Mannheim. Nach dem Tod eines psychisch erkrankten Menschen bei einem Polizeieinsatz in Mannheim kritisiert nun auch der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland (ABiD) das Vorgehen der Polizei. Der Verband fordert einen professionelleren Umgang der Polizei mit Menschen mit Behinderungen. Die Beamtinnen und Beamten sollten dafür „sensibilisiert werden. Das ist ein Ereignis, das so noch nicht vorgekommen ist“, erklärt Klaus Heidrich, Geschäftsführender Vorstand bei der ABiD, auf Anfrage.
„Das war aber nicht das erste Mal, dass die Polizei falsch mit Menschen mit psychischer Erkrankung umgeht. Auch mir selbst ist das schon passiert“, sagt auch Vorstandsmitglied Andreas Scheibner, der erklärt, der Verstorbene sei sein ehemaliger Arbeitskollege. Kennengelernt hätten sich Scheibner und der 47-Jährige, dessen Name der Redaktion vorliegt, aber aus Opferschutzgründen nicht genannt wird, bei der Arbeitstherapeutischen Werkstätte Mannheim.
„Er war mein Stellvertreter als Werkstattsratsvorsitzender. Ich habe ihn nie als gewalttätig, sondern als ruhigen Menschen erlebt“, sagt Scheibner, der heute in Berlin lebt, an einer Essstörung und ADHS leidet. Die Werkstatt für psychisch erkrankte Menschen zählt laut eigenen Angaben zu den ältesten Werkstätten der Rhein-Neckar-Region und wurde 1958 gegründet. Sie bietet Menschen mit solchen Erkrankungen eine Möglichkeit, am Arbeitsleben teilzuhaben. Auf die Nachfrage, ob der Mann tatsächlich dort gearbeitet hatte, kann sich die Werkstatt nicht äußern. Man sei gebunden an die dort geltende Schweigepflicht, erklärt der kaufmännische Leiter Matthias Schultheiß dem „MM“. Die Familie des Verstorbenen steht laut einem Bericht auf dem deutsch-kroatischen Portal der Zeitschrift „Fenix Magazin“ unter Schock. Darin erklärt ein Mann, der angibt, ein enger Verwandter des 47-Jährigen zu sein: „Das hätte nicht passieren dürfen, niemand hat es verdient, von der Polizei geschlagen zu werden. Er war sehr sensibel und emotional.“ Allerdings will sich der Mann auf „MM“-Anfrage nicht erneut zu dem Vorfall äußern. Schon länger findet Andreas Scheibner dagegen, der selbst in Mannheim gewohnt und gearbeitet hat: „Die H 4-Wache ist nur wenige Meter vom ZI entfernt. Da müssen die Polizisten doch psychologisch geschult werden.“ Eine Kooperation mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) gibt es laut Polizei bereits: So tausche man sich direkt aus, wenn ein Patient sich entfernt. Schließlich wolle man die Personen schnell finden und schützen.
Hilfe von Polizei oft genutzt
Wie also gehen die Beamten wirklich mit den psychisch erkrankten Menschen um? Auf Nachfrage beim ZI räumt Pressesprecher Ulrich Ellwanger Zweifel aus dem Weg. „Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die die Polizisten da haben. Und sie meistern sie sehr gut“, so Ellwanger. Seit vielen Jahren erlebe das ZI die Zusammenarbeit mit dem Präsidium als sehr gut und hilfreich.
Wie diese Zusammenarbeit genau aussieht, erklärt der Sprecher so: Einerseits bringt die Polizei Menschen ins ZI, die durch Verhaltensweisen auffallen, die auf eine psychische Erkrankung hindeuten und die sich deshalb selbst oder andere gefährden könnten. Nicht selten handelt es sich um Menschen mit einer akuten Alkohol- und Drogenvergiftung, aber auch um Menschen mit akutem wahnhaften Erleben oder Suizidgedanken. Zusätzlich hilft die Polizei dem ZI dabei, Patienten wieder zurückzuholen. Wenn die Beamten diese Personen dann entdecken, ist die Ansprache entscheidend: Sie müssen das Vertrauen der oft stark verängstigten Menschen gewinnen, um sie wieder sicher in die Obhut der Ärzte zu bringen. Um genau das besser zu bewältigen, tauscht sich das ZI besonders mit der Polizeiwache in H 4 regelmäßig aus.
Neben wiederkehrenden Treffen auf Leitungsebene hätten laut Ellwanger in den vergangenen vier Wochen vier Gruppen mit rund 50 Beamtinnen und Beamten des H 4-Reviers das ZI besucht. Die Treffen sind aber keine Schulungen, sondern ein Austausch, bei dem die Experten aufklären über den Umgang mit Menschen in akuten psychischen Krisen, die sich selbst oder andere gefährden. Manchmal aber rufen ZI-Mitarbeitende die Polizei um Hilfe, wenn sie selbst an ihre Grenzen stoßen. Etwa dann, wenn sich die Patienten besonders bedrohlich verhalten. In solchen Fällen unterstützten die Beamten das pflegerisch-therapeutische Team und sorgen so für Sicherheit.
Im Jahr 2021 brachte die Polizei in Mannheim laut ZI über 600 entsprechend auffällige Menschen in die ZI-Notaufnahme. Das Institut rief seinerseits in 100 Fällen die Beamten zur Hilfe. In rund der Hälfte dieser Fälle ging es um Unterstützung bei der Deeskalation, in der anderen Hälfte um Personen, die zurückgeholt werden mussten. (mit kpl)
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