Mannheim. „Unerwartet“ und „spannend“ fand er das Ergebnis: Ronny Friedrich, Experte für Altersbestimmung am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie, und sein Team haben jetzt bewiesen, dass sich noch vor rund 30 000 Jahren in unserer Region im Rhein Flusspferde tummelten, wie man sie sonst nur aus Afrika kennt. Daher ist jetzt die lebensechte, etwas furchterregende Rekonstruktion eines solch tonnenschweren, imposanten Tiers in die Ausstellung „Eiszeit-Safari“ integriert worden. Der Oberkörper ragt aus dem Wasser, das Maul ist weit aufgerissen.
„Wir haben bisher nicht gedacht, dass sie zusammen mit Mammuts hier gewesen sind“, so Wilfried Rosendahl, der Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen: „Man dachte, sie seien viel früher ausgestorben“, vor über 116 000 Jahren. „Aber sie lebten hier viel länger als angenommen, gleichzeitig mit Mammut, Wollhaarnashorn und Höhlenlöwen in der Region – das ist jetzt belegt und bewiesen“, betonte der Generaldirektor.
Autobahn für Tiere
„Ein sensationelles Ergebnis“, freute sich Beate Spiegel, Geschäftsführerin der Klaus-Tschira-Stiftung, die 1995 von SAP-Mitgründer Klaus Tschira ins Leben gerufen wurde. Spiegel enthüllte mit Rosendahl das Flusspferd in der Ausstellung, denn ihre Stiftung unterstützt die Forschungen der Reiss-Engelhorn-Museen aus zwei Gründen. Einmal gelinge es dem Museum, seine Forschungsergebnisse in den Ausstellungen einem breiten Publikum gut zu vermitteln. Zudem könne man „mit den Erkenntnissen der Vergangenheit Zukunft gestalten“, verwies sie auf den Klimawandel.
Ausstellung und Forscher
Die Ausstellung „Eiszeit-Safari“ ist bis 13. Februar in den Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Weltkulturen, D 5, dienstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr zu sehen.
Eintritt: Erwachsene 13,50 Euro, Kinder und Jugendliche (6-18 Jahre) 4,50 Euro, Begünstigte 11,50 Euro (inklusive Ausstellung „Versunkene Geschichte“ in D 5).
Corona-Regeln: Besuch derzeit nach 3G-Regel (geimpft, genesen oder getestet), mit Erfassung der Kontaktdaten (Luca-App oder Formular) sowie Maskenpflicht. Von der Impf-/Testpflicht ausgenommen sind Kinder/Schüler.
Das 2004 gegründete Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gehört zu den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Es wird unterstützt von der Curt-Engelhorn-Stiftung und der Klaus-Tschira-Stiftung.
Es besteht aus dem Labor für Materialanalysen und dem Klaus-Tschira-Archäometrie-Zentrum an der Uni Heidelberg. Das Forschungsinstitut ist national und international an zahlreichen Projekten beteiligt. Seine Expertise umfasst die Bereiche Altersbestimmung, Bioarchäologie, Echtheit- und Materialanalyse von archäologischen Funden und Kulturgütern.
Und genau um den geht es Rosendahl. Sein von der Tschira-Stiftung gefördertes, seit fünf Jahren laufendes Forschungsprojekt „Eiszeitfenster Oberrheingraben“ revidiert nicht nur bisher gängige Vorstellungen von der Lebenswelt der letzten Eiszeit in Südwestdeutschland. Es zeigt, dass das Klima im Oberrheingraben milder war als bisher allgemein angenommen, und lässt daher Schlüsse auf die Folgen einer weiteren Erderwärmung zu.
Das Forschungsprojekt basiert einmal darauf, dass unsere Region „erdgeschichtlich ein besonderes Gebiet ist“. Der Oberrheingraben von bis zu 40 Kilometern Breite und 300 Kilometern Länge von Basel bis Frankfurt sei ein „hervorragendes Klimaarchiv“, so Rosendahl: „Hier kann man wie in einem Buch die verschiedenen Klimata der letzten 2,6 Millionen Jahre nachlesen“, verwies er auf die reichhaltigen Sedimentschichten aus verschiedenen geologischen Zeiten. Die obersten, durchschnittlich 30 Meter mächtigen Kies- und Sandablagerungen haben in der internationalen geologischen Gliederung sogar den Namen „Mannheim Formation“ und umfassen etwa 400 000 Jahre. Dabei sei der Oberrheingraben „wie eine vorgeschichtliche Autobahn“ gewesen, sagt Rosendahl, der „Highway für die eiszeitliche Tierwelt“, die dadurch besonders reichhaltig in unsere Region gekommen sei.
Das lässt sich gut an der „Sammlung Reis“ erkennen. Klaus Reis, der frühere Inhaber der Sektkellerei Deidesheim, holte als Hobby über Jahrzehnte bei Niedrigwasser vom Rheinufer oder aus Kiesgruben Knochen, ja ganze Skelettteile. Die komplette Sammlung mit fast 20 000 Objekten, darunter komplette Schädel, brachte er 2016 in die Curt-Engelhorn-Stiftung ein. Das sei „ein fantastisches Archiv“, so Rosendahl, und jetzt Basis der Forschung.
Knochen erforscht
Die Knochen seien „erstaunlich gut erhalten“, so Ronny Friedrich. An vielen Skelettresten sei es möglich, auswertbare Proben zu entnehmen, „nach dieser langen Zeit keine Selbstverständlichkeit.“ Insgesamt 30 Flusspferdfunde haben er und sein Team sowie Kollegen der Universität Potsdam mit der C14-Methode, mit der anhand des Kohlenstoffanteils die Dauer des Verfallsprozesses gemessen wird, untersucht. Die Ergebnisse wurden von einem zweiten Labor bestätigt.
Sie zeigen nicht nur, dass Flusspferde viel länger als angenommen hier in der Region lebten. „Klar ist damit, dass sie hier genug Essen gefunden haben und das passende Klima“, so Rosendahl: „Es gab hier auch in der Kaltzeit kein Eis, keinen Schnee, sondern ein Klima, in dem sie leben konnten“. Die Isotopenanalysen zur Ernährung ergaben, dass es für die Tiere neben Gewässern ausreichend Pflanzennahrung gegeben haben muss.
Noch etwas belegt, dass das Klima im Oberrheingraben milder war als bisher gedacht. Ronny Friedrich hat zudem Holzfunde mit der C14-Methode analysiert. Dabei zeigte sich, dass es sich um Eichen mit einem Umfang von bis zu 80 Zentimetern handelt, die vor rund 40 000 Jahren in der Oberrheinregion wuchsen. Dass in der letzten Eiszeit derart stattliche Eichen in der Region standen, habe man „bisher nicht für möglich gehalten“, so Rosendahl. Das Projekt ist damit nicht abgeschlossen: „Wir haben noch viel zu forschen“, sagt er, gerade auch mit Blick auf den Klimawandel heute.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Reiss-Engelhorn-Museen - wertvolle Forschung und moderne Wissensvermittlung