Serie "Die verlorenen Jahre" - Teil 6

Warum sterben die Mannheimer früher als die Heidelberger, Herr Kurz und Herr Würzner?

Von 
Martin Geiger , Karsten Kammholz und Daniel Kraft
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Mannheim und Heidelberg - zwei Städte, zwei Oberbürgermeister, ein Thema: die Lebenserwartung. Im Rosengarten am Mannheimer Wasserturm haben wir Peter Kurz (l.) und Eckart Würzner getroffen. © Christoph Bluethner

Das Wichtigste in Kürze

  • Statistisch gesehen haben Menschen in Mannheim die niedrigste und in Heidelberg die höchste Lebenserwartung in Baden-Württemberg.
  • Warum ist das so? In unserer Serie "Die verlorenen Jahre" begeben wir uns auf Spurensuche.
  • Im abschließenden Teil 6 sprechen wir mit den Oberbürgermeistern von Mannheim und Heidelberg
  • Bei einem Doppelinterview haben wir Peter Kurz und Eckart Würzner gefragt: Warum sterben die Mannheimer früher als die Heidelberger?

Herr Kurz, Herr Würzner, wie alt wollen Sie werden?

Peter Kurz: Möglichst alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung würde ich auf jeden Fall gerne erreichen – und wenn es ein paar Jahre mehr sein sollten, wäre es auch recht.

Eckart Würzner: Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen, meine Urgroßmutter hat uns bekocht, bis sie mit 96 Jahren krank geworden und dann verstorben ist. Ich fand es großartig, sie so lange erleben zu dürfen. Darum ist das zwar nicht meine Erwartung, so alt zu werden, aber freuen würde es mich schon. Wichtiger als das absolute Alter ist mir jedoch, möglichst ohne Beschwerden alt zu werden.

Herr Kurz, als Mannheimer Bürger haben Sie rein statistisch betrachtet weniger Lebenszeit zu erwarten als der Heidelberger Bürger Würzner. Was löst das bei Ihnen aus?

Kurz: Da ich weiß, dass alleine die Tatsache, dass ich Mannheimer bin, meine individuelle Lebenserwartung sehr viel weniger beeinflusst als meine persönliche Lebensführung, messe ich dem für mich persönlich keine Bedeutung zu.

Herr Würzner, warum steht Heidelberg bei der Lebenserwartung so gut da?

Würzner: Es liegt mit Sicherheit nicht nur daran, dass sehr viele Heidelberger sehr sportlich sind, sich fit halten und gesund ernähren. Oder daran, dass die Dichte der Ärzte und Kliniken im Vergleich zu Mannheim höher ist. Sondern es liegt vor allem auch daran, dass wir in Heidelberg eine Bevölkerungsstruktur haben, die eine gute Einkommenssituation und ein sehr hohes Bildungsniveau hat.



Und warum steht Mannheim so schlecht da, Herr Kurz?

Kurz: Es sind ganz eindeutig die sozialen Faktoren, die dabei die entscheidende Rolle spielen. Das ist an vielen Stellen untersucht worden. Weder Ärzte- noch Bevölkerungsdichte können die Unterschiede so gut erklären wie die soziale Situation. Dazu zählen Einkommen, Wohnungs- und Arbeitssituation und als wesentlicher Faktor auch der Bildungsgrad. Wobei man hier auch sagen muss: Wir sprechen da von einem Durchschnittswert. Die Spreizung innerhalb der Stadt ist sicher größer als die zwischen Mannheim und Heidelberg. Bei uns ist der Anteil an Menschen mit sozialen Problemlagen aber so hoch, dass sich das in der Gesamtbetrachtung niederschlägt. Um mal ein Beispiel zu nennen: 31 Prozent aller Kinder in Mannheimer Kindertagesstätten erhalten Unterstützungsleistungen. Das zeigt die Dimension.

Fast 50 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund schaffen es bei uns aufs Gymnasium.
Eckart Würzner Oberbürgermeister Heidelberg

Wie viele sind es in Heidelberg?

