Ludwigshafen. Plötzlich brechen alle Dämme: Als Rainer Bock auf dem Festival des deutschen Films von Michael Kötz den Preis für Schauspielkunst überreicht bekommt, stürzen zwei Dutzend Fans im Kinozelt nach vorne, um mit gezückten Handys ein Foto von ihrem Idol zu machen. Gerade so, als wäre es ein Popstar. Nur mit Mühe gelingt es Festivalmitarbeitern, die Heranstürmenden im Zaum zu halten.
Dabei umgibt das Objekt der ekstatischen Zuneigung nicht einmal den Hauch des Glamourösen, es hat vielmehr ein Allerweltsgesicht. Festivalchef Kötz würdigt den Geehrten in seiner wie immer brillanten Laudatio als „ein Wunderkind des Schauspielens“. Bock, der in seinem Beruf erst im Alter von 27 begann und nach Jahren auf der Theaterbühne mit Mitte 50 seine Filmkarriere startete, habe derart viele Rollen verkörpert, „dass man glaubt, ihn so gut zu kennen wie den, der bei uns zwei Häuser weiter wohnt“.
Rainer Bock hat unzählige Rollen brillant verkörpert
Minutenlang listet der Festivalintendant in einer eindrucksvollen Litanei vielfältigste Charaktere auf, die Bock in den vergangenen Jahren dargestellt hat: darunter ein Möbelpacker, ein BKA-Beamter, ein Kardinal, ein SS-Mann, ein Hausmeister, ein Hobby-Imker. Der Mann mit dem Allerweltsgesicht, möchte man anfügen, vermag jede nur erdenkliche Figur mit Leben zu erfüllen. Kötz erklärt Bocks Schauspielkunst mit einer „Dialektik von Zeigen und Verschweigen“. Er zeige sein Gesicht immer seltsam verschlossen, „als wäre es eine Landschaft gut verborgener Wahrheiten, hintergründigen Wissens, heimlicher Gedankengänge“.
Heute reißt sich die ganze Branche, hierherzukommen, und das zu Recht.
Der Preisträger bedenkt in seiner Dankesrede seinerseits den Intendanten und dessen Frau, Programmleiterin Daniela Kötz, mit Lob. Sie hätten in Ludwigshafen ein Festival auf die Beine gestellt, das seinesgleichen suche, erklärt Bock. Nirgendwo sonst werde man mit solcher Herzlichkeit und Wärme empfangen: „Heute reißt sich die ganze Branche, hierherzukommen, und das zu Recht.“
Film „Karla“ lebt vor allem durch die Darsteller
Mit Ovationen im Stehen feiert denn auch das Publikum den im Anschluss gezeigten Film „Karla“ von Christina Tournatzés, in dem Bock einen Richter spielt, der Anfang der 1960er Jahre - entgegen dem damaligen Zeitgeist - einem Mädchen Glauben schenkt, das seinen Vater wegen sexuellen Missbrauchs anzeigt. Mit großer Intensität und Sensibilität stellt Bock die Befindlichkeit dieses Richters dar: anfangs skeptisch, dann aber der zwölfjährigen Karla zusehends vertrauend und dennoch lange zweifelnd, ob ein Prozess Erfolg haben könnte. Denn das Mädchen, exzellent gespielt von Elise Krieps, kann nicht über die erlittenen Grausamkeiten sprechen.
Die Sprachlosigkeit wird zum eigentlichen Thema dieses Films, der vor allem durch die beiden Hauptdarsteller lebt. Doch er ist bleischwer inszeniert, was in Anbetracht des Sujets zwar nahe liegt. Gleichwohl könnte man sich vorstellen, dass eine französische oder englische Produktion einen solchen Problemfilm anders realisiert hätte. Obwohl auf einem wahren Fall basierend, ist „Karla“ auch ein Justizmärchen, bei dem ein Richter die Ermittlungen führt (!) und die Protagonisten nicht immer zeitgemäß und stimmig wirken. Einmal mehr scheint hier Attitüde wichtiger als Authentizität.
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