Mannheim. Herr Oberbürgermeister, es wird gerade intensiv über einen Zaun debattiert, der auf Spinelli gebaut werden muss, um Haubenlerchen zu schützen. Ist der unumgänglich?
Christian Specht: Bereits im öffentlich-rechtlichen Vertrag von 2019 wird von Zäunen gesprochen. Insofern müssen wir davon ausgehen, dass es unumgänglich ist.
Was ist das für ein Vertrag?
Specht: Den Vertrag haben die Stadt Mannheim, das Regierungspräsidium Karlsruhe für das Land und die BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Anm. d. Red.) als Eigentümerin des Geländes geschlossen, um die artenschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen beim Abriss der Lagerhallen und der Entsiegelung der betonierten Bodenflächen auf dem ehemaligen Kasernengelände zu regeln. Die von der Landesnaturschutzbehörde vorgegebenen Ausgleichsmaßnahmen umfassen einen landespflegerischen Begleitplan. In der Anlage zum öffentlich-rechtlichen Vertrag steht, dass es eine Umzäunung geben soll. Die Konkretisierung der Umzäunung ergibt sich erst aus dem Begleitplan, der von der Buga-Gesellschaft aber nicht fristgemäß erstellt worden war.
Die Mannheimer Buga-Gesellschaft hätte diesen Begleitplan erstellen müssen?
Specht: Der Plan hätte bis 31. Dezember 2020 zur Abstimmung vorgelegt werden sollen. Durch die vielen widrigen Umstände - Corona, Ukraine, die verspätete Rückgabe des Geländes - hat sich das aber bis in den Sommer 2021 verzögert.
Die ursprüngliche Frage war ja, ob der Zaun unumgänglich ist oder ob Sie Möglichkeiten sehen, ohne den Zaun auszukommen.
Specht: Ob der Zaun unumgänglich ist, ist eine naturschutzfachliche Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich kann nur sehen, zu was wir uns verpflichtet haben. Und wir haben uns zu einem Zaun verpflichtet.
Wann haben Sie selbst davon erfahren?
Specht: Wenige Tage vor der Ausschusssitzung, Anfang November. Nach einem Antrag der SPD-Fraktion wollte ich wissen, was wir auf dem Gelände erhalten können. Dabei bin ich davon ausgegangen, dass wir zumindest die Bereiche erhalten können, die wir umgestaltet haben. Deswegen habe ich mir eine Karte anfertigen lassen, in der alle Maßnahmen eingezeichnet sind, zu denen wir uns verpflichtet haben. Darauf zu sehen war dann eine riesige Schutzzone für Haubenlerchen und Mauereidechsen, die wir nach Vorgaben des Regierungspräsidiums einzäunen müssen.
Also ein Zaun nicht nur für die Haubenlerche, sondern auch für die Mauereidechse?
Specht: Wo die Mauereidechsen sind, können auch Bodenbrüter wie die Haubenlerche vorkommen. Und die brauchen eine Einzäunung, damit sie nicht gestört werden. Fraglich ist, ob Mauereidechsen dieselbe Einzäunung wie Haubenlerchen benötigen. Und wenn sich in der Haubenlerchen-Schutzzone tatsächlich ein Brutpaar ansiedeln sollte, müssen wir das Nest noch einmal separat katzensicher umzäunen. Ich lerne da auch jeden Tag dazu.
Und wer hat den Vertrag unterzeichnet?
Specht: Solche Verträge werden vom Oberbürgermeister unterschrieben.
Dann hätte die Nachricht zuletzt im Konversionsausschuss doch niemanden überraschen dürfen, oder?
Specht: Das ist schwer zu beantworten. Die Frage, die bei Ihnen implizit mitschwingt und die Sie zu Recht stellen, ist, warum das Thema nicht in den Gremien behandelt wurde. Und daran hängt ja auch die Frage, warum man sich überhaupt auf solche Verpflichtungen eingelassen hat. War das nur der Druck, rechtzeitig zur geplanten Eröffnung fertig zu werden und die großen Zeitverzüge aufzuholen? Eine der beteiligten Stellen hätte jedenfalls etwas bemerken und auf die Konsequenzen hinweisen können. Wir verpflichten uns ja nicht nur dazu, eine Schutzzone auszuweisen und einen Zaun aufzustellen, sondern auch zu einem langjährigen Monitoring, ob Haubenlerchen und andere Arten in den Schutzzonen vorkommen. Das hat Folgekosten.
