Wie er sich wohl gefühlt haben muss, der Homo spelaeus damals in der Höhle von Lascaux, zwischen den kalten, feuchten und dunklen Felswänden, spärlich bekleidet in einer rudimentären Behausung mit rudimentärer Einrichtung im Flackern der Fackeln. Schwer nachzuvollziehen. All das ist ja auch schon lange her. Je nach Wissenschaftler rund 20 bis 30 Tausend Jahre. Jungpaläolithikum, ein eher jüngerer Abschnitt der eurasischen Altsteinzeit.
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Berühmt sind aus Lascaux die Malereien, die Auerochsen, Wildpferde, Hirsche und der Bär. Sie zeigen uns heute: Hausen allein war dem sesshaft gewordenen Menschen noch nie genug. Vielmehr hat er mit der Gestaltung seines Wohnraums immer auch sein Leben außerhalb dargestellt. Der Höhlenmensch von Lascaux hat vorwiegend gejagt. Davon erzählt er malerisch.
Der lange Weg bis zur Penthousewohnung
Von Lascaux unter der Erde zur Penthousewohnung hoch über den Dächern babylonischer Skyscraper ist es ein weiter Weg. Er ist zum einen gezeichnet von großen Differenzen, von den Möglichkeiten des Menschen. Werkzeuge, Materialien, technische Hilfsmittel und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Statik, Mathematik und Baustoffen haben großen Einfluss aufs Bauen ergo Wohnen. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. Dazu später.
Mit seinem berühmt gewordenen Aufsatz über „Bauen Wohnen Denken“ hat der (umstrittene) Philosoph Martin Heidegger den Beginn einer philosophischen Auseinandersetzung mit dem Wohnen begründet. Durch stringent geäußerte Denkvorgänge führt er uns etwa vor Augen: „Zum Wohnen, so scheint es, gelangen wir erst durch das Bauen. Dieses, das Bauen hat jenes, das Wohnen zum Ziel. Indessen sind nicht alle Bauten auch Wohnungen. Brücke und Flughalle, Stadion und Kraftwerk sind Bauten, aber keine Wohnungen; Bahnhof und Autobahn, Staudamm und Markthalle sind Bauten, aber keine Wohnungen. Dennoch stehen die genannten Bauten im Bereich unseres Wohnens.“
Was in dieser Sequenz deutlich wird: Wir wohnen zwar in Wohnungen und Häusern, aber das Drumherum, also alles, was da so rumsteht oder als Nachbar lebt und nicht direkte Natur ist, gehört zu unserem Wohnen dazu, wenn wir aus dem Fenster sehen oder die Tür von außen schließen – auch wenn wir uns umgekehrt immer wieder vor dem Draußen abschotten, indem wir die Tür von innen schließen, in den Spiegel im Flur sehen und uns vergewissern, dass uns keiner gefolgt ist und immer noch hinter uns steht.
Intimer Staat im Staat
Was wohnen ist, lässt sich unendlich kompliziert äußern und analysieren. Oder auf einen simplen (doch pathetischen) Punkt bringen: Wohnen – das ist: in der Unendlichkeit des Universums seinen Platz finden. Das trifft auf die luxuriöse Penthousewohnung des russischen Künstlers Nikas Safronov in Moskau so zu wie auf die malenden Jäger von Lascaux. Wohnen ist, wie die Sprache, Heimat. Das ist die große Gemeinsamkeit.
Und der erwähnte winzige Platz im Universum erfüllt viele Funktionen und ist doch für jeden etwas Anderes. Die Wohnung ist ein sicherer Ort gegen die Gefahren auf der Straße, sie ist ein sozialer Ort familiären oder gemeinschaftlichen Zusammenlebens (für zölibatär Lebende einer des Alleinseins), sie ist ein Ort der Funktionen, einer der Ästhetik und der sozialen Aufgaben, des In-sich-Kehrens, Betens, Spielens, Lesens, Liebens, Lachens, Ernährens, Badens, Arbeitens und Ausruhens. Die Liste lässt sich lange fortführen.
