiger recherchiert. Und das im Rittersaal gespielte Stück ist mit der hohen Opuszahl 207b versehen.
Es ist ein Klavierquintett, das neben Stefan Arzberger, Francis Gouton und Rudolf Meister auch Hideko Kobayashi (Bratschen-Professorin) sowie Sunyoung Park (Geigen-Studentin) aufführen. Vor allem das Klavier von Rudolf Meister darf dabei diverse Pirouetten drehen. Das „Wir wollen helfen“-Benefizkonzert endet mithin sehr üppig.
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