Schmälert die Debatte um den Zaun das bislang überwältigend positive Echo auf die Bundesgartenschau?
Specht: Entscheidend wird sein, dass wir die berechtigten Ziele des Arten- und Naturschutzes mit dem ebenso berechtigten Wunsch der Bevölkerung vereinbaren, dieses attraktive Gelände nutzen zu können. Da bin ich zuversichtlich, dass es unseren Fachleuten in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium gelingt, dass die Menschen den neu geschaffenen Grünzug erleben können.
Verzögert die Haubenlerche den Zeitplan?
Specht: Ich hoffe nicht - aber das werden wir sehen.
Wann wird das Gelände geöffnet?
Specht: Der ursprüngliche Plan war: so schnell wie möglich, zum Ende des Jahres. Vielleicht können wir manche Teile, zum Beispiel den Radschnellweg und die Parkschale wie geplant freigeben - andere, sobald wir wissen, wie die Auflagen in der Umsetzung konkret aussehen.
Man kann es also noch gar nicht genau absehen?
Specht: Ich müsste spekulieren …
Ein weiteres Thema, dass Ihre ersten Monate als Oberbürgermeister bestimmt hat, ist die Migration. Anfang des Jahres hatte die Verwaltung die Situation zur Unterbringung von Geflüchteten als angespannt bezeichnet. In den vergangenen Monaten haben dann immer mehr Kommunen Alarm geschlagen. Wenn in Mannheim die Situation Anfang des Jahres schon angespannt war - wie ist sie dann jetzt?
Specht: Ich habe eine Task-Force gegründet, die die beteiligten Fachbereiche zusammenführt, um ein gemeinsames Bild zu bekommen und abgestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Die Task-Force arbeitet anhand meiner Zielvorgaben daran, möglichst schnell zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Das geschieht durch Anmieten, Kaufen oder Bauen. Wir müssen einen stärkeren Blick auf Bestandsobjekte legen, die zum Teil schon in der Vergangenheit angeboten worden sind, aber nicht in Betracht gezogen wurden. Wir müssen prüfen, was auf dem Markt ist und wie wir mit überschaubaren Maßnahmen und Mitteln Unterbringungen herrichten können, die den Anforderungen entsprechen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass dafür wieder Sporthallen belegt werden müssen?
Specht: Die Unterbringung von Geflüchteten in Hallen kann den Integrationserfolg verhindern oder verzögern und führt auch zu unnötigen sozialen Spannungen in der Gruppe. Und man darf nicht vergessen, dass die Hallen dann für Schulen und Vereine blockiert sind. Daher werden wir die Belegung von Sporthallen, soweit es geht, vermeiden. Ich muss aber betonen, dass das vor allem davon abhängt, wie viele Menschen zu uns kommen. Wenn wir höhere Zuweisungen vom Land bekommen, kann ich Notunterkünfte in Hallen auch in Zukunft leider nicht komplett ausschließen.
Welche anderen Formen von Unterbringungen kommen denn überhaupt infrage?
Specht: Ich habe in den letzten Wochen mit Anbietern gesprochen, die Notunterkünfte schnell errichten können. Ich rede nicht von Zelten, sondern von Modulbauten, die besser als Zelte sind. Wir haben dafür eine Fläche identifiziert, die wir dem zuständigen Ausschuss vorstellen werden, sobald die baurechtlichen Fragen geklärt sind.
Wo ist diese Fläche?
Specht: Da wir über einen laufenden Prozess mit offenen Fragen sprechen, bitte ich um Verständnis, dass ich das noch nicht sagen kann. Die Frage der Unterbringung von Geflüchteten wird uns aber noch länger beschäftigen. Die Task-Force wird deshalb prüfen, ob wir Unterkünfte, die wir schon haben, notfalls länger nutzen können.
Sie spielen auch auf die Unterkünfte auf Columbus an, die vertraglich befristet sind. Wie optimistisch sind Sie, dass die Kasernen nutzbar bleiben?
