Rassistisch, gewalttätig - der Einsatz auf dem Mannheimer Marktplatz hat der Polizei viel Kritik eingebracht. Landespräsidentin Stefanie Hinz über Krisenkommunikation, den Vorwurf der Befangenheit und neue Ausbildungsinhalte.
Frau Hinz, zwei Einsätze mit Todesfällen innerhalb von acht Tagen. Was ist bei der Mannheimer Polizei los?
Stefanie Hinz: Im ganzen Land müssen die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich mit schwierigen Situationen umgehen. Leider bringt es der Polizeiberuf mit sich, dass alltägliche Situationen auch unerwartete und tragische Wendungen nehmen können. Das hat nichts mit der Mannheimer Polizei zu tun.
Was unterscheidet die beiden Fälle?
Hinz: In beiden Fällen kam ein Mensch unter tragischen Umständen zu Tode, darüber hinaus sind die Geschehnisse nur bedingt zu vergleichen. Nach den uns vorliegenden Informationen lag dem Geschehen im Stadtteil Waldhof ein häuslicher Streit zugrunde. Die verständigte Streife des Polizeireviers traf in der Wohnung auf einen Mann, der der Polizei mit einem Messer gegenübertrat, das er auch nach mehrfacher Aufforderung und dem Einsatz von Pfefferspray nicht weglegte. Es handelte sich nach jetzigem Stand also um eine unmittelbare Gefahrensituation, in der die Polizeibeamten einen gezielten Schuss auf den Oberschenkel abgaben. Darüber hinaus hatte sich der Mann nach bisherigen Ermittlungen des Landeskriminalamtes selbst erhebliche Stich- und Schnittverletzungen zugefügt, die laut vorläufigem Obduktionsergebnis dann auch zum Tode führten.
Der Einsatz am Montag vergangener Woche auf dem Mannheimer Marktplatz hat für besonders viel öffentliche Aufregung gesorgt. Was haben Sie gedacht, als Sie von diesem Einsatz zum ersten Mal gehört und die Videos im Internet gesehen haben?
Hinz: Wenn bei uns im Lagezentrum die Nachricht ankommt, dass bei einem polizeilichen Einsatz ein Mensch getötet worden ist, dann macht uns das betroffen. Das ist für uns nichts Alltägliches, wir gehen da nicht einfach zur Tagesordnung über. In diesem Fall ist das Ganze auf offener Straße passiert, daher wurden auch schnell Videos in den sozialen Medien verbreitet. Die haben wir uns angeschaut und konnten uns so einen ersten Eindruck verschaffen. Aber für uns ist zunächst wichtig, dass wie bei allen nicht natürlichen Todesfällen die Ermittlungen vor Ort konsequent anlaufen. Und dass sie neutral sind. Deshalb kümmert sich hier das Landeskriminalamt darum und nicht das Polizeipräsidium selbst.
Und wie ist Ihr erster Eindruck anhand der Videos, wie beurteilen Sie das Verhalten der beiden Polizisten?
Hinz: Das ist schwer zu beurteilen, weil solche Videos immer nur Ausschnitte zeigen und kein umfassendes Bild wiedergeben. Daher ist es wichtig, dass sich weitere Zeugen melden und wir das Geschehen umfassend aufklären können.
Klar, ein Video zeigt immer nur einen Ausschnitt. Aber wenn man diese zwei Faustschläge des Polizisten gegen den Kopf des Mannes am Boden sieht, dann fragt man sich schon: Kann das verhältnismäßig sein?
Hinz: Unmittelbarer Zwang sieht nie schön aus, da die Maßnahmen immer gegen den Willen der Person ausgeführt werden. Die Polizei darf diesen Zwang in bestimmten Situationen und unter bestimmten Voraussetzungen ausüben. Dazu wurde die Polizei vom Staat legitimiert. Insofern ist es jetzt wichtig zu schauen, ob das gerechtfertigt war. Wenn nicht, dann wird das auch geahndet.
Stefanie Hinz
- Als Landespolizei-präsidentin ist Stefanie Hinz die Chefin der baden-württembergischen Polizei.