Würzner: Etwa zehn Prozent, wenn man von den klassischen Sozialleistungen ausgeht. Dazu kommen viele, die von unseren Programmen wie dem Heidelberg Pass Plus profitieren. Zwei andere Zahlen sind für mich aber noch wichtiger: 66 Prozent unserer Grundschüler gehen nach der vierten Klasse aufs Gymnasium. Das ist schon außergewöhnlich hoch. Außerdem schaffen fast 50 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund den Sprung aufs Gymnasium: Das ist bundesweit einer der höchsten Werte überhaupt.

Kurz: Mich hat immer eine andere Zahl beeindruckt, die ich über Heidelberg gelesen habe: Etwa 45 Prozent der Erwachsenen dort haben eine akademische Ausbildung. Zum Vergleich: In Mannheim sind es keine 25 Prozent.

Würzner: Ja, die Einkommenssituation der Familien, die bei uns wohnen, ist schon sehr interessant. Unser Statistikamt hat mal ausgerechnet, dass der Anteil an Hochverdienern bei Heidelbergern, die keinen deutschen Pass haben, höher ist als bei Heidelbergern mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das zeigt, dass sehr viele internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – aus den USA, China, Südkorea – mit besonders hohem Bildungsniveau zu uns kommen. Fast 70 Prozent der Beschäftigten in Heidelberg arbeiten in wissenschaftsnahen oder forschungslastigen Unternehmen oder Einrichtungen. Das ist ein extrem hoher Anteil.

Die Oberbürgermeister



  • Peter Kurz (im Bild rechts) ist seit 2007 Mannheims Oberbürgermeister. 2015 wurde Kurz (SPD) für acht Jahre im Amt bestätigt.
  • Geboren wurde er 1962 in Mannheim. Dort hat er auch das Abitur absolviert und Jura studiert. Nach der Promotion arbeitete er als Richter am Verwaltungsgericht Karlsruhe.
  • Eckart Würzner (im Bild links) ist seit 2006 Oberbürgermeister in Heidelberg. 2014 wurde Würzner (parteilos) im Amt bestätigt.
  • Geboren wurde Würzner 1961 in Goslar. Er hat Geografie studiert und sich in seiner Dissertation mit einem Umweltthema beschäftigt. 2016 wurde er von der SRH Hochschule zum Honorarprofessor ernannt. mig

 

Spielen solche Gründe womöglich auch für die unterschiedlichen Corona-Infektionszahlen eine Rolle?

Würzner: Mit Sicherheit. Das hat sogar das Robert Koch-Institut erklärt.

Kurz: Wir haben das auch immer klar so kommuniziert. Und darum sind wir auch mit unseren Impfaktionen in die Quartiere gegangen, um für einen gewissen Ausgleich zu sorgen. Jeder kann sich das an einem einfachen Beispiel vorstellen: Wenn eine vierköpfige Familie in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt, lassen sich innerfamiliäre Infektionen fast nicht verhindern. In einem Haus mit sechs Zimmern ist das etwas ganz anderes. An der Pandemie sieht man übrigens auch, wie die beiden großen Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit – Bildung und Gesundheit – miteinander verknüpft sind: Das lässt sich gar nicht voneinander trennen.

Welche konkreten Handlungsmaßnahmen ergeben sich für Sie aus der niedrigen Lebenserwartung in Mannheim, Herr Kurz?

Kurz: Zunächst einmal glaube ich nicht, dass wir hier ein größeres Problem haben als andere Städte unseres Zuschnitts. Das heißt aber nicht, dass ich keinen Handlungsbedarf sehe. Zu erwähnen sind unsere Frühen Hilfen und das Programm „Willkommen im Leben“, mit denen wir möglichst früh ansetzen. Auch nehmen fast alle Mannheimer Grundschulen am Gesundheitsförderungsprogramm „Klasse2000“ teil, das von den Lions Clubs unterstützt wird.

Reicht das?

Kurz: Natürlich nicht, der Haupthebel ist, die soziale Situation und den Bildungszugang zu verbessern. Da muss man aber sagen, dass der PISA-Schock leider nicht die richtigen bildungspolitischen Konsequenzen ausgelöst hat: Vor 20 Jahren wurde festgestellt, dass nirgends der Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad der Eltern und den Bildungschancen der Kinder größer ist als in Deutschland. Trotzdem hat sich seither wenig daran geändert. Das ist für mich extrem unbefriedigend. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung wird erstmals von einer an Sozialdaten orientierten Ressourcensteuerung im Bildungsbereich gesprochen – also davon, mehr Lehrkräfte dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Hoffentlich wird das konsequent verfolgt.

