Mannheim. Beim Stichwort „Immaterielles Kulturerbe“ mag einem Orgelbau, Flößerei oder Blaudruck in den Sinn kommen - schließlich hat die UNESCO diese auch bei uns verwurzelten Traditionen geadelt. Erstaunlicherweise ist kaum bekannt, dass es die Genossenschaftsidee war, die 2016 in die repräsentative Liste für generationsüberschreitend weiter gegebenes Wissen und Können als erster deutscher Beitrag eingetragen wurde. Das Prinzip der solidarischen Selbsthilfe von Mitgliedern für Mitglieder - und dies ohne Gewinnstreben - hat sich auch beim Bauen und Wohnen bewährt. Insbesondere deshalb, weil bezahlbare (Miet-)Wohnungen rar geworden sind.
Dass Baugenossenschaften für eine Erfolgsgeschichte stehen, zeigt die Statistik: Deutschlandweit gibt es über 2000 Wohnungsbaugenossenschaften mit rund zwei Millionen Wohnungen im Bestand. Welch einen Weg eine solche Genossenschaft auch immer eingeschlagen haben mag - stets begann er als Reaktion auf katastrophale Lebenssituationen. Dazu drei Beispiele aus der Kurpfalzmetropole:
Bau- und Sparverein Mannheim
Als 1895 um die hundert Arbeiter und kleine Beamte in der Quadratstadt den Spar- und Bauverein Mannheim gründeten und damit das bahnbrechende Projekt „gesunde und zweckmäßige Wohnungen dauerhaft zu billigen Preisen“ anschoben, zog die Industrialisierung gleich einem Magnet Menschen als Arbeitskräfte an. Der Wohnungsbau hinkte hoffnungslos hinterher. Und an Fabriken angegliederte Siedlungen waren eher die Ausnahme.
Was für einen Kraftakt es für die Mitglieder des Bau- und Sparvereins als erster badischen Baugenossenschaft bedeutete, den verpflichtenden Geschäftsanteil von 300 Mark zu zahlen, offenbart die damals gewährte Möglichkeit, den Betrag in Wochenraten von 30 Pfennigen abzustottern - mit einer Laufzeit von tausend (!) Wochen.
Gartenstadt-Bewegung
Die aus England kommende Bewegung, dem sozialen Elend als Folge rasanter Industrialisierung etwas entgegen zu setzen, nämlich „Garden Cities“ , beflügelte auch in Deutschland. Statt neuer Städte mit Grün zur Selbstversorgung setzten sich jenseits der Insel kleinere Gartenvorstädte durch - wie im Norden der Quadratestadt. Bereits acht Jahre vor der 1910 gegründeten Gartenstadt-Genossenschaft Mannheim hatten in Berlin Sozialreformer, Architekten und Künstler eine Gartenstadtgesellschaft ins Leben gerufen.
Die Idee einer besseren Zukunft nach dem Prinzip des Vordenkers Friedrich Wilhelm Raiffeisen „was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“ sollte freilich von Haus- und Grundbesitzervereinen vehement bekämpft werden. Und so hieß es 1902 in einer Resolution: „Es muss mit allen Mitteln dafür gesorgt werden, dass der gemeingefährliche Charakter der Baugenossenschaften in der breiten Bevölkerung erkannt und ihnen jedwede Unterstützung entzogen wird.“
Allerdings sahen viele Kommunen schon früh das Potenzial der Bewegung. Beispielsweise gewährte die Stadt Mannheim ein größeres Erbbaurecht am Käfertaler Wald und trat der neu gegründeten Gartenstadt-Genossenschaft mit hundert Anteilen bei - weshalb sie inzwischen ältestes Mitglied ist. Als genialer Schachzug sollte sich erweisen, dass viele Baugenossenschaften von Anfang an Spareinrichtungen, anfänglich noch Sparkassen genannt, mit Geldern ihrer Mitglieder betrieben. Dieses Konzept hat überdauert. Im aktuellen Geschäftsbericht der Gartenstadt-Genossenschaft Mannheim wird betont: „Spargelder versetzten in die gute Lage, unabhängig von Krediten und den damit verbundenen Kosten des Kapitalmarkts die großen Modernisierungen stemmen zu können.“
Familienheim Rhein-Neckar
Auch wenn die genossenschaftliche Wohnidee im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ihre große Blüte hatte, gab es auch spätere Neugründungen. Beispielsweise entstand die Familienheim Rhein-Neckar 1947 kirchlich initiiert, um im zerbombten Mannheim samt Umgebung Wohnungsnot zu lindern. 75 Jahre später titelte diese Zeitung: „Vom Flüchtlingshelfer zur Immobiliengruppe.“ Die Familienheim hat sich nämlich zu einem Konzern mit Tochterunternehmen entwickelt und will die „eG“ (eingetragene Genossenschaft“ ) in eine „AG“ (Aktiengesellschaft ) umwandeln. Ob danach die derzeit noch von der Unternehmensspitze beschworene „soziale DNA“ erhalten bleibt, wird die Zukunft zeigen.
Schwerpunkt Bestandspflege
Einen komplett anderen Weg geht die Gartenstadt-Genossenschaft Mannheim. Diese hat sich schon vor mehr als 15 Jahren aus dem Neubaugeschäft zurückgezogen, um stattdessen ihren großen Bestand, nämlich über 4000 Wohnungen, kontinuierlich zu sanieren, modernisieren und mit Wärmeschutz auszustatten - zum Nutzen der Mieter, die auch Mitglieder sind, wie der Umwelt. Ein Gebäude, das 80 Jahre statt nur 40 genutzt wird, „halbiert seine klimaschädliche Auswirkung“, argumentiert der Vorstand.
Ihr zwischendurch etwas angestaubt rüber kommendes Image haben Genossenschaften längst aufpoliert. Mit Erfolg. Denn Vorteile sprechen für sich. Schließlich ist heutzutage alles andere als selbstverständlich, wenn Wohnungen von Eigenbedarfskündigungen wie vom Ausverkauf als Spekulationsobjekt geschützt sind. Ganz bewusst bezeichnen einige Genossenschaften Mieten als Nutzungsgebühren. Wer in den Geschäftsbericht der Gartenstadt-Genossenschaft Mannheim von 2021 schaut, stellt erstaunt fest: Die durchschnittliche Nutzungsgebühr der 4 161 Wohnungen lag bei moderaten 6,46 Euro pro Quadratmeter - und damit fast zwei Euro unter jener Durchschnittsmiete, die der Mietspiegel 2021/2021 für die Quadratestadt mit 8,37 Euro ausweist.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-wie-baugenossenschaften-in-mannheim-ihr-angestaubtes-image-aufpolieren-_arid,2044610.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html