Specht: Da bin ich einigermaßen optimistisch. Wir müssen mit dem Land aber auch über die Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA, Anm. d. Red.) sprechen. Es darf uns nicht zum Nachteil ausgelegt werden, dass die Einrichtung in der Pyramidenstraße nicht fertig wird - und uns deshalb mehr Menschen zugewiesen werden. Nach intensiven Gesprächen mit dem Land haben wir einen Teil des LEA-Privilegs wieder angerechnet bekommen und wir erfüllen unsere Aufnahmeverpflichtungen - ich will aber wieder das komplette LEA-Privileg bekommen. Deswegen brauchen wir als Alternative zur Pyramidenstraße einen zweiten Standort. Um es nochmal deutlich zu sagen: Wir tun im Interesse der Bürgerschaft und der Geflüchteten alles, um eine Hallenbelegung zu vermeiden. Ob wir das schaffen, haben wir aber größtenteils nicht in der eigenen Hand.
Im Zweifel hat man zur Schaffung von Unterkünften kaum Zeit. Wie schnell würden Modulbauweisen denn helfen? Sprechen wir da von Tagen, Wochen oder Monaten?
Specht: Das hängt davon ab, wie schnell wir das notwendige Baurecht bekommen und wie schnell gebaut wird. Das Bauen ist wahrscheinlich nicht das Problem. Wir rechnen mit einem bis eineinhalb Jahren, bis die Bauten stehen.
Das hört sich aber nach keiner kurzfristigen Lösung an.
Specht: Deswegen müssen wir kurzfristig zusätzliche Bestandsobjekte anmieten, das haben wir gerade aktuell schon einmal umgesetzt. Mittelfristig brauchen wir vorübergehende Unterbringungsmöglichkeiten, wie Modulbauten, und langfristig müssen wir wieder voll anerkannter LEA-Standort werden, damit uns weniger Menschen zugewiesen werden. Das ist die Linie, die wir verfolgen.
Ist ein ähnliches Szenario wie in Ludwigshafen mit der Walzmühle auch in Mannheim denkbar? Über die Maimarkthalle soll ja in der Vergangenheit schon mal diskutiert worden sein.
Specht: Das ist auf gar keinen Fall unser Plan. Ich kann aber auch nichts ausschließen. Wenn die Zuweisungen so hoch werden, dass wir gar keine anderen Möglichkeiten mehr haben - bevor wir Menschen in Industriegebieten in Zelten unterbringen, müssen wir alles andere in Betracht ziehen, was besser ist.
Wie stark sind die Kapazitäten ausgelastet? Gibt es im Moment noch freie Plätze?
Specht: Wenn die Zahlen weiter so steigen, wird es schwierig. Man kann die Entwicklung aber auch schlecht prognostizieren. Es kommen immer neue Menschen zu uns und andere verlassen uns wieder. Das ist ein atmendes System.
Jetzt haben wir schon über einige akute Themen gesprochen. Hätten Sie gedacht, dass sich in Ihren ersten 111 Tagen so viele Baustellen auftun?
Specht: Es gab erwartete Baustellen und es gab unerwartete Baustellen. Wir müssen die Themen annehmen, wie sie aufkommen. Ein großes war sicherlich der Überfall der Hamas, die terroristische Attacke auf Israel. Besonders wichtig war für uns, schnell mit den muslimischen Vereinen und der Jüdischen Gemeinde an einen Tisch zu kommen und gemeinsam über Gewaltverzicht zu sprechen. In der vergangenen Woche haben wir alle zusammen ein Friedensgebet abgehalten. Wir haben auch darüber gesprochen, wie wir verstärkt über soziale Medien aufklären und einen Beitrag gegen aufkeimenden Antisemitismus leisten können. Und gleichzeitig haben wir alle daran erinnert, dass sie die Mannheimer Erklärung für Vielfalt und Toleranz unterschrieben haben. Das ist die Basis für ein friedliches Zusammenleben in unserer Stadt. Wenn wir uns davon entfernen, können alle nur verlieren. Es waren ermutigende Gespräche.
Pro-palästinensische Demonstrationen wurden verboten.