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Nun verweisen Sie auf die Bildungspolitik, die aber Ländersache ist. Heißt das, Kommunen können gar nichts machen?

Kurz: Nein, selbstverständlich können wir etwas tun und machen es auch. Schauen Sie sich nur unser Engagement für die Neckarstadt-West an: Ich behaupte, dass es bundesweit einmalig ist, wie wir uns seit Jahren mit allen Verwaltungsbereichen um diesen Stadtteil kümmern. In der Hochphase der Zuwanderung aus Osteuropa hatten wir bis zu 160 Problemimmobilien: Häuser, in denen Menschen auf engstem Raum unter unwürdigen Bedingungen lebten – bis hin zur Matratze im feuchten Keller. Inzwischen haben wir diese Zahl mit massivem Aufwand unter zehn gedrückt. Das haben wir zwar nicht primär mit der Motivation gemacht, die Lebenserwartung zu erhöhen. Aber das Ergebnis beeinflusst sie natürlich.

Würzner: Man darf auch nicht vergessen, dass die Kommunen insgesamt schon einiges getan haben. In der Vergangenheit war es grundsätzlich so, dass die Lebenserwartung wesentlich deutlicher von der Umwelt geprägt war. Wenn man sich an den London-Smog erinnert oder die Staubbelastung in vielen Städten: Das hat zu einer Übersterblichkeit geführt. Das hat sich alles deutlich verbessert. Inzwischen sprechen wir zwar mehr darüber, aber die Luft in den Städten ist viel besser geworden – weshalb es nun faktisch keine so große Rolle mehr spielt.

Kurz: Ich kann mich noch an die Einführung des Schwefelfilters im Grosskraftwerk Mannheim 1988 erinnern: Bis dahin war, wenn man aus dem Odenwald kam, immer eine gelbe Glocke über der Stadt sichtbar.

Bildung und Gesundheit sind die beiden großen Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit.
Peter Kurz Oberbürgermeister Mannheim

Die Politik hat beim Thema Umwelt also eine Steuerungswirkung gehabt, beim Thema Bildung aber offenbar nicht. Warum?

Kurz: Wir haben seit jeher eine ideologisch geprägte Auseinandersetzung über das Thema Bildung und sind aus diesen Gräben eigentlich nie rausgekommen. Darum formuliere ich es jetzt mal vorsichtig: Ein Bildungssystem, in dem das Gymnasium die Regelschule ist und in dem eine starke Minderheit von – je nach Stadt – 20 bis 48 Prozent gesagt bekommt „Dein Lebenserfolg ist eingeschränkt, weil du auf der falschen Schule bist“, ist schon vom Ansatz her falsch. Da gelingt es bereits am Anfang nicht, genau diejenigen mitzunehmen, die nicht vom Elternhaus auf Bildungserfolg orientiert werden. Diesen Startnachteil gleichen wir so nicht aus, sondern verstärken ihn sogar.

Wie lautet dann die Antwort?

Kurz: Es gibt verschiedene: Eine wäre eine Schule für alle. Eine andere wäre, zu sagen: Ja, es gibt ein besonderes Angebot wie das Gymnasium, das ist aber nicht das Regelangebot. Und Letzteres müsste dann auch eine deutliche Mehrheit erreichen und niemanden ausschließen. Bei unserem Diskussionsstand ist das leider kaum erreichbar. Das zweite Problem ist: Wir haben kein dezentrales Bildungssystem.

Aber die Bildungspolitik wird doch eben nicht vom Bund gemacht, sondern von den Ländern …

Kurz: Ja, aber das ist keine Dezentralisierung. Das sind 16 zentralistische Systeme – die den Schulen nicht die entsprechenden Freiheiten geben. Eigentlich müsste man den Kommunen mehr Verantwortung für die Schulen übertragen. Denn in der Tendenz, das belegen die Studien der OECD, sind dezentrale Schulsysteme besser als zentralistische; und solche, die nicht die Schülerschaft aufspalten, besser als die, die stark differenzieren.

