Bobstadt/Heidelberg. Julia Piechotta isst wirklich sehr gerne Eis. Wenn man die Waffel knabbern kann, warum dann nicht auch den Löffel? Das überlegte die Bobstädterin mit ihrer Studienfreundin Amelie Vermeer. Gemeinsam haben sie einen essbaren Eislöffel entwickelt und „Spoonie“ genannt. Inzwischen liefern sie in mehr als 15 Länder aus - sogar in Eiscafés nach Australien und Israel.
„Unsere ersten Backversuche in der WG-Küche waren damals eine Katastrophe“, erzählt die 27-Jährige lachend am Telefon. Der Keksteig habe viel zu sehr gebröselt. Es musste etwas Stabileres her, und da fragten die Studentinnen bei Lebensmittelexperten der Uni Hohenheim nach. So erfuhren die beiden von den ballaststoffreichen Fasern aus der Kakaoschale und experimentierten weiter. „Dieser Rohstoff aus der Schale der Kakaobohne fällt in der Industrie an und wird nicht weiterverwendet.“ Perfekt geeignet für ihr Ziel, ein nachhaltiges Produkt zu entwickeln. Zudem enthalten die Fasern den bekannten Kakaogeschmack. „Und mit etwas Zucker, der karamellisiert wird, gewinnt es an Süße, so dass der Löffel wie ein knuspriger Keks schmeckt.“
Produkte gleich dreifach nachhaltig
- Julia Piechotta ist 27 Jahre alt und in Bobstadt aufgewachsen. An der Frankfurter Goethe-Uni studiert sie Wirtschaftswissenschaften, danach wechselt sie fürs Masterstudium in Management an die Uni Hohenheim.
- Mit Kommilitonin Amelie Vermeer entwickelt sie in einem Studienprojekt essbare Eislöffel – mit dem Ziel, eine Alternative zu Plastik zu schaffen, ohne Müll zu produzieren: Der „Spoonie“ besteht aus Kakaoschalenfasern, einem Nebenprodukt der Schokoladenproduktion. Als Alternative zum dunklen Löffel, übrigens vegan und glutenfrei, gibt es noch einen neutralen aus Haferfasern. Das Rezept wird zudem in anderer Form als Rührstäbchen „Twirly“ gebacken. Der Spoonie halte mindestens 60 Minuten stabil im Eis, der Twirly zehn Minuten in Kaffee oder Tee.
- Ihre Firma heißt Spoontainable – aus dem Englischen spoon für Löffel und sustainable für Nachhaltigkeit – und hat etliche Preise bekommen, etwa das Green Brand Gütesiegel, den Food Innovation Award und den Innovationspreis Bioökonomie des Landes Baden-Württemberg.
- Die Produkte werden in Deutschland produziert. Gefüllt werden sie für Verbraucher in eine Dose aus Pappe, die wiederverwendet werden kann. Spoonies und Twirlys sind nachhaltig, weil sie gegessen oder im Biomüll entsorgt werden. Sie entstehen aus Reststoffen der Lebensmittelindustrie. Zudem werden die CO2-Emissionen, die bei der Herstellung entstehen, mit einem Meeresschutzprogramm ausgeglichen.
- Spoonies gibt’s in Eisdielen der Region. Heidelberg: Heimat, Eis Dolomiti, Eisreich und H&M Café sowie ok kool in Wieblingen. Mannheim: Fontanella, Mannheim und Zeigeist. In Darmstadt bei Thildas Eis und bei Claus Eismanufaktur & Deli in Karlsruhe und Stuttgart.
Beim Kontakt mit ihrem ersten Kunden erfuhren die beiden Frauen, dass der Markt noch eine zweite Variante zum Kakao-Löffel verlangt: mit neutralem Geschmack. Sie probierten es mit Weizen, kamen aber bald auf Hafer. Jetzt gibt es einen dunklen und einen hellen Spoonie.
Ihre Idee, Plastikgeschirr durch einen Kekslöffel zu ersetzen, trifft den Zeitgeist und ist vielfach prämiert worden. „Die Preise waren toll, nicht nur wegen der Aufmerksamkeit für unser Unternehmen, sondern auch, weil wir das Preisgeld direkt in die weitere Entwicklung der Produkte investieren konnten“, erzählt die Bobstädterin. Zudem seien Investoren auf sie aufmerksam geworden. Denn in einer großen Fernsehshow wie „Höhle der Löwen“ hätten sie ihren Spoonie nicht vorstellen wollen. „Wir liefern vor allem an Händler und weniger direkt an Verbraucher“, sagt Piechotta, die während des Gesprächs gerade in Budapest bei einer Messe für ihre Produkte wirbt.