Specht: Bei manchen Gesprächen war die Polizei mit dabei. Auch, um die Botschaft zu setzen: Wir schützen rechtmäßige Demonstrationen, unabhängig davon, wer demonstriert. Aber wir setzen auch Versammlungsauflagen durch - notfalls auch Versammlungsverbote. Die haben wir zweimal ausgesprochen, und die haben auch vor Gericht gehalten. Unsere Bescheide sind von anderen Städten deswegen kopiert worden. Das zeigt, mit welcher Sorgfalt wir an das Thema herangegangen sind. Das hat viel Kraft gekostet.
Bleiben andere Themen dadurch liegen, die Sie im Wahlkampf angekündigt haben? Stichwort: Offensive zur Gewinnung von Kita-Personal.
Specht: Man kann in den ersten 100 Tagen nicht eine Politik komplett verändern, aber man kann Anreize setzen, Impulse geben und Tempo aufnehmen. Wir haben es geschafft, die Standortkonzeption für die ganze Stadt fertigzustellen: Wo werden Kitas gebaut? Wie viele Plätze brauchen wir? Und das für alle Stadtteile, sogar mit Ersatzstandorten. So können wir planen, welche Gebäude wir kaufen oder mieten wollen. Und wenn ein Gebäude auf den Markt kommt, können wir anhand der Standortkonzeption sehr schnell entscheiden, ob es für uns geeignet sein könnte oder nicht. Und es gibt auch Planungssicherheit für freie Träger. Bis 2040 haben wir laut der aktuellen Bevölkerungsprognose einen maximalen Bedarf von rund 4900 Betreuungsplätzen für unter dreijährige und 11 500 für über dreijährige Kinder.
Apropos freie Träger …
Specht: Das ist das zweite Thema. Wir werden die investive Förderung für freie Träger für Neubau und Sanierung an die aktuelle Kostenentwicklung anpassen. Nach Aussage der freien Träger reichte die bisherige Förderung für eine Sanierung nicht aus. Deswegen haben manche freien Träger alte, sanierungsbedürftige Standorte geschlossen und die Kitaplatz-Knappheit so noch vergrößert.
Wie hoch ist die neue Förderung?
Specht: Das wird im Ausschuss besprochen. Natürlich gibt es immer jemanden, der noch mehr fordert. Aber solche Summen muss eine Stadt auch erst einmal finanzieren können. Durch Umschichtungen haben wir es geschafft, den freien Trägern das Angebot machen zu können.
Wenn die Gebäude da sind, fehlt aber immer noch das Personal …
Specht: … und das ist das schwierigere Thema in diesem Zusammenhang. Wir haben Sofortmaßnahmen für mehr Personal getroffen, aber die werden nicht reichen, weil der Fachkräftemangel in ganz Deutschland so groß ist. Nicht nur bei den Erzieherinnen und Erziehern - da wussten wir es ja schon lange. Wir haben ihn auch in der Verwaltung, wir haben ihn beim ÖPNV, wir haben ihn bei Müllwerkern. IT-Kräfte suchen wir schon seit zehn Jahren - darüber reden wir gar nicht mehr. Aber zurück zur wichtigen Kinderbetreuung: Wir sind dabei, Erzieherinnen und Erzieher von fachfremden Aufgaben zu entlasten.
Was heißt das?
Specht: Alles, was Verwaltungsaufgaben sind: Sachstandsberichte und Dokumentationspflichten beispielsweise. Durch Entlastung von diesen Aufgaben sollen Erzieherinnen und Erzieher mehr Zeit für die Kinder haben. Außerdem werden pädagogische Fachkräfte bei der Vergabe von Betreuungsplätzen systematisch bevorzugt.
Das hat der Ausschuss bereits beschlossen.
Specht: Genau. Das habe ich auf den Weg gebracht. Außerdem haben wir durch die Qualifizierung von Quereinsteigenden die Ausbildungsquote um 20 Prozent gesteigert. Aber die lässt sich nicht unendlich in die Höhe schrauben, weil die vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich dann nicht nur um die Kinder, sondern auch um die Auszubildenden kümmern müssen. Sie müssen sie ja nicht nur anleiten und ihnen etwas beibringen, sondern auch Beurteilungen schreiben und anderes. Außerdem haben wir eine außertarifliche Bezahlung von Kinderpflegerinnen und Quereinsteigenden auf den Weg gebracht und eine außertarifliche monatliche Zulage für pädagogische Fachkräfte mit Sonderfunktionen. Damit wollen wir zusätzliche Anreize schaffen. Trotzdem haben wir erst vor Kurzem über mögliche Maßnahmen gesprochen, wenn das Personalproblem noch schlimmer wird - und es wird noch schlimmer werden.
