Ludwigshafen. Es war ein Paukenschlag, den die Ludwigshafener Stadtspitze am Anfang dieser Woche öffentlich gemacht hat: Das leerstehende Einkaufszentrum Walzmühle in der Stadtmitte soll vorübergehend in eine Notunterkunft für Geflüchtete umgewandelt werden.
Bis zu 400 Menschen sollen dort ab Mitte Dezember unterkommen, erklärten Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos) und Sozialdezernentin Beate Steeg (SPD) am Montag. Im Umfeld des Centers, unmittelbar an S-Bahnhof Mitte und Berliner Platz gelegen, rumort es seitdem. Unter kritische Stimmen mischt sich aber auch Verständnis. Wir haben Reaktionen von Betroffenen eingeholt.
Das sagt der Ortsvorsteher
Christoph Heller (CDU), Ortsvorsteher der Südlichen Innenstadt, verbringt aktuell viel Zeit am Telefon. Viele Menschen rufen ihn an und fragen, wie es zu dieser Lösung kommen konnte. „Einige Anwohner und Gewerbetreibende sind besorgt“, berichtet er.
Und auch Heller selbst, der sich bei der Abstimmung in nichtöffentlicher Sitzung des Stadtrates am Montag enthalten hat, ist skeptisch. „Wenn die Walzmühle mit Familien und kleinen Kindern belegt wird, dann haben wir das Problem fehlender Kita- und Grundschulplätze im Stadtteil“, betont er. Es würden schon genug Eltern für ihre Kinder auf Plätze warten. Und sollten überwiegend junge Männer in den Räumen des ehemaligen Real-Marktes unterkommen, so fürchtet Heller eine Verschärfung der ohnehin schon teils „kritischen Lage“ rund um Berliner Platz und südliche Ludwigstraße. Gemeint sind damit Alkohol- und Drogenkonsum sowie deren Begleiterscheinungen.
Heller will nun ein Treffen mit der Oberbürgermeisterin und mit dem Center-Eigentümer, der Pro Concept AG, anregen. „Mir ist es vor allem wichtig, dass es bei der angekündigten Befristung bleibt“, betont der Ortsvorsteher. Bis September 2024 läuft der Mietvertrag.
Das sagt Pro Concept
Projektleiter Awes Khan betont auf Anfrage dieser Redaktion, dass die Nutzung als Notunterkunft auf die Modernisierungspläne so gut wie keine Auswirkungen habe. „Das passt eigentlich genau, deshalb haben wir auch zugesagt“, berichtet er. Einige Arbeitsschritte, die sonst aufeinanderfolgend durchgeführt worden wären, sollen nun parallel erfolgen, um den Zeithorizont dennoch einhalten zu können.
Wie mehrfach berichtet, soll die Walzmühle nach dem Auszug sämtlicher Mieter bis Jahresende - auch das Kino schließt - zu einem Nahversorgungszentrum umgebaut werden. „Natürlich sind wir uns und unseren künftigen Mietern am nächsten. Da es zeitlich nun aber gepasst hat, ist es für uns eine Selbstverständlichkeit zu helfen“, betont Khan.
Das sagt der Musikpark-Chef
Für Begeisterung hat die Nachricht vom Montag bei Michael „Mike“ Gebhardt nicht gesorgt. „Mir ist klar, dass diese Menschen irgendwo untergebracht werden müssen. Ob das aber ein neuralgischer Punkt sein muss, den täglich 40 000 Menschen frequentieren, ist aus meiner Sicht fraglich“, sagt der Geschäftsführer der Großraumdiskothek Musikpark am Berliner Platz.
Je nach Zusammensetzung der Bewohner der Notunterkunft hätte Gebhardt ein ungutes Gefühl, junge Frauen nach den Partys im Club allein in Richtung Walzmühle-Parkhaus laufen zu lassen. „Schon heute begleiten wir da regelmäßig. Aber so viel Personal haben wir auch nicht“, sagt er. Er will nun einen Brief an die Verwaltung schreiben, um genauere Informationen zu bekommen. „Das ist schon ein Eingriff ins Viertel“, findet er.
