Serie "Die verlorenen Jahre" - Teil 4

Lebenserwartung in Mannheim und Heidelberg: Warum reiche Menschen länger leben

Von 
Martin Geiger und Daniel Kraft
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Das Neckarufer in Neuenheim ist eine der besten Wohnlagen Heidelbergs: Weil in der Stadt überdurchschnittlich viele Akademiker leben, ist auch das Einkommensniveau überdurchschnittlich hoch. © dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Statistisch gesehen haben Menschen in Mannheim die niedrigste und in Heidelberg die höchste Lebenserwartung in Baden-Württemberg.
  • Warum ist das so? In unserer Serie "Die verlorenen Jahre" begeben wir uns auf Spurensuche.
  • In Teil 4 beleuchten wir die Einkommenssituation in beiden Städten.
  • Auch auf dem Mietmarkt gibt es deutliche Unterschiede. 

Sage mir, wo du wohnst, und ich sage dir, wie alt du wirst: Diese Behauptung ist natürlich überspitzt. Ein wahrer Kern steckt dennoch in ihr, das belegen die unterschiedlichen Lebenserwartungen, die das Statistische Landesamt für Mannheim und Heidelberg errechnet hat.

Eine wesentliche Rolle zur Erklärung dieses Befunds spielt, wie berichtet, der Arbeitsmarkt. Eng damit verbunden ist die Einkommenssituation, die in diesem Teil unseres Daten-Projekts näher beleuchtet werden soll. Auch dabei zeigen sich nennenswerte Unterschiede zwischen den beiden Städten.

So verdienten die Heidelberger nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr im Durchschnitt monatlich 4315 Euro brutto. Die sozialversicherungspflichtig vollzeitbeschäftigten Mannheimer kamen dagegen auf 3799 Euro – also mehr als 500 Euro weniger. Dennoch liegen auch sie über dem bundesweiten und dem landesweiten Mittelwert von 3435 beziehungsweise 3734 Euro. Das zeigt die wirtschaftliche Stärke der Rhein-Neckar-Region. Und es verdeutlicht, dass Mannheim keineswegs schlecht dasteht – sondern der Heidelberger Wert sehr hoch ist.



Die Gründe dafür kennt Stefan Lenz, der Leiter der Statistikabteilung bei der dortigen Stadtverwaltung. „Etwa zwei Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Heidelberg arbeiten in der wissensintensiven Dienstleistungsbranche“, sagt er. „Das ist eine ganz spezielle Wirtschaftsstruktur.“ Der landesweite Durchschnitt liege gerade einmal bei etwas über einem Drittel. „Da sind viele Jobs mit einem hohen Bildungsniveau dabei“, erklärt Lenz. „Und so hat man natürlich eine etwas überdurchschnittlich hohe Einkommenssituation.“

Die Universität spiele dabei die wichtigste, aber bei weitem nicht die einzige Rolle: „Es gibt in Heidelberg mehr als 220 wissenschaftliche Institute wie beispielsweise das Deutsche Krebsforschungszentrum, das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) oder die Hochschule für Jüdische Studien“, berichtet der Statistiker.

Tiefergehende Analyse: Anteil der Hauptgruppe vergleichbar

Überbewerten dürfe man diesen Effekt jedoch nicht, betont Lenz. Denn die tiefergehende Analyse zeigt, dass die jeweiligen Unterschiede zwischen Heidelberg und Mannheim beim Faktor Einkommen gar nicht so groß sind. So verdeutlichen Erhebungen des Statistischen Landesamts, dass der Anteil der Hauptgruppe vergleichbar ist: Ungefähr 22 Prozent aller Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen in Heidelberg verdienen jährlich zwischen 50 000 und 125 000 Euro. In Mannheim liegt der Wert bei etwa 20 Prozent.