- Die 49-Jährige leitet im Innenministerium das Landespolizeipräsidium, die oberste taktische und operative Ebene der Polizei im Land.
- Hinz ist seit Januar 2020 im Amt. Die gebürtige Schleswig-Holsteinerin hat in Heidelberg Geschichte, Politikwissenschaft und Öffentliches Recht studiert und mit Promotion abgeschlossen. Außerdem hat sie beide Staatsexamina in Rechtswissenschaft abgelegt.
- Vor ihrer Position als Landespolizeipräsidentin war sie unter anderem Abteilungsleiterin im Wirtschafts-ministerium und stellvertretende Hauptgeschäftsführerin beim Städtetag Baden-Württemberg.
Wie ist denn der aktuelle Stand der Ermittlungen? Haben sich die beiden Kollegen schon zum Vorfall geäußert?
Hinz: Sie haben sich nach meinem Kenntnisstand bisher nicht zur Sache eingelassen. Die beiden Polizeibeamten haben ja die gleichen Rechte wie alle Beschuldigten in einem Strafverfahren: Es steht ihnen frei, Angaben zu machen oder auch nicht.
Mannheims Polizeipräsident Siegfried Kollmar hat nach dem Vorfall zwei Tage öffentlich geschwiegen und erst dann sein Bedauern geäußert. Hätten Sie das genauso gemacht?
Hinz: In einer solchen Situation ist man als Polizeipräsident an vielen Stellen gefordert. Es gilt, Informationskanäle zu bedienen, Zuständigkeiten zu beachten und Abstimmungen vorzunehmen. Und nicht zuletzt ist aus Fürsorgegründen auch die Betreuung der Kolleginnen und Kollegen zu veranlassen. Im Übrigen ist die Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens, sie entscheidet damit auch über Art und Umfang der Öffentlichkeitsarbeit. Daran ist auch ein Polizeipräsident gebunden. Er kann nicht ohne Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft kommunizieren. Dazu kommt: Wir als Polizei berichten anhand von Fakten. Hier waren am Anfang sehr viele Informationen im Umlauf, gerade über die sozialen Medien, die es zu klären galt. Das erfordert eine gewisse Zeit und kann so wirken, als wollten wir mauern. Aber das ist nicht unser Ziel, unser Ziel ist es, belastbare Informationen zu kommunizieren.
Es geht weniger um die reine Information, sondern um die Geste - schließlich haben am Abend nach dem Vorfall rund 100 Menschen spontan gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Da hätte eine solche Geste des Bedauerns schon Druck aus dem Kessel genommen.
Hinz: Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Bilder wie die des Polizeieinsatzes solche Emotionen wecken und dass die Menschen ihre Meinung äußern wollen. Farbbeutel und Hass und Hetze gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen haben aber nichts mehr mit Solidaritätsbekundungen zu tun. Es gab ja zunächst auch falsche Informationen zu einem möglichen türkischen Hintergrund des Mannes. Auch das gilt es zunächst zu klären. Insofern ist es schon gut, wenn die Polizei erstmal eine gewisse Faktenlage zusammenträgt und dann auf dieser Grundlage berichtet. Unabhängig davon habe ich den Eindruck, dass Herr Kollmar den Vorfall sehr ernst nimmt.
Am vergangenen Samstag haben erneut Menschen in Mannheim gegen Polizeigewalt demonstriert, dieses Mal waren es 900, mit Slogans wie „Wer schützt uns vor der Polizei?“. Warum haben diese Menschen das Gefühl, dass man sie vor der Polizei schützen muss?
