Ludwigshafen. Am Wochenende wird der unvermeidliche Schnitt gesetzt: An diesem Samstag verleiht das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen seinen Filmkunst- und Publikumspreis. Am Sonntagabend geht die 18. Ausgabe dann zu Ende. Wer hätte den Hauptpreis nun am ehesten verdient? Dass Andreas Dresen sich dafür anbietet, versteht sich fast von selbst. Er, der erfolgsverwöhnte Spezialist für Facetten der Menschlichkeit unter den Filmemachern, schlug bislang nur implizit politische Töne an. In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ macht er es nun doch expliziter. Wobei er es vermeidet, die Handlungsweise des „deutschen Taliban“ Murat Kurnaz selbst näher zu beurteilen.
Dessen Fall wird aus der Perspektive der beherzten Mutter erzählt. Durch sie und den Menschenrechtsanwalt, der sie vertritt, gespielt vom wandlungsreichen Alexander Scheer, wird vorgeführt und bestätigt, dass ein Rechtsstaat Verdächtigen kein faires Verfahren verweigern darf, und das steht eben auch terrorverdächtigen Gefangenen in Guantanamo zu.
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Menschliche Geschichte
Die menschliche Geschichte ist die der türkischstämmigen Mutter, für deren Rolle die (Comedy-)Darstellerin Meltem Kaptan mehrfach ausgezeichnet wurde. Ihre Vitalität, ihr Lebensmut und die Aufopferungsbereitschaft für ihre Kinder beeindrucken; ihre pragmatischen Weisheiten („Heimat ist, wo man satt wird“), ihr Witz und die Gabe, komplexe Sachen auf grundlegende Wahrheiten herunterzubrechen, sind zudem sehr vergnüglich. Souverän operiert Dresens Regie zwischen Witz und bitterer Realität; mal wirken die Pole vermittelt, dann treffen sie unversöhnt aufeinander, woran die Mutter zu zerbrechen droht. So wird das Publikum einem Wechselbad der Empfindungen ausgesetzt. Zugleich fordert der Film eine entschiedene Haltung und plädiert klar für Verfassungspatriotismus.
Spannungsreich komponiert
Ungeachtet solcher Eindeutigkeit, operiert Regisseur Till Endemann in seinem für die ARD produzierten Spielfilm „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ dennoch viel geradliniger. Sensibel entwickelt er die Geschichte von der todkranken Fotografin Karla und ihrem eher unbeholfenen Sterbebegleiter Fred, in deren Rollen Iris Berben und Godehard Giese mehr als souveräne Vorstellungen liefern.
Freds verständiger Teenager-Sohn Phil (Claude Heinrich) vermittelt mit ästhetischer Empfänglichkeit zwischen den Persönlichkeiten. Und so lernt hier schließlich jeder von jedem. Einmal mehr wird klar: Das Leben versteht man am ehesten von seinem Ende her; erst der Tod lehrt uns recht, was es heißt, bewusst zu leben. Für diesen Film spricht, dass er dem einen durchaus auch witzigen, pointierten Ausdruck zu verleihen versteht.
Gegenüber solchen Werken kann die Komödie „JGA: Jasmin. Gina. Anna“ um drei bindungswillige Freundinnen um die dreißig, die seit langem solo sind, nur sehr schlicht erscheinen. Man mag ihre schrillen Töne unterhaltsam finden, die besonders auf einem gemeinsamen Trip nach Ibiza entfaltet werden, oder auch geeignet für einen nett-beschaulichen Spätsommerabend am Rhein - aber in die Konkurrenz um einen Filmkunstpreis passt diese Komödie von Regisseur und Drehbuchautor Alireza Golafshan kaum.
Mit „Nicht ganz koscher“ von Stefan Sarazin und Peter Keller sowie Leander Haußmanns „Stasikomödie“ (wir berichteten) sah man in Ludwigshafen zum Glück auch wesentlich komplexere, hintergründigere, schon von daher wesentlich überzeugendere und viel eher preiswürdige Stücke dieses Genres. „Wunderschön“, inszeniert von Schauspielerin Karoline Herfurth mit ihr selbst in einer Hauptrolle, reiht sich ebenfalls hier ein.
In dieser auch insgesamt hochkarätig besetzten Komödie, die stellenweise eher ein Melodrama ist und wie auch die Filme Dresens und Haußmanns bereits vergleichsweise erfolgreich im Kino lief, stehen ebenfalls Frauen im Zentrum. Es sind hier fünf, die für ganz unterschiedliche Facetten und Lebensphasen stehen - und die doch alle mit dem allgegenwärtigen Sozialdiktat der (körperlichen) Selbstoptimierung, Selbstverwirklichung und Hochleistung hadern. Auch hier geht es um eine Selbstbefreiung, wie in „JGA“, aber doch viel differenzierter und zugleich entschiedener. Und auch die am Prinzip des Ensemblefilms orientierte spannungsreiche Komposition überzeugt viel eher.
Sie will es allen recht machen
Zeitloser, aber gleichfalls differenziert wirkt die ebenso um eine Frauenfigur gestrickte Komödie „Alle wollen geliebt werden“ von Katharina Woll. Es allen recht machen zu wollen, bleibt ein vor allem weibliches, mütterliches Stereotyp, dem hier die in Ludwigshafen mit dem Schauspielpreis geehrte Anne Ratte-Polle als alleinerziehende Psychologin einen fulminanten Ausdruck gibt. Wer also hätte den Hauptpreis am ehesten verdient? Die Qual der Wahl liegt nun bei der Fachjury. Weil ihr auch Filmemacher Andreas Kleinert angehört, kann dessen preisgekrönter, in Ludwigshafen gezeigter Film „Lieber Thomas“ (wir berichteten) nicht gekürt werden, obwohl auch er es sicher verdient hätte. Kleinert muss gemeinsam mit Schauspielerin Barbara Philipp und Produzent Wolfgang Esser einen anderen würdigen Preisträger - oder eine Preisträgerin - finden. Wer es wird, erfährt man am Samstagabend.
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