Kommunalpolitik

Thorsten Riehle im Interview: „Christian Specht ist es, der Mehrheiten finden muss“

Vor vier Wochen hat SPD-Fraktionschef Thorsten Riehle die Mannheimer OB-Wahl verloren. In seinem ersten Interview danach spricht er über die Aufarbeitung der Niederlage - und die Frage, ob er Dezernent werden will

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Sebastian Koch
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Fühlt sich in der Stadt trotz seiner Niederlage noch immer gebraucht: Thorsten Riehle. © Christoph Bluethner

Mannheim. Herr Riehle, auf den Tag genau vor vier Wochen, am 9. Juli, haben Sie die Wahl gegen Christian Specht verloren. Sie haben noch am Abend gesagt, dass Sie das akzeptieren und sich nun auf ein paar Tage Ruhe freuen. Wie haben Sie die Tage verbracht, und haben Sie das Ergebnis inzwischen verdaut?

Thorsten Riehle: Nein, das habe ich sicherlich noch nicht. Ich habe sieben Monate lang sieben Tage die Woche und jeden Tag fast 24 Stunden auf dieses Ziel hingearbeitet. Da brauche ich noch eine Weile, um ein solches Ergebnis zu verarbeiten. Hinzu kommt, dass es in den letzten Wochen mit dem Abschied von Peter Kurz politisch noch einiges zu tun gab - mehr, als ich mir gewünscht hatte. Das Ganze ist dann in der Sondersitzung des Gemeinderats gegipfelt. So richtig konnte ich noch nicht abschalten. Das wird kommen, wenn ich Ende August, Anfang September in den Urlaub fahre und auch kilometertechnisch etwas Abstand gewinnen kann.

Ihre Partei hat die Niederlage nicht öffentlich, sondern nur intern aufgearbeitet. Haben Sie die Kritik daran nachvollziehen können?

Riehle: Nein. Überhaupt nicht.

Warum nicht?

Riehle: Weil man der SPD nach der Zäsur, die wir erleben, zugestehen muss, sich auch mal intern zu besprechen. Wir können Dinge nicht immer auf dem Präsentierteller liefern. Das wird auch der Situation nicht gerecht. Man kann das kritisieren. Der Kritik stellen wir uns auch. Was man aber nicht darf, ist uns in irgendeiner Weise mit der AfD zu vergleichen. Das ist eine Grenze, die deutlich überschritten worden ist. Deshalb bin ich froh, dass sich gegen diesen Vergleich auch starker Widerstand geregt hat.

SPD-Fraktionschef

  • Thorsten Riehle wurde am 16. April 1970 in Mannheim geboren.
  • Einem Grundstudium in Politologie, BWL und Erziehungswissenschaften folgte eine Redakteursausbildung bei der „Schwetzinger Zeitung“. Von 1997 bis 2023 leitete er das Kulturhaus Capitol.
  • Seit 2014 im Gemeinderat, übernahm er Ende 2020 den Vorsitz der SPD-Fraktion.
  • Im Juli unterlag er bei der OB-Wahl im zweiten Wahlgang Christian Specht. Beide trennten 859 Stimmen, was 1,2 Prozentpunkten entspricht.

Wählerinnen und Wähler haben aber doch ein Interesse daran, zu erfahren, was die Partei bespricht. Was ist bei der internen Aufarbeitung rausgekommen? Warum hat die SPD nach mehr als 50 Jahren das Rathaus verloren?

Riehle: Ich kann Ihnen meine Bewertung schildern. Die Situation hat sich kolossal verändert. Die roten - oder auch schwarzen - Hochburgen von vor 40 oder 50 Jahren gibt es heute nicht mehr.

Christian Specht hat auch viele Wahlkreise im Norden gewonnen, die früher klassisches SPD-Gebiet waren.

Riehle: Wir leben inzwischen in einer Zeit, in der die Parteienbindung lange nicht mehr so stark ist wie früher. Außerdem bin ich gegen einen gefühlten Amtsinhaber angetreten. Auch die geringe Wahlbeteiligung, die uns alle umtreiben muss, war ein Faktor. Nicht zuletzt haben die Dinge, die in Berlin in letzter Zeit passiert sind und verhandelt wurden, nicht unbedingt dazu geführt, dass ich als SPD-Kandidat und der des linken Lagers Rückenwind bekommen habe. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass uns die historische Schwierigkeit des linken Lagers, sich zu einen, einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Das alles sind kleine Punkte, die dazu beigetragen haben, dass es nicht gereicht hat.

Am Ende haben etwa 800 Stimmen gefehlt. Hatten Sie mit einem so knappen Ausgang gerechnet?

