Kommunalpolitik-Geschichte

Wie SPD-Kandidat Widder vor 40 Jahren die Mannheimer OB-Wahl gewonnen hat

Vor 40 Jahren, am 17. Juli 1983, stehen sich im zweiten Wahlgang die Oberbürgermeister-Kandidaten Gerhard Widder (SPD) und Roland Hartung (CDU) gegenüber. Sieger ist damals - entgegen vieler Erwartungen - der Sozialdemokrat

Von 
Konstantin Groß
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Stimmabgabe zum ersten Wahlgang der OB-Wahl am 3. Juli 1983: Gerhard Widder mit Ehefrau Karin. © MM-Archiv

SPD-Kreisgeschäftsführer Wolfgang Eller ist geschockt: Gerade zeigt ihm ein Genosse das Flugblatt, mit dem die Partei zum Wahlkampfstart im Mai 1983 für ihren Oberbürgermeister-Kandidaten wirbt. „So wird das aber nichts, denn da ist schon alles rum“, sagt der Mann mit bitterem Unterton und zeigt auf den Satz: „Am 5. Juli Gerhard Widder wählen!“ Denn die betreffende Abstimmung findet bereits zwei Tage zuvor statt, nämlich am 3. Juli 1983.

Der Patzer, er wird jedoch keineswegs zum Menetekel. Entgegen der Erwartungen der meisten Beobachter und vor allem entgegen der Hoffnungen der politischen Gegner siegt ein bedrängter SPD-Kandidat - anders als im zweiten Wahlgang der OB-Wahlen in diesem Jahr - genau vor 40 Jahren, am 17. Juli 1983, in der Stichwahl über den Bewerber der CDU. Und begründet damit eine kommunalpolitische Ära, die fast zweieinhalb Jahrzehnte währen soll.

Schwierige Lage für die SPD

Doch das ist anfangs keineswegs sicher. Drei Jahre zuvor, im Sommer 1980, gewinnt der bisherige SPD-Stadtkämmerer Wilhelm Varnholt eher mühsam den Kampf um die Nachfolge seines Genossen Ludwig Ratzel, der seit 1972 amtiert hatte; im ersten Wahlgang kommt er lediglich auf 49,2, der CDU-Mann Roland Hartung auf 47,8 Prozent. Varnholts plötzlicher Tod in Afrika am 5. April 1983 trifft seine Partei naturgemäß völlig unvorbereitet. Wer soll für die SPD nun antreten?

Stimmabgabe zum ersten Wahlgang die Zweite: CDU-Kandidat Roland Hartung mit Ehefrau Angelika. © MM-Archiv

Als Erster bekundet Manfred David, seit 1967 Kultur-, Schul- und Sportbürgermeister, sein Interesse. David ist in der Bevölkerung populär, aber nicht in seiner Partei. Andere wünschen sich den jungen Volker Hauff, der für neue Aufgaben empfänglich ist, nachdem er im Jahr zuvor durch den Sturz der Regierung Schmidt in Bonn seinen Posten als Bundesverkehrsminister verloren hat. Doch auch der ist der örtlichen Parteiführung nicht genehm (und darf, quasi als Trostpflaster, sechs Jahre später als OB von Frankfurt antreten - und dort gewinnen).

„Mannheimer Lösung“

Nein, die örtliche Parteiführung unter dem Kreisvorsitzenden Karl Feuerstein präferiert eine hauseigene Lösung: Gerhard Widder, 43 Jahre jung, seit 1975 Gemeinderat aus dem Stadtteil Vogelstang, erst seit 1980 Vorsitzender der SPD-Fraktion und daher kaum bekannt. Durchaus ein Risiko. Denn sein Gegner ist ein bekannter Kommunalpolitiker: Roland Hartung, Chef der CDU-Gemeinderatsfraktion, Stimmenkönig bei den Kommunalwahlen, sowohl 1972 als auch 1980 OB-Kandidat der CDU, zuletzt nur knapp unterlegen. Noch einmal tritt er an, will es nun wissen.

20 Jahre nach ihrem Zweikampf: Widder als OB und Hartung als MVV-Chef 2003. © MM-Archiv

Die Großwetterlage scheint für ihn günstig. Im Herbst 1982 geht in Bonn die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt den Bach runter. CDU-Chef Helmut Kohl wird Kanzler, seine Partei gewinnt im März 1983 die Bundestagswahlen - und mit der resoluten Professorin Roswitha Wisniewski auch den Wahlkreis Mannheim-Süd; alleine Mannheim-Nord bleibt die letzte rote Bastion in Baden-Württemberg.

