Mannheim. Am Anfang steht der sehnliche Wunsch: Mannheim sollte, Mannheim soll, Mannheim muss schöner werden, denn nicht umsonst rangiert es bei den hässlichsten Städten Deutschlands ganz oben. Aber Mannheim wird nicht schöner werden, indem es weiter massenhaft zeitgenössische Architektur in den Stadtraum setzt, in dem es weiter Gebäude aus den 1950er Jahren, den 60er, 70er und gar 80er Jahren abreißt und neue Architektur hinstellt.
Die Erfahrung der Nachkriegszeit lehrt uns: Nur die wenigsten Bauwerke aus dieser Zeit sind so gut, eigenständig und ästhetisch zeitlos anerkannt, dass sie nach Jahrzehnten noch als erhaltenswert angesehen werden. Die alte neue Kunsthalle am Friedrichsplatz mag hier als prominentestes Beispiel der jüngeren Vergangenheit dienen. Der Bau von Hans Mitzlaff „lebte“ – im Gegensatz zum seit 1907 bestehenden Altbau von Hermann Billing an der Moltkestraße – gerade mal 31 Jahre.
Leider kochen auch bei dieser Thematik nicht nur schnell die Emotionen hoch. Auch das Schwarz-weiß-Denken ist weit verbreitet: Die Rekonstruktionsarchitektur entwickle sich in Deutschland derzeit „zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten“, meinte der Stuttgarter Architekturtheoretiker Stephan Trüby vor Jahren und brachte verbal die schwersten Geschütze in Stellung. Er bezog sich dabei vor allem auf das längst umgesetzte Vorhaben, die Frankfurter Altstadt rund um Dom und Römer wieder aufzubauen – ein so umstrittenes wie heute auch gefeiertes Mega-Projekt im Herzen der Metropole. Es gibt weitere Beispiele: die Dresdner Frauenkirche, das Berliner Schloss, der Rokokosaal in der Weimarer Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, der durch einen verheerenden Brand zerstört wurde.
Auch im Herzen Mannheims gab es während und nach dem Krieg verheerende Zerstörung und ließe sich in Sachen Rekonstruktion einiges korrigieren, um nicht zu sagen: wiedergutmachen. Mannheim hat ja Tolles zu bieten: zwei Flüsse, zentrale Grünflächen wie Friedrichsplatz oder Luisenpark, eine höchst attraktive Handels-, Kultur- und Freizeitlandschaft. Was fehlt, ist das, was Nostalgiker vielleicht Altstadtfeeling nennen würden: Statt auf Liebreiz, Romantik und etwas Anheimelndes stoßen Touristen (die freilich erst gar nicht kommen) in der radikal gedachten Autostadt Mannheim weitgehend auf nichtssagende Bauten, hässliche Straßenbilder, Industrie.
Die Architektur der Moderne, seit den 1950er Jahren geprägt vom sich auf Bauhaus und Le Corbusier stützenden Fokus auf Funktionalität, haben die Bürger immer noch nicht liebgewonnen. Es ist ein Jammer.
Es gibt nur ein Mittel, dies langfristig zu verändern: Vieles, was beliebig und sanierungsbedürftig ist, abreißen und historisch rekonstruieren. Im ideologisch zugespitzten Streit zwischen Konservieren und Novellieren mag vielleicht auch eine Rolle spielen, was die Kulturwissenschaftlerin und Friedenspreisträgerin Aleida Assmann unter Erinnerungskultur versteht: An alten Gebäuden kann man die Historie von Orten sehen. Volker Keller vom Verein Stadtbild Mannheim sagte auf Anfrage: „Es geht um die Ablesbarkeit historischer Entwicklungen. Das rekonstruierte Bankpalais auf den Planken ist das beste Beispiel. Das heutige Gebäude erinnert daran, dass Mannheim vom Ursprung her eine Barockstadt ist.“
Die Serie
Mit der Serie „75 Ideen für ein besseres Mannheim“ möchte die Redaktion zum Nachdenken und Diskutieren anregen.
Ob politisch, wirtschaftlich, kulturell oder im Sport: Hier präsentieren wir Vorschläge, Konzepte und Gedanken für die Zukunft der Stadt.
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Oder nehmen wir das Stadthaus in N 1. Quasi ohne Not wurden 1965 die immerhin noch von Läden und Cafés genutzten und instand gesetzten Räume des durch einen Bombenangriff teils zerstörten Gebäudes abgerissen und ab 1987 durch das ersetzt, was heute (fast) alle schrecklich finden, ein Unort, dessen größte Attraktivität ein bis nachts geöffneter Supermarkt ist. Zum Glück gibt es eine Initiative, die sich für die Rekonstruktion des „Alten Kaufhauses“ einsetzt – und es gibt reelle Chancen, dass die Idee umgesetzt wird.
Schlendern wir durch die Stadt, begegnen uns solche Bau-Schrecken ständig. Dem Reflex eines Building-Droppings muss man ernsthaft widerstehen. Aber einige Beispiele seien genannt: Das Hotel Mack in der Mozartstraße (Nähe Collini-Center) hatte ursprünglich als „zweite Hälfte“ einen hübschen gespiegelten Prachtbau in der Ifflandstraße. Und man muss sich nur an Mannheims schönsten Ort, den Friedrichsplatz, begeben und den Blick zwischen Rosengarten, Plankeneingang und Hotel Maritim schweifen lassen, um zu sehen: Dazwischen hat nur ein historischer Bau überlebt. Es ist der einzige, der überhaupt Stimmung fern von serieller Lochfassade, deutscher Einkaufsstraßendurchschnittsarchitektur und Standard-Büroeinheiten ausstrahlt.
Klar, die nüchterne, teils transparente und mit wenig Prunk und Ornament ausgestaltete Nachkriegsarchitektur war auch ein theoretisches, ja, fast philosophisches Bekenntnis der jungen Demokratie, in der total(itär)e Hierarchien unerwünscht waren. War das falsch? Schlösser, Palais und Herrenhäuser passten nicht in ein reumütiges Deutschland, das sich in Sachen Demokratie erst beweisen musste. Das Volk sollte im Zentrum stehen, nicht (ehemals) Privilegierte.
Das Nationaltheater am Goetheplatz ist gerade in dieser Hinsicht ein Musterexempel: Auf geschickte Weise durchdringt der öffentliche Raum der Straße das gläserne Foyer des Theatergebäudes. Es entsteht eine antihierarchische Situation zwischen Innen und Außen. Das ist fein überlegt. Dass man vor einiger Zeit das Gebäude von Architekt Gerhard Weber vielleicht dennoch abgerissen hätte, wenn der Denkmalschutz nicht seine schirmende Hand darüber gehalten hätte, gehört zum Schicksal der Moderne. Allein die Baumaterialien altern unschön.
So steht dann eben auch am Ende der sehnliche Wunsch: Mehr Mut, sich auf die Diskussion der Rekonstruktion einzulassen, ohne in ideologischen Starrsinn zu verfallen und mit radikalisierenden Meinungen und Dogmen zu argumentieren. Mannheim, seine Zukunft und Schönheit, sollten es uns wert sein.
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