Hinz: Solche Parolen machen die Kolleginnen und Kollegen und auch mich persönlich sehr betroffen, weil darin ein genereller Vorwurf und ein Grundmisstrauen gegenüber der Polizei zum Ausdruck kommt. Das geht an unser Grundverständnis. Denn unsere Aufgabe ist es, die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, darauf haben die Kolleginnen und Kollegen ihren Diensteid geschworen und das machen die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich mit hohem Engagement. Deshalb muss in solchen Fällen konsequent und neutral aufgeklärt werden, wie es jetzt das LKA tut und auch schon in der Vergangenheit getan hat. Die Mehrheit der Menschen im Land vertraut der Polizei. Dieses Vertrauen gilt es zu rechtfertigen. Das fängt schon bei der Auswahl der künftigen Polizistinnen und Polizisten an. Wir schauen genau hin, damit die Richtigen zu uns kommen. Das sind die, die fest auf dem Boden unserer Verfassung stehen und unser Grundgesetz achten. Es geht aber auch darum, in der Ausbildung die Kolleginnen und Kollegen für Themen wie Rassismus, Antisemitismus oder Antiziganismus zu sensibilisieren. Dazu gehört zum Beispiel auch, wie die Polizei zwischen 1933 und 1945 mit Minderheiten wie Sinti und Roma umgegangen ist - was diese Minderheiten bis heute prägt. Gleichzeitig müssen wir auch die Kolleginnen und Kollegen stark machen gegen solche Vorwürfe und gegen die Dinge, mit denen sie tagtäglich im Dienst konfrontiert werden. Denn der Dienst ist gerade in so hoch belasteten Innenstadtrevieren wie dem in Mannheim nicht immer einfach.
Ist diese Sensibilität gegenüber Rassismus genügend berücksichtigt in der Polizei-Ausbildung oder muss es da Änderungen geben?
Hinz: Wir planen - schon vor dem Vorfall in Mannheim - Änderungen für die dreijährige Ausbildung im sogenannten mittleren Polizeidienst. In dieser Ausbildung gibt es bislang eine zwölfmonatige Praxisphase. Die wollen wir auf neun Monate reduzieren, damit sich die Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter in der gewonnenen Zeit an der Hochschule unter anderem auch mit diesen Themen eingehender beschäftigten können. Ziel ist, das ab Herbst umzusetzen. Wir sind aktuell noch in der Abstimmung mit den Personalvertretungen.
Sie haben gesagt, Sie müssen die richtigen Kandidaten für den Polizeidienst bekommen. Gibt es zu wenig von den Richtigen bei der Polizei?
Hinz: Wir haben aktuell noch viele gute Bewerber, aber wir merken schon, dass die Zahlen zurückgehen. Wir stehen in starker Konkurrenz zu anderen attraktiven Arbeitgebern im Land. Bei der Entscheidung für den Polizeiberuf spielen auch Dinge wie Work-Life-Balance oder mobiles Arbeiten eine immer wichtigere Rolle, die nicht so einfach zu erreichen sind, wenn Sie im Schichtdienst arbeiten. Die Polizei ist nach wie vor ein attraktiver Arbeitgeber, was Bezahlung, Karrieremöglichkeiten und Einsatzmöglichkeiten angeht. Aber das ist kein Selbstläufer. Auch deshalb ist ein guter Ruf der Polizei in der Gesellschaft wichtig.
Der Vorwurf des Rassismus von Polizisten im Umgang mit Migranten war nach dem Vorfall auf dem Marktplatz immer wieder zu hören. Werden Menschen mit ausländischen Wurzeln häufiger kontrolliert?
Hinz: Wir haben eine sehr bunte und sehr vielfältige Gesellschaft. Wenn ich einen hohen migrantischen Anteil habe, dann ist es per se so, dass ich mehr Menschen mit einem Migrationshintergrund habe, die kontrolliert werden können. Racial Profiling, also Kontrollen aufgrund von äußerlichen Merkmalen wie beispielsweise Hautfarbe, ist dagegen etwas, was es nicht geben darf. Aber dennoch: Die Kolleginnen und Kollegen schauen bei entsprechenden Kriminalitätsschwerpunkten genau hin. Je nachdem, welche Szene sich dort entwickelt hat, wird dann auch kontrolliert.
Wie gehen Sie mit dem Rassismus-Vorwurf um?