Würzner: Ich habe da einen leicht anderen Ansatz. Ich glaube, wir diskutieren zu viel über Schulsysteme und vergessen dabei, dass es ganz profan darum geht, Geld zur Verfügung zu stellen. Wer im Kindergarten nicht schon integrierend Sprachförderung in Deutsch anbietet – sondern nur auf freiwilliger Basis – der wird es nie schaffen, alle Kinder bis zur vierten Klasse gut mitzunehmen. Dann haben viele von vornherein keine Chance. Darum befürworte ich auch eine gebundene Ganztagsschule.

Was heißt das?

Würzner: Dass es keine freiwillige Entscheidung sein darf, ob ich die Kinder nachmittags aus der Schule rausnehme oder nicht. Sonst finden wir etliche, die Unterstützung benötigen, an den Konsolen in den Spielabteilungen, wo sie aber nicht hingehören. Nur wenn man die Kinder über den Tag begleiten und unterstützen kann, können wir allen eine gute Perspektive bieten. Um das flächendeckend umzusetzen, an allen Grundschulen, braucht man richtig viel Geld – und das ist man zum Teil nicht bereit, in die Hand zu nehmen. Es gibt hervorragende Modellprojekte, die flächendeckende Einführung scheitert oftmals aber am Geld.

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Wünschen Sie sich auch eine höhere Verantwortung der Kommunen für diesen Bereich?

Würzner: Natürlich. Heutzutage ist es theoretisch ja so, dass die Kommune für das Gebäude und den Hausmeister verantwortlich ist und die Landesregierung für den Schulbetrieb. Wenn ich mich als Oberbürgermeister aber darauf beschränken würde, wären unsere Bildungsabschlüsse dramatisch schlechter! Wir sind nicht nur Hausmeister, wir sind diejenigen, die Schule als Ganzes sehen. Darum gibt es auch schon das regionale Bildungsbüro Mannheim- Heidelberg, wo wir gemeinsam an solchen Themen arbeiten. Und darum müssen wir in Zukunft auch über diese Zuständigkeiten reden und sie verbessern. Nur so kommen wir voran. Allerdings muss man das dann auch mit den entsprechenden Ressourcen ausstatten. Die Kommunen alleine können das nicht tragen. Sonst können es sich nur die erlauben, die eine gute ökonomische Situation haben – und nicht die, die es noch dringender brauchen.

Also wieder eher Heidelberg als Mannheim …

Würzner: Zurzeit bedingt das eine das andere, das muss man ganz ehrlich sagen. Natürlich ist Heidelberg auch Wohnstandort von vielen, die eine Beschäftigung in Mannheim haben. Aber es sind meistens die Menschen mit höherem Einkommen, die bei uns wohnen. Das begünstigt unsere Situation. Und dadurch ist dann wiederum eine stärkere Unterstützung möglich.

Ist das ungerecht, dass viele Menschen in Mannheim oder Ludwigshafen ihr Geld verdienen, es aber am Wohnort versteuern, der oft anderswo ist, Herr Kurz?

Kurz: Ich glaube, wir haben andere Gerechtigkeitsfragen als diese. Grundsätzlich ist Mannheim durch die Wertschöpfung, die es hier gibt, ja keine arme Stadt. Wir sind nicht Gelsenkirchen! Ich glaube eher, dass vor allem im Bildungsbereich die vom Land zu finanzierenden ausgleichenden Unterschiede in der Ausstattung nicht ausreichen, um die extremen Unterschiede bei den Anforderungen in den einzelnen Schulen auszugleichen. An der Stelle müssen wir besser werden. Da sind wir bei weitem noch nicht da, wo wir sein könnten und sollten.





Das Grundgesetz spricht in Artikel 72 von der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“. Gibt es die in Mannheim und Heidelberg?

Kurz: In dem Sinne, wie es das Grundgesetz meint, selbstverständlich: Hier fehlt es in der Infrastruktur an nichts! Heißt das aber auch, dass die Lebensverhältnisse tatsächlich überall gleich sind? Natürlich nicht. Das sind sie schon innerhalb der Städte nicht und werden es logischerweise auch nie werden. Dennoch müssen wir den Anspruch haben, Chancengerechtigkeit herzustellen.