Und?
Specht: Es könnte sein, dass wir - ähnlich wie beim Notfahrplan im ÖPNV - einige Angebote einstellen müssen. Dann würde es zuerst die Betreuungsangebote treffen, zu denen die Stadt rechtlich nicht verpflichtet ist, insbesondere also den Hort-Bereich. Die Erzieherinnen und Erzieher aus den Horten würden dann die Lücken in den Kitas schließen, um den Betrieb dort einigermaßen am Laufen zu halten. Um auch in dieser Situation die Schulkindbetreuung aufrechterhalten zu können, wollen wir gezielt Vereine ansprechen. Aber da gibt es sehr umfangreiche und detaillierte Vorgaben vom Kommunalverband für Jugend und Soziales, die Vereine erfüllen müssen, um Teil der Kinderbetreuung werden zu können. Da müssen wir auf unsere Regelungsgeber einwirken, wenn wir nicht flächendeckend Einrichtungen schließen wollen.
Eine persönliche Frage: Trauen Sie sich nach 20 Uhr eigentlich allein in die Quadrate?
Specht: Ja, natürlich. Ich bin in Mannheim abends sehr viel unterwegs und fühle mich auch dann sicher.
Wie steht es denn um die Sicherheit in Mannheim ganz allgemein?
Specht: Ich will die tatsächliche und die wahrgenommene Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger weiter steigern. Dazu sprechen wir aktuell mit dem Land über eine Zusammenarbeit beim Thema Sicherheit, außerdem planen wir eine Waffenverbotszone in Teilen der Innenstadt und einen Sicherheitscontainer am Plankenkopf in der Nähe des Wasserturms.
Was ist damit gemeint?
Specht: Wir hatten 2016 schon einmal einen Container am Paradeplatz als Anlaufstelle, in dem dauerhaft Ordnungsdienst und Polizei vor Ort waren. Wir werden außerdem die Zahl der Streifen erhöhen und die Projektphase des Videoschutzes verlängern. Die Sicherheit in der Innenstadt ist also gegeben und wird auch gegeben bleiben.
Wenn Mannheim so sicher ist: Wieso wollen Sie dann derart schnell - nämlich unbedingt noch vor der Adventszeit - die Waffenverbotszone einführen?
Specht: Ich fühle mich in den Quadraten sicher, weil wir ein umfassendes Sicherheitskonzept haben. Das schließt aber trotzdem nicht aus, dass wir auf sich abzeichnende Entwicklungen schnell reagieren sollten. Delikte mit Messern nehmen bundesweit zu. In Mannheim haben wir allein seit Mai vier versuchte Tötungen mit Messern - bis Mai war es nur ein Fall. Und wir sprechen lediglich von versuchten Tötungen und nicht von Raub oder anderen Delikten. Die Fälle finden überwiegend am Wochenende und nachts statt. Darauf müssen wir reagieren. Deshalb finde ich es absolut richtig, dass wir nicht abwarten, bis noch mehr Straftaten passieren. Trotzdem dürfen wir nicht sagen, die Innenstadt sei nicht sicher. Sie ist sicher. Wir müssen aber auf die aktuelle Entwicklung eine passende, zeitnahe Antwort geben.
So, wie Sie argumentieren, bedeutet das aber, dass Sie gar keinen Spielraum mehr haben, um sich noch gegen die Einführung einer Waffenverbotszone zu entscheiden.
Specht: Genau. Das Innenministerium hat seine Einschätzung in der Frage der Zuständigkeit korrigiert und mitgeteilt, dass in Baden-Württemberg der Oberbürgermeister und nicht der Gemeinderat für die Einführung zuständig ist. Ich habe mich entschieden, den Sicherheitsausschuss trotzdem zu beteiligen, indem das Thema in der nächsten Sitzung Ende November auf die Tagesordnung kommt. Das ist mir wichtig. Wir werden die Waffenverbotszone aber einführen - dafür spreche ich mich ganz klar aus.
Die Entscheidung liegt ja letztlich auch allein bei Ihnen.
Specht: Es ist mir dennoch wichtig, für eine möglichst breite Akzeptanz zu werben.
