Im Grunde müssten wir hier überhaupt nicht diskutieren. Das, worum es gehen wird, wird vom Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH seit vielen Jahren diskutiert, in schöne Papierform gebracht und veröffentlicht. Es gibt Veranstaltungen zum Thema, das sogenannte Denkfest ist nur eine in einer ganzen Reihe von Netzwerkentstehungsabsichten. Das Papier, um das es geht, heißt Kulturvision und hat unter vielen Dingen zum Ziel: „das Wirken vieler Einzelner zusammenführen und, wo nötig, aufeinander abstimmen. Die heterogene Struktur der Rhein-Neckar-Region und ihre Ausdehnung über Teilgebiete von drei Bundesländern verlangen von den Beteiligten ein hohes Maß an Kommunikation.“
Genau dies wäre für eine Metropolregion mit 2,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern angemessen – freilich nur, falls wir, falls also deren Menschen das wollen, falls sie Gemeinschaft, so etwas wie ein Wir-Gefühl unter dem nach wie vor menschenfremden und eigentümlich technischen Banner Metropolregion Rhein-Neckar entwickeln möchten. Mit gewachsenen Gegenden wie Kurpfalz, Allgäu oder Lausitz ginge das leichter. Metropolregion ist einfach maximal unsexy.
Vor vielen Jahren hatte ja sogar die maximal sexyeste Stadt der Republik ähnliche Kultur-Probleme. Beispiel: die drei umstrittenen, parallel existierenden Berliner Opern. Viele Jahre nach der Wende hatten sie ihre Programme gänzlich isoliert gemacht. Es passierte, dass die Häuser in einer Saison dieselben Premieren terminierten, dass sie teils sogar parallel dasselbe spielten. Man sah. Man schalt. Man änderte. Heute gibt es nicht nur Vernetzung und Absprachen. Es gibt auch – beispielsweise – gemeinsame Plakate, auf denen die Programme tabellarisch übersichtlich aufgeführt sind, schließlich bemüht man sich ja im Grunde um die gleiche Sache.
Was im fernen Stadtstaat schwierig ist, scheint in der Kurpfalz fast unmöglich. Beispiel „Ring“: In Mannheim und Ludwigshafen kommt es in den Jahren 2011/12 zu einem Doppelpack von Wagners 15-stündiger Tetralogie. Sowohl das Nationaltheater als auch das Theater im Pfalzbau schmieden gleichzeitig am „Ring“. Aneinander vorbei. Die Chance, daraus eine abgestimmte Aktion zu machen und so womöglich bundesweit für Aufsehen und touristische Attraktion zu sorgen, wird vom damaligen Ludwigshafener Intendant Hansgünther Heyme und Generalintendantin Regula Gerber schändlich verspielt. Es herrschte Egozentrik statt Offenheit und Kommunikation – gegenseitige Schuldzuweisungen inbegriffen.
Nur ein unrühmlicher Zufall? Leider nein. Das Kulturbüro werkelt zwar und gibt auch Zeitschriften heraus; eine zu den Museen, eine zur Festivalsaison. Und tatsächlich funktioniert die Kulturregion in diesen Bereichen auch am besten. Enjoy Jazz. Das Internationale Filmfestival. Die Biennale für Fotografie. Seit neuestem auch eine – pandemiegeplagte – Biennale für Neue Musik zwischen den Großstädten. Die laut Kulturbüro existierenden „120 Bühnen“ unterdessen wissen wahrscheinlich weitgehend selbst nichts voneinander.
Und die größten Player? Die drei Theater? Hat sich dort in Wahrheit seit Geburt der Metropolregion 2005 überhaupt etwas geändert? Immerhin handeln sie nach wie vor absolut autonom, verbünden sich allenfalls für kleine Kinderfestivals, leben und wirken ansonsten in Parallelwelten. Die Szene strahlt also hier wie da. Es ist aber ein Strahlen von Fixsternen in unterschiedlichen Galaxien, die durch unüberwindbare schwarze Wurmlöcher getrennt bleiben.
Aus viel Großem Großes schaffen
Robert Montoto, Chef des Kulturbüros der Metropolregion, sieht Chancen: „Wir schöpfen das Potenzial der Zusammenarbeit noch lange nicht aus. Ich hoffe sehr, dass wir mit den digital-analogen Räumen, an denen wir arbeiten, Möglichkeiten schaffen, auch diese großen Häuser zu vernetzen“, sagt er auf Anfrage. Die Kulturvision 2025 kommt ebenso zu dem Schluss, die Region könne „erst durch die Bündelung, den gezielten Austausch von Ideen und die intensive Zusammenarbeit“ ihr besonderes Potenzial entwickeln. Logisch ist da der Titel des jüngsten Denkfests: Vom Ich zum Wir. Doch das Wir wird zunehmend un(be)greifbar. Es war nie so heterogen. Das Wir ist heute zwischen 0 und 100 Jahre alt und hat unzählige migrantische Prägungen.
Von Beginn an sollte Kultur dieses Wir entstehen lassen und das identitätsstiftende Moment in der polyzentrischen Region sein, die politisch und wirtschaftlich ja weitgehend getrennt ist. Für ein echtes Zusammenwachsen braucht es hier aber mehr politischen Willen, vielleicht auch Investitionen und Druck – inklusive Personen an den Spitzen, die Lust am Zusammenwirken haben und mit ihrer Arbeit topographische Grenzen durchbrechen möchten.
Mannheim kann das nicht im Alleingang forcieren. Doch als alleinige und echte (Provinz-)Metropole der Region könnte es eine aktive Vorreiterrolle übernehmen und die entscheidenden Player an den Tisch bitten, um aus viel Großem Großes, nämlich Gemeinschaft zu schaffen. Über all das müssen wir diskutieren, wenn wir wir werden wollen.
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