Würzner: Also, ganz ehrlich, mir klingt die Frage etwas zu dramatisch: Jeder, der hier in der Region lebt, hat eine hervorragende Lebensperspektive. Global gesehen ist die Rhein-Neckar-Region auf einem absoluten Spitzenniveau! Fragen Sie mal Menschen irgendwo auf der Welt, wo sie leben wollen. Die Antwort lautet meistens: In Europa, am besten in Deutschland und da am besten in Baden-Württemberg. Ob Heidelberg oder Mannheim, ist am Ende dann gar nicht mehr so entscheidend. Das eine ist eine Wissenschaftsstadt, das andere von seiner Historie her eine Industriestadt. Beide sind über Jahrhunderte hinweg so gewachsen und ergänzen sich hervorragend: Das macht die Attraktivität unseres Standorts aus. Und darum betreiben wir schon lange keine Kirchturmpolitik mehr, sondern sehen uns als gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsraum. Denn so werden wir global auch wahrgenommen.

Herr Kurz, um was beneiden Sie Heidelberg?

Kurz: Um die Marke, die weltweit eine wahnsinnige Ausstrahlung hat. Die wissenschaftliche Exzellenz dort ist immer auch ein Treiber für Wertschöpfung und soziale Stabilität. Und davon profitiert die ganze Region, denn die Ausstrahlung macht nicht an der Stadtgrenze halt.

Und um was beneiden Sie Mannheim, Herr Würzner?

Würzner: Um die Urbanität, die es hier gibt, und die von vielen geschätzt und geliebt wird. Das ergänzt sich hervorragend mit unseren Stärken und zeigt: Wir brauchen uns in der Region gegenseitig.

Die Autoren der Serie

Als Chefredakteur Karsten Kammholz die Idee hatte, aus den unterschiedlichen Lebenserwartungen in Mannheim und Heidelberg ein größeres Projekt zu machen, dachte sich Martin Geiger zunächst: Das weiß man doch alles schon. Je tiefer er aber recherchierte, desto überraschter war er. So war ihm nicht bewusst, dass Langzeitarbeitslosigkeit vererbbar sein kann, dass Arbeitslose ein viel höheres Sterberisiko haben und jedes dritte Kind in den Mannheimer Kindertagesstätten hilfebedürftig ist. Wie sich das Projekt auf seine Lebenserwartung ausgewirkt hat, ist offen: Einerseits hat er viele Tipps für ein langes Leben bekommen. Andererseits hat er beim Konzipieren, Recherchieren und Schreiben deutlich mehr geraucht als sonst.

Daniel Kraft war bei der Recherche erstaunt, wie viele Datensätze verfügbar sind. Die Herausforderung war, diese zu verstehen und einzuordnen. Es folgten lange Telefonate mit geduldigen Expertinnen und Experten. Die wenigsten haben sich in der Serie wiedergefunden – umso mehr möchten wir ihnen danken. 

... zum Abschluss noch ein paar Erkenntnisse: 

Schweizer sind Spitze

Im weltweiten Vergleich liegt Europa bei der Lebenserwartung neben Japan und den ostasiatischen Ländern an der Spitze, berichtet Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Allerdings belegt Deutschland im innereuropäischen Vergleich einen Mittelfeldplatz. Gründe dafür seien eine gegenüber den Südeuropäern ungesündere und fleischlastigere Ernährung sowie Mängel bei der Gesundheitsprävention. Weltweit am längsten lebten die Frauen in Südeuropa und die Männer in der Schweiz.

Im Norden mehr Raucher

Innerhalb Deutschlands haben die Menschen im Süden eine höhere Lebenserwartung – auch weil im Norden mehr geraucht wird, erklärt Klüsener.

Im Süden seltener gestillt

Früher sei dagegen die Lebenserwartung in Nordwestdeutschland am höchsten gewesen, so der Forschungsdirektor. Zwei Faktoren hätten dabei eine Rolle gespielt: Durch die Zugänge zu den Häfen habe es dort seltener an Lebensmitteln gemangelt. Zudem sei das Stillen im Süden weniger verbreitet gewesen, was die Sterblichkeit erhöht habe.

 

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

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