Mannheim. Mannheim will 2030 klimaneutral sein, am Rheindamm könnten 900 Bäume gerettet werden, und nächstes Jahr soll hier die nachhaltigste Bundesgartenschau aller Zeiten stattfinden: Sie müssen die glücklichsten Umweltschützer Deutschlands sein – oder?
Sabine Meßmer-Luz: Es wäre schön, wenn das so wäre! Leider sind wir aber alles andere als glücklich.
Warum?
Wolfgang Schuy: Wo soll man da anfangen? Vielleicht beim Klimaschutzaktionsplan. Prinzipiell finden wir so ein Vorhaben natürlich gut. Das Problem, das wir damit haben, ist jedoch, dass es sich um einen sehr vagen Rahmenplan handelt, der in keinem Punkt konkret wird. Da fehlen die Umsetzungsschritte.
Aber die sollen doch nun kommen.
Dieter Breitenreicher: Also ich habe in meinem Ingenieur-Studium gelernt, dass man sich ein Ziel setzt und den Weg dahin durch Zwischenziele definiert. Von Zeit zu Zeit überprüft man dann, ob man seine Zwischenziele erreicht hat oder nachsteuern muss. All das fehlt aber im Klimaschutzaktionsplan. Und darum sage ich mal ganz keck: Er ist fast zum Scheitern verurteilt, wenn dies nicht ergänzt wird.
Sie waren doch am Entstehungsprozess beteiligt. Warum haben Sie das nicht eingefordert?
Schuy: Formal war der Beteiligungsprozess in Ordnung. Inhaltlich konnte man aber nur wenig verändern. Als wir zu den Sitzungen gekommen sind, gab es bereits vorformulierte Teilziele. Wir konnten diese nur noch priorisieren. Darum ist die Endfassung des Plans im Grunde identisch mit dem ersten Entwurf.
Meßmer-Luz: Und das ist etwas, was immer wieder geschieht und uns maßlos ärgert: Man beteiligt die Bürger und Verbände – zieht dann aber doch oft das Vorhaben so durch wie vorher geplant. Das ist frustrierend. Beim Beteiligungshaushalt war es das Gleiche …
Inwiefern?
Meßmer-Luz: Am Anfang hieß es, die zehn Vorschläge, die von den Bürgern die meisten Stimmen erhalten, werden auf ihre Machbarkeit hin untersucht. Und als die Beteiligung abgeschlossen war, wurde mitgeteilt, dass nun alle Vorschläge mit mehr als 100 Stimmen geprüft werden – also rund 50. Und aus diesen wählt die Verwaltung für die zweite Abstimmungsrunde dann die aus, die sie umsetzen möchte. Damit sind aber die Realisierungschancen der zehn Projekte mit der größten Zustimmung ganz erheblich reduziert. Und das geht einfach nicht! Man kann nicht in einem laufenden Verfahren die Regeln ändern.
Wie stehen Sie inzwischen der Bundesgartenschau gegenüber? Der BUND hat ja kürzlich erst beklagt, dass auch dort Versprechen nicht eingehalten worden seien.
Breitenreicher: Dieser Kritik schließen wir uns an. Wir haben intern viel diskutiert, weil jeder unserer 16 Mitgliedsverbände eine etwas andere Sicht auf die Buga hat. Aber die Mehrheit ist ganz klar der Meinung, dass hier vieles versprochen wurde – und nicht alles gehalten.
Was zum Beispiel?
Breitenreicher: 2019 hieß es, dass die Buga klimaneutral wird: Wie das gelingen soll, weiß bis heute niemand. Die Veranstalter werben zwar damit, dass sie die angeblich nachhaltigste Bundesgartenschau aller Zeiten organisieren. In der Praxis gibt es jedoch leider viele Gegenbeispiele.
Welche?
Meßmer-Luz: Insbesondere im Landschaftsschutzgebiet Feudenheimer Au sind viele Maßnahmen nicht so umgesetzt worden wie vereinbart: Aus dem geplanten zehn Meter breiten Streifen für den neuen Radschnellweg mitten durch eine Orchideenwiese wurde eine 20 Meter breite Bautrasse. Für den Panoramasteg mussten Teile des besonders geschützten Hochgestades weichen. Die geschützte und sensible Feldlerche wurde endgültig vertrieben – selbst die Ausgleichsflächen werden von der Seilbahn überspannt. Und es wird zu viel Grundwasser zur Bewässerung entnommen: Das ist alles andere als nachhaltig.
Das Umweltforum und sein Vorstand
- Das Umweltforum ist ein Zusammenschluss der Mannheimer Umwelt-, Naturschutz- und Verkehrsverbände. Es wurde 1998 als Verein gegründet.
- Aktuell gehören ihm 16 Verbände an: ADFC, BUND, Deutscher Alpenverein, Fördergemeinschaft regionaler Streuobstbau, Freunde des Dossenwaldes, Lokale Agenda 21 Mannheim-Neckarau, Mykologischer Arbeitskreis, Pro Bahn, Naturfreunde, NABU, Ökostadt Rhein-Neckar, Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Siedler- und Eigenheimergemeinschaft Einigkeit, Verkehrsclub, Verein für Naturkunde und die Initiative Waldpark.
- Der Vorstand besteht aus Dieter Breitenreicher, Sabine Meßmer-Luz und Wolfgang Schuy.
- Dieter Breitenreicher ist Maschinenbau-Ingenieur und wohnt in der Gartenstadt. Er vertritt seit 1998 die Mannheimer Naturfreunde im Umweltforum.