Ein Wohnraum freilich ist auch ein Spiegel der Psyche, er drückt im Privaten das Öffentliche oder mindestens ein öffentliches Wunschbild aus, es ist der intime Staat im Staat, in dem politische Systeme in Miniaturgröße gelebt werden, Weltbilder kollidieren und vor dem Parlament der Bewohnenden am Esstisch zu so hitzigen wie wichtigen Debatten führen. Heidegger referierte: „Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen.“ Er bezieht sich auf die Verwandtschaft der Begriffe Bauen, Wohnen, Sein.
Dieses Sein, unser Sein, präsentieren wir wohnend nach außen, wenn Menschen (hoffentlich eingeladen) in unsere Wohn-Zimmer eindringen. Wie wir wohnen, zeigt, wer wir sind und wie. Es gibt ein gänzlich anderes Bild von uns ab, ob wir unser Inneres mit vielen Büchern und anderen Medien nach außen stülpen, mit Kunst und Blumen. Oder mit Kreuz, Maria, Jesus und Buddha. Oder mit Waffen, Objekten und funktionalen Dingen, Maschinen, Geräten. Oder mit unnützem Kitsch.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Jeder richtet sich so ein, dass er sich in seinem Reich wohlfühlt und ganz bei sich sein kann. Ob sich aber jemand mit Einwegmöbeln von Ikea einrichtet oder vom Schreiner maßgeschneiderte Schränke bauen lässt, ist nicht nur eine Frage des Geschmacks und Geldes. Es geht darüber hinaus. Ein Massivholzschrank kostet vielleicht um ein Vielfaches mehr als ein schwedischer Bretter- und Schraubenbausatz. Er überlebt ihn in der Regel aber auch um Generationen, ist dann unter dem Strich also günstiger und damit – heute besonders wichtig – auch noch nachhaltiger. Es ist also auch eine Frage der Weltanschauung, wie ich mich einrichte.
Wo wir wohnen und wie, ist nicht zuletzt sogar ein Ausdruck unseres Platzes in der Gesellschaft. Insofern lässt sich am Wohnen mithin Reichtum, Herkunft und Bildungsstand genauso ablesen wie das Niveau an sozialer Gerechtigkeit in einem Staat. Nicht immer freilich, aber oft, denn zwischen Handschuhsheim und Emmertsgrund in Heidelberg gibt es nun mal ein ähnlich eklatantes Sozial-Gefälle wie zwischen Manhattan und Bronx in New York. An solchen Gefällen ließe sich mit Studien sicher die Gerechtigkeitstauglichkeit von Staatsformen oder ihrer politischen Führung prüfen.
Bitte keine Kriegsarchitektur!
Nicht zuletzt führen solch soziale Unterschiede ja auch zu noch größerer Angst und Abschottung. Architekturtheoretiker sprechen in dieser Hinsicht von einer Art Kriegsarchitektur, sprich: Die Menschen verschanzen sich hinter Barrikaden, hinter Gittern, Stacheldraht, geschützt durch bissige Hunde. Vielleicht sind sie bewaffnet. Reichtum muss in einer mehr und mehr gespaltenen Gesellschaft auch mehr und mehr geschützt werden.
Die Migrationsgesellschaft, in der wir ja – zu Recht – längst leben, beschleunigt das: Je weniger man sich kennt, desto mehr Ängste hat man voreinander, desto mehr Barrikaden baut man auf. Innere und äußere. Umso wichtiger wäre die Attraktivierung öffentlichen Raums, der Dörfer und Städte, in denen sich die verschiedenen Menschen ja nur begegnen und kennenlernen können. Denn wie es das Nach-innen-Wohnen der Abschottung gibt, so lässt sich auch nach außen wohnen, indem man sein Wohnen in die Öffentlichkeit ausdehnt, im Café arbeitet, Co-Working macht, in Bibliotheken liest oder im Park.
Von all dem konnte der Homo spelaeus in seiner Lascaux-Höhle nicht mal träumen. In Abgeschiedenheit machte er sich – wohl weitgehend sorgenlos – an die künstlerische Produktion seiner Jagdszenen. Und war sicher nicht unglücklicher als der reiche russische Maler Safronov.
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