Und wenn der Sicherheitsausschuss in der Mehrheit gegen die Waffenverbotszone ist?
Specht: Dann werde ich die Entscheidung treffen. Und meine Haltung ist klar. Um sie zu ändern, müssten schon sehr schlagende Argumente kommen, die wir bisher noch nicht berücksichtigt haben. Die Einführung der Waffenverbotszone erfolgt ganz wesentlich auf Bitten der Polizei, die ein Instrument bekommen will, um die Entwicklung frühzeitig in den Griff zu bekommen.
Erst hat das Innenministerium erklärt, der Gemeinderat muss über die Einführung der Zone entscheiden. Kurz vor der Sitzung hieß es dann, doch nicht, der Oberbürgermeister hat die Entscheidungsgewalt. Die Korrektur ist erst erfolgt, nachdem sich die Mannheimer Verwaltung selbst rückversichert hatte. Darf dem Ministerium ein solcher Fehler passieren?
Specht: Wir sprechen über eine sehr komplizierte Ausnahme von der Regel. Beim ersten Lesen bekommt man tatsächlich den Eindruck, dass der Gemeinderat zuständig sei. So etwas kann durchaus mal passieren.
Positive Nachrichten gab es dagegen zuletzt in Sachen Klinikum. 39,7 Millionen Euro hatte Landesgesundheitsminister Manne Lucha für die Aufstockung der Apotheke und die Planung der Neuen Mitte im Gepäck.
Specht: Auf diesen Bescheid haben wir lange hingearbeitet. Ich habe ihm gesagt: „Herr Minister, Sie können nicht zwei Stunden lang in Mannheim einen Vortrag halten, ohne uns endlich zu sagen, wie es weitergeht. Bringen Sie doch bitte den Bescheid gleich mit.“ Das hat er getan. Es ist ein wichtiges Zeichen an alle Mitarbeiter der UMM, dass es mit der Neuen Mitte weitergeht. Auch, weil das Klinikum erhebliche Verluste in Millionenhöhe pro Jahr macht. Jede Verzögerung führt dazu, dass wir noch länger hohe Verluste haben werden. Die Neue Mitte soll schließlich dazu beitragen, die Betriebsverluste durch mehr Effizienz zu reduzieren. Also ist der Bescheid ein sehr wichtiges und gutes Zeichen: Es geht los!
Sie sprechen oft über die Themen Vereine, Ehrenamt und Bürgernähe. Wie weit sehen Sie sich da?
Specht: Meine Amtseinführung habe ich auf einem öffentlichen Platz stattfinden lassen. Das ist ein Zeichen dafür, dass ich und meine Verwaltung nahe bei den Menschen sein wollen. Schon im Wahlkampf war mein Credo, die Stadt vom Bürger her zu denken und Anregungen ernst zu nehmen. Wir haben zum Beispiel im Haushaltsentwurf 200 000 Euro für einen Fonds für Vereinsarbeit bereitgestellt. Außerdem wollen wir eine Vereinskoordination einrichten, die Vereine bei ihren Anliegen und Vorhaben berät und die Kontakte zur Verwaltung koordiniert.
Gibt es die Stelle schon?
Specht: Nein, die gibt es noch nicht. Die Mittel dafür sind im Haushalt eingeplant, der aber noch verabschiedet werden muss. Aber zurück zu Ihrer Frage nach den wichtigen Themen: Neben dem Thema soziales Engagement ist ein ganz zentraler Punkt für mich der Klimaschutz. Wir haben das Mission Label der Europäischen Union bekommen, sind aus 112 Bewerbungen aus ganz Europa als einzige deutsche Stadt ausgewählt worden. Das ist uns eine große Verpflichtung, auch wenn wir klarmachen müssen, dass wir für Klimaneutralität wohl länger brauchen werden.
Das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, kann also nicht erreicht werden?
Specht: Ja, schon mein Vorgänger Peter Kurz hat am Ende seiner Amtszeit eingeräumt, dass das ohne die Unterstützung von Bund und Land nicht funktioniert. Die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die für den Klimaschutz vorgesehenen Milliardenhilfen wahrscheinlich nicht eingesetzt werden dürfen, verschärft diese Entwicklung. Auf kommunaler Ebene werden wir alles dafür tun, dass zum Beispiel durch die Wärmeplanung unsere Bürgerinnen und Bürger frühzeitig Planungssicherheit haben. Allein 40 Prozent unseres CO2-Ausstoßes kommen aus der Wärmeversorgung. Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Reduktion dieser 40 Prozent wichtig, aber auch ambitioniert.