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Auch im unteren Segment, zu dem Lenz zufolge auch die Studierenden gehören, ist das Bild recht einheitlich. 22 Prozent aller Heidelberger verdienen weniger als 10 000 Euro im Jahr. In Mannheim ist der Wert mit 22,3 Prozent nahezu identisch. Eine deutliche Spreizung ist dagegen im Spitzenbereich erkennbar. So leben in Heidelberg beispielsweise mehr als 100 Einkommens-Millionäre, während es im doppelt so großen Mannheim 68 sind. Darum sagt Lenz: „Die Durchschnittswerte werden stark durch Ausreißer nach oben beeinflusst.“

Wie beeinflusst das Einkommen die Lebenserwartung?

Dass Einkommensunterschiede Auswirkungen auf die Lebenserwartung haben, ist unter Experten jedoch unbestritten. „Vor allem Merkmale der Sozialschichtzugehörigkeit haben sich als Determinanten des Mortalitätsrisikos etabliert“, schrieb der Heidelberger Alterswissenschaftler und Psychologe Christoph Rott bereits in einer 2008 mit Dagmara Wozniak veröffentlichten Studie. Auch Verena Lichtenberger kam 2013 in einem Beitrag für das Statistische Monatsheft Baden-Württemberg zu dem Ergebnis: „In der einkommensschwachen Gruppe ist die Chance einer beeinträchtigten Gesundheit bis zu drei Mal höher als in der Referenzgruppe.“

Warum genau das so ist, sei in der Forschung noch umstritten, berichtet Oliver Razum, Dekan der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Es gebe zwei Erklärungsansätze für gesundheitliche Ungleichheiten: „Der eine ist der materielle: Er geht davon aus, dass dort, wo es weniger Geld in der Gemeinde und in den Haushalten gibt, die Schulen schlechter ausgestattet sind, der Lebensstandard geringer ist, die Ernährung schlechter und die Möglichkeiten, an gesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten teilzunehmen, geringer sind – was sich wiederum auf die Bildung der Kinder auswirkt.“ Womit sich die Unterschiede fortsetzten.

Der andere Ansatz ziele auf psychosoziale Faktoren ab, so Razum: „Fühlen sich die Menschen ausgegrenzt oder benachteiligt? Erleben sie ihren Arbeitsalltag als wenig erfüllend? Erleben sie gar Rassismus?“ Sein Fazit: „Wichtig ist beides. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich, wie so oft, irgendwo in der Mitte.“



Wohnlage spielt ebenfalls eine Rolle: Wo ist die nächste Grünfläche?

Jens Hoebel, stellvertretender Leiter des Fachgebiets „Soziale Determinanten der Gesundheit“ am Robert Koch-Institut (RKI), weist auch auf den Einfluss der mit dem Einkommen verbundenen Arbeitssituation hin: „Wir sehen, dass gesundheitsschädigende Arbeitsbelastungen im Niedrig-Lohn-Bereich am häufigsten sind – wesentlich häufiger als in mittleren und hohen Lohngruppen. Und das betrifft sowohl körperliche Belastungen als auch psychische.“

Dies könne das Krankheits- und damit letztlich auch das Sterblichkeitsrisiko beeinflussen: „Den größten chronischen und damit gesundheitsschädigenden Stress haben die Berufsgruppen, wo hohe Anforderungen, wenig Handlungsspielraum, geringe Entlohnung und wenig soziale Anerkennung zusammenkommen, beispielsweise in der Logistik oder der Pflege.“

Darüber hinaus spiele auch die Wohnlage eine Rolle für den Gesundheitszustand, sagt Razum: „Menschen, die in einer ungünstigen Wohnsituation leben, an einer großen Straße oder weit weg von Grünanlagen oder den schönen Wäldern um Heidelberg herum, fällt es viel schwerer, sich regelmäßig zu bewegen.“ Zudem hat eine Studie von Umweltbundesamt und Robert Koch-Institut Hoebel zufolge herausgefunden, dass Heranwachsende, die in sozial benachteiligten Gegenden wohnen, in der Regel länger brauchen, um Grünflächen zu erreichen: Mit den entsprechenden Folgen, erklärt sein RKI-Kollege Enno Nowossadeck: „Wenn die nächste Grünfläche ein oder zwei Kilometer entfernt ist, werde ich sie sehr wahrscheinlich seltener nutzen, als wenn ich sie vor der Tür habe.“