Ins Fernsehen hat es ihre Firma Spoontainable trotzdem geschafft. Wenn es um Nachhaltigkeit oder sinnvolle Alternativen zu Plastikmüll geht, eignet sich ihr essbarer Eislöffel als gutes Beispiel. Auch die Nachfrage steige kontinuierlich. Produziert wird längst nicht mehr in der WG-Küche, sondern professionell bei Kooperationspartner Coppenrath Feingebäck. „Das ist schon aufgrund der Hygiene-Auflagen nötig.“ Zudem könne bei einem Großauftrag schnell mal kurzfristig nachbestellt werden. „In vier Stunden können dort 600 000 Spoonies hergestellt werden.“ Dass ihr Produkt „Made in Germany“ ist, ist ihnen sehr wichtig - und auch, dass ihnen die Rezeptur gehört.
In der Küche am Firmensitz in Heidelberg wird trotzdem ab und zu gerührt, etwa ihre neuen Eismischungen. „Wir haben sie selbst entwickelt, weil wir unseren Kunden zum Löffel etwas anbieten wollten - vor allem ohne Zusatzstoffe und Verdickungsmittel.“ Mit Milch, Sahne oder veganen Alternativen wie Hafer- und Sojamilch lasse sich der Eis-Mix leicht anrühren. Verkaufsschlager ist und bleibt aber der Spoonie.
Zu ihren ersten Kunden zählten übrigens das Mannheimer Eiscafé Fontanella und Thildas Eis in Darmstadt, erzählt Piechotta. Und weil es dort nicht nur Eis, sondern immer auch Kaffee und Cappuccino gibt, erweiterten sie ihr Portfolio: Auch ein Rührstäbchen mit Namen Twirly gibt es nun zum Knabbern, ebenfalls dunkel und hell. Und den Löffel lassen sie in klein und etwas größer produzieren, damit er sich auch für Porridges, Eisbecher oder Waffeln eignet. Weil neben dem Eislöffel oft auch nach Trinkhalmen gefragt wird, hat sich Spoontainable mit einem Start-up in Großbritannien zusammengetan. „Sie vertreiben dort unsere Löffel und wir hier deren Trinkhalme.“
Weitere Besteckteile geplant
Dass es der Spoonie auf den australischen Markt geschafft hat, begeistert die Bobstädterin sehr. „Als die Pandemie begann, haben wir schnell gemerkt, dass der deutsche Markt sehr eingeschränkt ist und wir unser Geschäft ins Ausland ausweiten müssen.“ Einem Händler sei es zu verdanken, dass mit dem Löffel nun am anderen Ende der Welt gegessen wird. „Das ist der Wahnsinn!“ Hingeflogen sind die beiden aber noch nicht, die gesamte Absprache erfolgte in Corona-Zeiten online. „Unsere Ware wird per Schiff transportiert. Toll wäre natürlich, wenn wir vor Ort eine eigene Produktion aufbauen könnten - auch wegen der Nachhaltigkeit.“
Das Ende ihrer Ziele haben Piechotta und Vermeer ohnehin noch längst nicht erreicht. Sie wollen noch mehr Plastik ersetzen: „Wir möchten weitere nachhaltige Produkte entwickeln, etwa Gabeln oder Löffel.“ Doch das sei anspruchsvoll, weil diese noch stabiler und hitzebeständig sein müssen. „Wir hoffen, im Sommer einen Prototypen präsentieren zu können.“ Aus welchem Material dieser besteht, verrät die Bobstädterin noch nicht. Papier oder Holz lehnt sie jedenfalls ab, weil es ihr nicht nachhaltig genug ist. „Wir wollen gar keinen Müll produzieren. Ein Holzlöffel wird ja auch weggeworfen - er enthält zudem oft Klebstoff und ist gar nicht kompostierbar.“ Zudem schüttelt sie sich, wenn sie ans Essen vom Holzlöffel und den „Gänsehautmoment“ denkt.
„Mehr als sechs Millionen Löffel haben wir bisher verkauft und damit jede Menge Plastik gespart.“ Natürlich sei der Spoonie etwas teurer. „Er kostet ungefähr das Vierfache, liegt bei vier bis sieben Cent pro Stück im Eiscafé.“ Das findet sie absolut vertretbar für ein Lebensmittel - einen Keks zum Knabbern.
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