40 Prozent sind es nur, wenn alle mitmachen.
Specht: Ja, und das bedeutet nicht nur Investitionen in die Fernwärme, sondern auch in die Stromnetze. Immer mehr Wärmepumpen und E-Autos und zusätzlich die Elektrifizierung von Prozessen in Unternehmen erfordern einen großflächigen Ausbau der Stromnetze. Die MVV investiert in den nächsten Jahren eine Milliardensumme, um die Wärmewende in Mannheim überhaupt möglich zu machen. Da erkennt man erstmal die Dimension der Investitionsnotwendigkeit. Deswegen brauchen wir deutlich mehr als zehn Millionen Euro von Bund und Land pro Jahr. Deswegen war die Diskussion über die Gewinne der MVV nicht angebracht …
… die die SPD aufgeworfen hatte .
Specht: Die Gewinne stammen überwiegend aus der Vermarktung von erneuerbaren Energien und aus der Veräußerung von Beteiligungen. Und - sie sind einmalige Effekte. Mit den Gewinnen der MVV werden unter anderem die notwendigen Investitionen in die Wärmewende finanziert. Das könnten wir mit städtischen Mitteln nicht tun. Die MVV ist in der Lage, das selbst zu finanzieren, ohne dass die Stadt Mannheim Kapital zuschießen muss. Das könnte sie in der aktuellen Situation gar nicht.
Wir müssen auch über die Innenstadt sprechen. Immer mehr Geschäfte machen dicht und gefühlt führt der Weg derzeit in die falsche Richtung.
Specht: Das hat mich im Sommer auch extrem umgetrieben, als in kurzer Folge das Eiscafé Fontanella und andere ihre Schließung bekanntgegeben haben. Deswegen habe ich einen Beauftragten für die Innenstadtentwicklung geschaffen, der alle Partner der Stadtverwaltung zusammenbringt. Wir haben ein Innenstadtnetzwerk mit den Immobilieneigentümern gegründet. Demnächst holen wir bei einer City-Factory, wie wir das neue Beteiligungsformat genannt haben, alle an einen Tisch, um zu besprechen, wie Aufenthaltsqualität, Verkehrsberuhigung, Erreichbarkeit und Stärkung des Handels zusammen gedacht werden. Das ist einer der wichtigsten Schritte in meinen ersten 111 Tagen, wenn Sie mich fragen.
Und die City-Factory hat die Arbeit bereits aufgenommen?
Specht: Ja, sie knüpft an das Thema FutuRaum an. Ziel ist, dass alle eine gemeinsame Zielvorstellung für die Innenstadt entwickeln: Wie begleiten wir den Strukturwandel, wie sieht die Zukunft der City aus?
Sauberer vielleicht?
Specht: Auch da haben wir einiges getan. Neben dem, was ich in meiner Haushaltsrede zur Wiedereinführung der ehrenamtlichen Reinigungswoche oder der neuen Sauberkeitspartnerschaft gesagt habe, haben wir zum Beispiel die Reinigungsfrequenz in den K-Quadraten auf täglich erhöht. Wir haben dem Stadtraumservice mehr Geld bereitgestellt und wir werden Mülldetektive einführen, wenn der Gemeinderat dem zustimmt.
Abschlussfrage, weil ja bald Weihnachten ist. Wenn Sie einen Wunsch für 2024 frei hätten, welcher wäre es: Ein Klinikverbund mit Heidelberg nach exakt Mannheimer Vorstellungen oder der Klassenerhalt für den SV Waldhof in der 3. Fußball-Liga?
Specht: Das ist brutal schwierig. Als vernünftiges Stadtoberhaupt wähle ich den Klinikverbund, damit wir langfristig aus dieser schwierigen finanziellen Lage herauskommen und die Krankenversorgung auf hohem Niveau gesichert bleibt. Emotional betrachtet darf natürlich der SV Waldhof nicht absteigen - und er wird es auch nicht.
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