Das sagt „Wir vom Berliner Platz“
„Die Not ist groß und die Menschen brauchen Hilfe“, sagt Juergen Hundemer von der Initiative „Wir vom Berliner Platz“, die sich seit Jahren für eine Verbesserung des Images des Knotenpunktes einsetzt. Die bislang weitgehend leerstehende Walzmühle hält er für eine „gute Idee“. Klar sollte aber sein, dass dies keine Dauerlösung werden kann. „Denn die geplante Neuausrichtung soll das Umfeld und den Berliner Platz ja wiederbeleben“, hofft Hundemer.
Dass die Geflüchteten in der Walzmühle sehr zentral untergebracht werden, bewertet er als positiv. „So kann die Integration besser gelingen“, glaubt er. Auch die Initiative „Wir vom Berliner Platz“ werde sich Gedanken machen, wie sie dabei unterstützen kann.
Das sagt die Polizei
„Der Berliner Platz stellt aufgrund seiner besonderen Bedeutung als Verkehrsknotenpunkt und seiner auch sonst hohen Frequentierung durch die Bevölkerung bereits seit Jahren einen Schwerpunkt der polizeilichen Sicherheitsarbeit in Ludwigshafen dar“, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Rheinpfalz auf Anfrage. „Daran wird auch die Einrichtung einer Notunterkunft durch die Stadt nichts ändern.“ Die Polizei habe den Platz und sein Umfeld „permanent“ im Blick, bei Veränderungen der objektiven und subjektiven Sicherheitslage könne schnell und flexibel reagiert werden.
Das sagen Anwohner
Die Reaktionen der Anwohner im Umfeld fallen unterschiedlich aus. Jochem und Bettina Henkelmann sowie weitere ihrer Nachbarn vom Rheinufer Süd habe bei der Nachricht am Montag „blankes Entsetzen“ ergriffen, wie sie dieser Redaktion schreiben. Die Stadt setze sich über die „Belange und Bedürfnisse der Bürger“ hinweg. 400 Menschen in einem fensterlosen Einkaufszentrum unterzubringen, könne nicht die Lösung sein. „Warum hat man nicht vorausschauend eine Containerlösung in Betracht gezogen?“, fragen sie - die Problematik sei lange bekannt gewesen. Das Ehepaar Henkelmann befürchtet Vermüllung und einen Anstieg der Kriminalität am Rheinufer.
Ganz anders sieht das Simone Sohl, die mit ihrer Familie ebenfalls am Rheinufer Süd in unmittelbarer Nähe des Centers lebt. „Ich sehe dem entspannt entgegen und finde es schön, dass die Geflüchteten nicht irgendwo außerhalb untergebracht werden. Hier sind sie mitten in der Stadt, können am Rheinufer spazieren gehen und am städtischen Leben teilhaben“, sagt sie. „Aus eigener Erfahrung kann ich außerdem sagen, dass man diffusen Ängsten am besten damit begegnet, auf die Menschen zuzugehen und einige von ihnen kennenzulernen.“ Das könne dabei helfen, sich die eigene privilegierte Lage vor Augen zu führen.
Das sagt die Stadtverwaltung
Die Stadt widerspricht den Vorwürfen, sie habe sich zu spät um entsprechende Unterkünfte gekümmert. „Die Verwaltung ist bereits seit Frühjahr damit befasst, geeignete Standorte für weitere Notunterkünfte sowie Standorte für den Bau von Leichtbauhallen und dauerhaften Gebäuden zur Unterbringung von Flüchtlingen zu identifizieren und zu bewerten“, heißt es in einer Stellungnahme. Einige Optionen kamen jedoch wegen der Anforderungen nicht infrage. Daneben gebe es in Ludwigshafen grundsätzlich nur eine überschaubare Anzahl freier Flächen - mit teilweise konkurrierenden Nutzungsabsichten, etwa dem Bau von Kitas. Daher sei das dreistufige Verfahren (wir berichteten) erarbeitet worden.
Die Verwaltung versichert, dass die Nutzung der Walzmühle nicht länger als bis kommenden Spätsommer andauern werde.
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[3] https://www.musikpark-ludwigshafen.de/
[4] https://www.ludwigshafen.de/nachhaltig/engagement/initiative-wir-vom-berliner-platz
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Aufnahme von Geflüchteten in der Region: Gesellschaft vor der Zerreißprobe