Hinz: Neben der Sensibilisierung nach innen arbeiten wir zu dem Thema an verschieden Projekten und Partnern. Ein neuer Ansatz ist das Projekt namens „Respekt ist ein Bumerang“, das wir im Nachgang zur Krawallnacht in Stuttgart geplant hatten, Corona-bedingt aber erst jetzt starten können. Wir wollen dabei mit Jugendlichen und Heranwachsenden in Schulen ins Gespräch kommen. Es geht darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen, Vorbehalte abzubauen, Vertrauen aufzubauen und zu hören, wie die jeweils andere Seite die Sache sieht. Wir hören ja auch von Jugendlichen oft, die Polizei behandle sie herablassend. Gleichzeitig sagen unsere Kolleginnen und Kollegen, dass sie aggressiv angegangen und beleidigt werden.
Beide Tote bei den Polizeieinsätzen in Mannheim befanden sich in psychischen Ausnahmesituationen. Sicherheitsexperte Thomas Feltes findet, Polizisten seien nicht genug auf den Umgang mit psychisch kranken Menschen vorbereitet. Hat er Recht?
Hinz: Ganz generell sehen wir eine Zunahme von Einsätzen mit Menschen, die in einem psychischen Ausnahmezustand sind oder eine psychische Erkrankung haben. Deshalb ist es wichtig, unsere Kolleginnen und Kollegen in der Ausbildung und in der Fortbildung darauf vorzubereiten. Theoretisch mit der Frage, welche Erkrankungen es gibt, aber auch praktisch mit der Frage: Wie gehe ich mit diesen Menschen um?
Sind da schon konkrete Veränderungen in der Aus- und Weiterbildung geplant?
Hinz: Wir sind noch in der Analyse. Fälle wie die genannten sind für uns immer auch Anlass zu schauen: Müssen wir nachjustieren? Dazu bedarf es einer gründlichen Analyse des Geschehens, um dann in einem zweiten Schritt die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Jetzt sollen LKA und Staatsanwaltschaft Mannheim den Vorfall am Marktplatz aufklären. Andreas Stenger, Chef des LKA, war viele Jahre Polizeipräsident in Mannheim, der heutige Präsident Siegfried Kollmar sein Stellvertreter. Und die Mannheimer Staatsanwaltschaft arbeitet bei der Kriminalitätsbekämpfung tagtäglich mit der Mannheimer Polizei zusammen. Können Sie es nachvollziehen, dass manche Menschen da eine Befangenheit sehen?
Hinz: Um die Neutralität innerhalb der Polizei zu wahren, haben wir in Abstimmung mit den Generalstaatsanwaltschaften im Land festgelegt, dass bei Ermittlungen gegen Angehörige eines Präsidiums in besonders gravierenden Fällen wie diesem, wenn ein Mensch im Zusammenhang mit einem polizeilichen Handeln ums Leben kommt, grundsätzlich das LKA die Ermittlungen übernimmt. Der Ruf nach einer unabhängigen Stelle, die mit solchen Aufgaben betraut werden soll, kommt in solchen Fällen ja immer wieder. Meiner Meinung nach haben wir diese Stelle - und das ist die Justiz, also hier konkret die Staatsanwaltschaft. Ich habe ein sehr großes Vertrauen in unseren Rechtsstaat und auch in unsere Justiz, dass die ihre Arbeit sorgfältig und neutral macht.
Man könnte aber auch eine bundesweite Ermittlungsstelle einrichten, die in solchen Fällen zuständig ist. Damit könnte man den Vorwurf der Befangenheit von vornherein ausschließen.
Hinz: Ich sehe den Mehrwert nicht. Auch eine von Ihnen skizzierte Stelle müsste ja irgendwo angesiedelt sein, etwa beim Bundesinnenministerium oder beim Bundeskriminalamt. Auch da könnte man dann eine Befangenheit unterstellen. Die Polizei führt Ermittlungen im Auftrag der Staatsanwaltschaft durch. Diese ist Herrin des Verfahrens. So ist die Neutralität gewährleistet. Bei Beschwerden über die Polizei im Land können sich die Menschen auch immer an die Bürgerbeauftragte beim Landtag wenden, die dann von uns Stellungnahmen zu den Vorwürfen anfordert.
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