Einkommensunterschiede am Wohn- und Arbeitsort

Wer sich mit der Einkommenssituation der Menschen in Mannheim und Heidelberg näher beschäftigt, stößt auf einen weiteren interessanten Befund: Zwar verdienen die Heidelberger im Durchschnitt mehr als die Mannheimer. Betrachtet man jedoch nicht den Wohnort der Personen, sondern den Arbeitsort, dreht sich das Bild: So verdienten Menschen, die in Mannheim arbeiten, im vergangenen Jahr im statistischen Mittel 4037 Euro brutto im Monat – und damit etwa 60 Euro mehr als die, die in Heidelberg beschäftigt sind. Letztere kommen auf einen Wert von 3978 Euro.



Die Erklärung für diesen Befund ist sicherlich in der Beziehung der beiden Städte zu ihrem Umland zu suchen: „Mannheim ist hochattraktiv als Arbeitsort“, sagt Jens Hildebrandt, Leiter des Fachbereichs Arbeit und Soziales bei der hiesigen Stadtverwaltung. „Aber man hat hier nicht unbedingt seinen Lebensmittelpunkt, sondern wohnt oftmals im näheren und weiteren Umland.“ Das belegen auch die Pendlerzahlen des Statistischen Landesamtes. Demnach pendeln rund 120 000 Menschen nach Mannheim ein, während etwa 50 000 von hier aus zu ihrem Arbeitsplatz in eine andere Kommune fahren.

Auch Heidelberg ist eine Einpendler-Hochburg: Von den knapp 120 000 Beschäftigten dort kommt mehr als die Hälfte aus dem Umland. Die Zahl der Auspendler liegt bei knapp 25 000. Allerdings zeigen Untersuchungen, dass diese ein überdurchschnittlich hohes berufliches Anforderungsprofil haben. Es sind also tendenziell Besserverdienende, die in Heidelberg leben, aber etwa in Walldorf, Weinheim, Ludwigshafen oder Mannheim arbeiten.

In der Region mit Abstand vorne liegt beim Einkommen am Arbeitsort übrigens Ludwigshafen: Wer dort beschäftigt ist, verdient im Schnitt 4685 Euro. 

Die Rolle des Mietmarkts

Einen weiteren Aspekt darf man natürlich nicht vergessen, wenn man die Einkommenssituation in den beiden Städten analysiert: den Wohnungsmarkt. Denn er bestimmt zu einem gewissen Grad mit, wer wo wohnt. Und dabei ist es keine Überraschung, dass die Lage in Heidelberg noch deutlich angespannter ist als in Mannheim.

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So landet Heidelberg bei einem bundesweiten Vergleich der Mietkosten in allen Städten mit mehr als 150 000 Einwohnern nach München, Stuttgart und Frankfurt auf dem vierten Rang. Mannheim belegt in der Analyse des Unternehmens F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt immerhin den 18. Platz. Eine normale Bestandswohnung wird der Berechnung nach hier aktuell für einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 9,95 Euro angeboten – ohne Betriebs-, Neben- und Heizkosten. In Heidelberg werden dagegen 12,86 Euro fällig.

„Bei diesen hohen Angebotsmieten können sich viele Menschen mit einem niedrigen und mittleren Einkommen in Heidelberg gar keinen adäquaten Wohnraum leisten“, kritisiert Annett Heiß-Ritter, die Geschäftsführerin des dortigen Mietervereins. „Eine der Folgen ist, dass Familien sehr beengt leben müssen und viele außerhalb der Stadt wohnen und einpendeln.“

Die Stadt versuche zwar, dem entgegenzuwirken. „Die Maßnahmen sind jedoch bei Weitem nicht ausreichend“, findet Heiß-Ritter. Darum fordert sie unter anderem deutlich mehr geförderte Wohnungen: „Die Möglichkeiten auf der Konversionsfläche Patrick-Henry-Village müssen konsequent genutzt werden.“

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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