- Sabine Meßmer-Luz ist Biologin und wohnt in Wallstadt. Sie arbeitet bei der VRD Stiftung für Erneuerbare Energien. Sie ist die Vorsitzende des Vereins für Naturkunde.
- Wolfgang Schuy arbeitete bis zum Ruhestand im Fachbereich Bildung der Stadt Mannheim. Er ist seit 2012 im Vorstand des BUND und wohnt in Neckarau.
Gibt es auch irgendetwas, das Sie gut an der Buga finden?
Schuy: Natürlich. Wir begrüßen es prinzipiell, dass das ehemalige Kasernengelände entsiegelt wird und mit dem Grünzug Nordost ein dauerhafter Frischluftkorridor gesichert wird, auch wenn wir uns eine größere wirksame Breite dieser Schneise gewünscht hätten. Hier gab und gibt es Zielkonflikte mit den Bereichen Wohnungsbau und Stadtentwicklung, bei denen der Klimaschutz nicht die oberste Priorität hatte. Wir wollen nicht alles schlecht reden. Aber wo Missstände bestehen, muss man sie auch benennen dürfen. Zumal wir im Vorfeld wiederholt auf diese Aspekte hingewiesen haben – aber nicht gehört worden sind.
Beim Rheindamm scheint es anders zu sein: Dort hat der Protest der Bevölkerung mit dazu beigetragen, dass die Stadt neben der Sanierungsvariante des Regierungspräsidiums eine zweite ins Spiel gebracht hat – bei der statt 1000 etwa 100 Bäume gefällt werden müssten. Wie finden Sie die Idee mit den Spundwänden?
Breitenreicher: Das kürzlich vorgestellte Gutachten hat genau das bestätigt, was wir immer gesagt haben: Wenn man den Damm komplett mit Spundwänden sichert, kostet es nicht mehr – dafür können aber fast alle Bäume erhalten werden. Darum verstehen wir überhaupt nicht, weshalb das Regierungspräsidium nicht schon längst seinen Plan korrigiert hat. Hoffentlich führt das neue Gutachten nun zu einem Umdenken.
Wäre damit das größte umweltpolitische Problem der Stadt gelöst?
Breitenreicher: Nein, für mich sind die Zustände im Nahverkehr mindestens ein ebenso großes Problem: Es kann einfach nicht sein, dass Bahnen ausfallen und Busse gestrichen werden, nur weil das Personal fehlt. Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn der öffentliche Nahverkehr verlässlich ist. Sonst kehren die Fahrgäste ihm den Rücken zu – und das wahrscheinlich dann für immer.
Aber die Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft (RNV) kann doch nichts für die Pandemie . . .
Breitenreicher: Nein, aber sie kann genügend Personal vorhalten, um für solche Fälle gewappnet zu sein. Aber das wird aus Kostengründen halt nicht gemacht! Man kann das organisieren, etwa indem man ehemalige Fahrzeugführer, die jetzt in Rente sind und sich etwas dazu verdienen wollen, zurückholt. Stattdessen wird hier jedoch der einfachste Weg gewählt und das Angebot reduziert. Das ist inakzeptabel.
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Wo wir gerade beim Thema Verkehr sind: Mannheim ist vor ein paar Tagen vom Land wieder als „fahrradfreundliche Kommune“ ausgezeichnet worden. Zu Recht?
Schuy: Wir beobachten, dass es ernsthafte Bemühungen vonseiten der Stadt gibt. Aber das sind alles nur kleinteilige Nachbesserungen. Mannheim hat das Problem, dass es nach dem Krieg als autogerechte Stadt aufgebaut worden ist. Radwege gab’s nur da, wo noch Platz übrig war. Das Rad ist nicht als ernsthaftes Verkehrsmittel eingestuft worden, sondern als Freizeitvergnügen. Inzwischen findet zwar ein Umdenken statt – aber noch nicht in allen Köpfen der Verwaltung. Und das Verfahren der nun erfolgten Re-Zertifizierung als fahrradfreundliche Kommune ist für uns nicht transparent, wir hatten als Verbände keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme.
Was müsste besser werden?
Schuy: Vieles! Wir brauchen eine echte Gleichbehandlung von Auto und Rad. Jeder, der schon mal in Holland war, weiß, wie das aussieht. Wir brauchen durchgehende Radwege von Stadtteil zu Stadtteil – und nicht nur vereinzelte und isolierte Radstraßen, die von vielen Autofahrern gar nicht als solche wahrgenommen werden. Da liegt noch jahrzehntelange Arbeit vor uns.
Was wünschen Sie sich sonst noch von der Stadt?
Meßmer-Luz: Eine Wildtierpflegestation, in der alle Bürger Auskunft über gefundene und verletzte Wildtiere wie Igel, Greifvögel oder Fledermäuse erhalten und diese Fundtiere auch dorthin bringen können. Sie könnte etwa im Luisen- oder Herzogenriedpark oder auf dem Buga-Gelände angesiedelt werden. Dort würden die Tiere dann versorgt, bis sie wieder ausgewildert werden.
Braucht es so etwas wirklich?
Schuy: Ja, denn im Moment ist es so, dass beim Nabu pro Tag zehn Anrufe eingehen wegen gefundener Wildtiere. Damit ist der Verein heillos überfordert. Diese Aufgabe kann nicht mehr ehrenamtlich gelöst werden. Da brauchen wir professionelle Strukturen.
Breitenreicher: Außerdem wünschen wir uns, dass die Stadt konsequenter gegen Schottergärten vorgeht. Die sind zwar laut Baugesetz verboten. Die Verwaltung setzt dieses Verbot aber nicht konsequent genug um – weshalb es immer noch sehr viele davon gibt.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Die Kritik an der Buga ist nachvollziehbar