Hinzu kommt: Anders als 1980 gibt es diesmal keinen OB-Kandidaten der Mannheimer Liste, also keine Konkurrenz im bürgerlichen Lager. Ganz anders als im linken Lager, wo der angesehene DKP-Stadtrat Walter Ebert und der von den gerade gegründeten Grünen unterstützte Andreas Kostarellos antritt. Innerhalb der SPD gibt es zudem Friktionen: Die Ehefrau von Manfred David verlässt die Partei aus Protest dagegen, wie diese mit ihrem Mann verfährt. Der frühere SPD-OB und Ehrenbürger Ludwig Ratzel bekennt sich offen zum CDU-Mann Hartung.

Doch auch der hat seine Probleme: Ihm machen die sozialen Kürzungen der Bundesregierung bei BAföG, Wohngeld und vor allem den Renten das Leben schwer. Die SPD setzt ganz auf die bundespolitische Karte, Parteichef Willy Brandt greift in den Wahlkampf ein, will und braucht einen Sieg als bundesweites Zeichen, dass die SPD noch da ist.

Das Ergebnis ist - bei einer Wahlbeteiligung von rund 62 Prozent - eine Überraschung: Mit 49,5 Prozent verfehlt Widder nur knapp die absolute Mehrheit. Hartung holt 45,6 Prozent, Andreas Kostarellos 2,1 Prozent, Walter Ebert 1,6 Prozent.

Der Wahlatlas damals stellt sich völlig anders dar als heute. In den Stadtbezirken Innenstadt/Jungbusch und Schwetzingerstadt/Oststadt - heute eine der wenigen, die mehrheitlich für Thorsten Riehle votierten - liegt die CDU klar vorne; Sandhofen, Schönau, Waldhof und Vogelstang dagegen, heute komplett schwarz, sind 1983 noch uneinnehmbare Bastionen der SPD.

Am Wahlsonntag frische Brötchen

Dennoch gilt das Rennen vor der Stichwahl am 17. Juli als offen. Und noch einmal zeigt sich die Mobilisierungskraft der SPD in ihrer Hochburg. Am Tag vor der Stichwahl kommt Willy Brandt erneut und klappert mit Widder Sommerfeste in den Stadtteilen ab. Längst legendär auch die SPD-Lieferung von drei frischen Brötchen pro Haushalt, derer sich am Wahlsonntag die Bürger vor allem auf der Schönau, dem Luzenberg und in der Neckarstadt-Ost erfreuen können.

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Noch einmal gehen knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Das Ergebnis ist entsprechend: Widder siegt mit fast 59 Prozent, Hartung landet mit 41 abgeschlagen. Der Stadtteil Schönau verzeichnet 78,5 Prozent für den SPD-Mann, auf dem Waldhof immerhin noch 74,8 Prozent. Am vorletzten Sonntag liegt auf der Schönau CDU-Kandidat Specht mit 60 (!) zu 38 Prozent vor Riehle (SPD), auf dem Waldhof mit 59 zu 40 Prozent - die Zahlen zeugen von dramatischen Verwerfungen der politischen Tektonik.

Sogar Willy Brandt begeistert

„Noch nie vorher hatte ein Oberbürgermeisterkandidat so viele Stimmen“, kommentiert der „MM“ 1983 die 70 356 Stimmen für Widder. Zum Vergleich: Christian Specht wird mit rund 36 000 Stimmen OB. Auch bundesweit erfährt der Sieg Widders große Resonanz. In der Mitgliederzeitung der SPD schwärmt Willy Brandt über die Leistung der Genossen in Mannheim: „Wir sollten uns alle hieran ein Beispiel nehmen.“

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„Wie der 43 Jahre junge Gerhard Widder, der vor drei Monaten beim breiten Publikum noch ein ganz unbeschriebenes Blatt war, das geschafft hat, ist erstaunlich“, wundert sich „MM“-Lokalchef MacBarchert. Es wird der Beginn einer kommunalpolitischen Ära, die bis 2007 währt.

Roland Hartung wird 1988 Chef des städtischen Energiekonzerns MVV und bleibt dies bis 2003, 2001 als „Energiemanager des Jahres“ ausgezeichnet. Widder wird nach Ausscheiden aus dem Amt 2007 Ehrenbürger der Stadt. Er ist heute 83, Hartung 87 Jahre alt. Beide verfolgen die Kommunalpolitik nach wie vor interessiert, aber weitgehend fernab der Öffentlichkeit.

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