Riehle: Die Mehrheit hat sich anders entschieden, als ich es erhofft hatte. Ich finde den Unterschied von mehr als 800 Stimmen auch gar nicht so gering. Natürlich ist es aber das engste Rennen gewesen, das es in Mannheim je gab. Wenn die Wahlrechtsreform in Baden-Württemberg schon zum 1. Juli in Kraft getreten wäre und nur die beiden besten aus dem ersten Wahlgang nochmals hätten antreten dürfen, hätte das auch nochmal für eine Veränderung im Stimmverhalten sorgen können.

Der Wahlkampf ist eine tolle Zeit gewesen, die großen Spaß gemacht hat. Dass es am Ende nicht geklappt hat, gehört ein bisschen zur Tragik der Situation.
Thorsten Riehle

Welche Rolle hat die Kampagne gespielt, mit der Sie Wahlkampf gemacht haben?

Riehle: Ich denke nicht, dass wir da etwas falsch gemacht haben. Im Gegenteil. Die Kampagne hat funktioniert. Mein Bekanntheitsgrad ist in kurzer Zeit unheimlich gewachsen. Auch die Themen sind die richtigen gewesen. Das zeigen die vielen Rückmeldungen, die ich noch immer bekomme. Das ist etwas, das mir niemand nehmen kann - und was auch bleibt. Der Wahlkampf ist eine tolle Zeit gewesen, die großen Spaß gemacht hat. Dass es am Ende nicht geklappt hat, gehört ein bisschen zur Tragik der Situation.

Warum ist es weder Ihnen noch Christian Specht gelungen, mehr Menschen zur Wahl zu bewegen?

Riehle: Das ist eine gesamtgesellschaftliche und keine politische Frage, bei der ganz viele - nicht nur Christian Specht oder ich - in die Pflicht genommen werden müssen: Medien, Schulen, auch Vereine oder Verbände. Es gibt eine ganz breite Verantwortung für die Frage, wie wir unsere Demokratie wahrnehmen und was wir aus ihr machen. Das allein nur Politikern und Parteien aufzudrücken, ist zu kurz gedacht. Da braucht es andere Ansätze. Wir müssen uns in Mannheim, aber auch überall anderswo Gedanken darüber machen, was es heißt ,Demokratie braucht Demokraten und Demokratinnen’. Wenn uns die zunehmend verloren gehen, weil die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, nicht ernstgenommen zu werden und sich thematisch nicht wiederzufinden, müssen wir daran insgesamt arbeiten. Das ist die eigentliche Aufgabe für die künftigen Jahre und Jahrzehnte: Wie schaffen wir es, den Menschen klarzumachen, dass Politik eigentlich etwas ist, das helfen soll, gemeinsam bestimmte Ziele zu erreichen?

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Warum gelingt das im Moment nicht mehr?

Riehle: Es gelingt, aber viel zu wenig. In der Politik geht es oft um Kompromisse, die immer nur ein Teil von etwas und eben nicht das Ganze sind. Wir müssen deshalb viel besser erklären, um was es geht. Das habe ich auch im Wahlkampf gesagt. Wir müssen raus in die Stadtteile und Stadtbezirke und uns dort den tatsächlichen Problemen stellen. Wir müssen gemeinsam mit den Menschen überlegen, was wir verändern können. Gerade die Lokalpolitik steht nicht im Verdacht, im Parteiengeplänkel zu versinken. Wir arbeiten ja gemeinsam daran, wie wir die Stadt voranbringen. Sicherlich passiert das immer in Abwägungen und sicherlich auch mit Zielkonflikten, aber letztlich eben gemeinschaftlich. Die Demokratie zu stärken, das ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam schaffen.

Sie haben am Wahlabend gesagt, dass Sie nun gemeinsam mit Oberbürgermeister Specht Politik gestalten wollen, solange die Ziele die gemeinsamen sind. Die Frage an den Vorsitzenden der zweitstärksten Fraktion: Wie schwer wird es, dass Gemeinderat und ein Oberbürgermeister ohne eigene Mehrheit zusammenarbeiten?

Riehle: Christian Specht hat vor ein paar Tagen in einem Interview zu einer „Koalition der Willigen“ aufgerufen. Zu einer Koalition der Willigen gehört zuallererst der Wille. Den muss jetzt vor allem der neue Oberbürgermeister zeigen - indem er die Themen so angeht, dass er eine Mehrheit im Gemeinderat findet. Einfach nur zu formulieren, er habe zwar keine eigene rechts-konservative Mehrheit, deswegen brauche er jetzt die Willigen, finde ich schwierig. Er ist es, der Mehrheiten finden muss. Wir haben im Wahlkampf sicherlich etliche Schnittmengen gesehen. Aber es hat auch Dinge gegeben, in denen wir uns deutlich unterschieden haben.

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Zum Beispiel?

Riehle: Herr Specht hat davon gesprochen, dass die Klimaneutralität 2030 nicht mehr zu erreichen sei. Wenn ich das Ziel aber jetzt schon aufgebe, brauche ich mich gar nicht auf den Weg zu machen. Das ist etwas, womit er bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen Schwierigkeiten bekommen wird. Es gibt aber auch Punkte, in denen wir deckungsgleich sind: Der Ausbau von Kinderbetreuungsplätze oder Investitionen in Schulen, das fordern wir auch schon lange. Da wird er unsere Unterstützung bekommen. Warum denn auch nicht?

Sie haben oft gesagt, dass es für Sie im Falle einer Niederlage beruflich keinen Plan B gibt, nachdem Sie sich vom Capitol zurückgezogen haben. In den letzten Tagen hieß es häufiger, dass Sie Michael Grötsch als Bürgermeister für Kultur, Wirtschaft und Soziales beerben wollen. Das Dezernat fällt an die SPD. Werden Sie neuer Bürgermeister?

Riehle: Das ist eine Entscheidung der Fraktion.

Hat sie sich schon entschieden?

Riehle: Nein. Das entscheiden wir im Herbst.

Ihnen fehlt ein abgeschlossenes Hochschulstudium, das bislang als Voraussetzung für einen Dezernentenposten galt.

Riehle: Ja. Es hat auch noch keinen Beschluss gegeben, diese Voraussetzung abzuschaffen. Es ist aber so, dass wir mit anderen Fraktionen darüber sprechen, über diese Voraussetzungen nachzudenken. Die Frage, ob es ein abgeschlossenes Hochschulstudium braucht, um Oberbürgermeister dieser Stadt zu werden, hat ja auch den Wahlkampf mitbestimmt. Das Ergebnis könnte auch so interpretiert werden, dass die eine Hälfte sagt, man braucht das - aber die andere die Meinung vertritt, dass man das nicht braucht. Deshalb ist es legitim, darüber nachzudenken, ob wir die Situation grundsätzlich verändern. Momentan schließen wir per se bestimmte Menschen aus, die aufgrund ihres Werdegangs und beruflicher Erfahrung eine Expertise einbringen können, die dieser Stadt vielleicht fehlt und ihr guttun würde. Das halte ich grundsätzlich für falsch.

Also streben Sie dieses Amt an.

Riehle: Das habe ich noch nicht entschieden. Über die Frage will ich in den nächsten Wochen nachdenken. Aus diesem Grund ist es mir auch wichtig gewesen, die Entscheidung über den Ausschreibungstext im Ältestenrat zu verschieben, um alle Optionen zu haben. Im Herbst werden wir dann miteinander darüber sprechen.

Trauen Sie sich das Amt denn zu?

Riehle: Ich wollte Oberbürgermeister werden. Natürlich traue ich mir dann auch dieses Amt zu.

Das Wahlergebnis zeigt auch, dass es in der Stadtgesellschaft eine tiefe Spaltung gibt, aus der ich eine Verantwortung ableite.
Thorsten Riehle

Aber genau deshalb stelle ich die Frage. Sie haben ein halbes Jahr lang gegen Christian Specht Wahlkampf geführt. Können Sie dann jetzt mit ihm als Oberbürgermeister gemeinsam auf der Dezernentenbank sitzen?

Riehle: Das ist unter anderem eine der Fragen, die ich in den nächsten Wochen für mich bewerten muss. Man darf aber auch eine Sache nicht vergessen, die mir wichtig ist: Das Wahlergebnis zeigt auch, dass es in der Stadtgesellschaft eine tiefe Spaltung gibt, aus der ich eine Verantwortung ableite. Ich habe nach dem zweiten Wahlgang viele Rückmeldungen bekommen, die eine große Erwartungshaltung an mich formulieren und mir signalisiert haben, dass ich gebraucht werde. Dieser Situation will ich gerecht werden und mich nicht wegducken, indem ich Mannheim beruflich und politisch verlasse, was auch eine Option wäre. Für mich geht es jetzt um die Frage, ob ich das als Fraktionsvorsitzender machen werde oder ob ich auf Verwaltungsseite - als Dezernent - Kommunalpolitik im Sinne unserer Stadt gestalten kann. Diese Frage werde ich im Sommer zunächst für mich und anschließend dann gemeinsam mit Fraktion und Partei beantworten.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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