Wissenschaft - Mannheimer Forscher belegen frühe Seefahrt von Europäern nach Amerika / „Ein Stück Menschheitsgeschichte“

Mannheimer Forscher beweisen: Wikinger waren 1021 in Amerika

Von 
Peter W. Ragge
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Ronny Friedrich im Labor vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (oben), unten der Baumstumpf mit Bearbeitungsspuren, der neben zwei weiteren Bäumen zur Datierung verwendet wurde. © Ralf Mager, Fotograf Mannheim,Ge

Mannheim. „Ein Stück Menschheitsgeschichte enthüllen“ – dass ihm das mal gelingen würde, hätte Ronny Friedrich nie gedacht. Wenn man mit dem Physiker spricht, klingt auch eher der bescheidene, nüchterne Naturwissenschaftler durch, der über Grundwassererkundung im Odenwald promoviert hat. Doch er und sein Team des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen haben nun mit niederländischen Forschern nachgewiesen, dass Europäer bereits viel früher in Nordamerika waren als bisher gedacht – schon 1021, lange vor Kolumbus.

Dass sich Europäer vor der Ankunft des italienischen Seefahrers Christoph Kolumbus im Jahr 1492 in Amerika aufhielten, haben Wissenschaftler immer angenommen, aber nie genau gewusst. Bisherige Datierungsversuche zum Aufenthalt der Wikinger in Amerika stützten sich stark auf isländische Sagas. Diese zunächst mündlich überlieferten Geschichten wurden allerdings erst Jahrhunderte nach den darin erzählten Ereignissen niedergeschrieben. Für eine genaue Altersbestimmung sind sie also viel zu ungenau.

Curt-Engelhorn-Zentrum

Das 2004 gegründete Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gehört zu den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Es wird unterstützt von der Curt-Engelhorn-Stiftung und der Klaus-Tschira-Stiftung.

Es besteht aus dem Labor für Materialanalysen und dem Klaus-Tschira-Archäometrie-Zentrum an der Universität Heidelberg.

Das renommierte Forschungsinstitut ist national und international an zahlreichen Projekten beteiligt. Seine Expertise umfasst die Bereiche Altersbestimmung, Bioarchäologie, Echtheit- und Materialanalyse von archäologischen Funden und Kulturgütern. So untersuchten die Forscher mykenische Goldfunde, den Barbarenschatz von Rülzheim und die Himmelsscheibe von Nebra.

Mannheimer Wissenschaftler untersuchen Holzstücke

Seit über vier Jahren lief daher ein Forschungsprojekt der Universität Groningen. Es war klar, dass Wikinger mit ihren Langschiffen über große Entfernungen segelten. Im Westen gründeten sie Siedlungen auf Island, Grönland und schließlich in L’Anse aux Meadows, Neufundland, Kanada. Dort stieß man bei Ausgrabungen auf Holz dreier Bäume „aus archäologisch den Wikingern zuzuordnenden Kontexten“, so Ronny Friedrich. Alle drei Holzstücke wiesen deutliche Spuren von Schnitten mit Metallklingen auf – ein Material, welches von der einheimischen Bevölkerung nicht hergestellt wurde.

Aber wie alt sind die Holzstücke genau? Das untersuchten die Wissenschaftler in Groningen in ihrem Labor, aber sie wollten sicher gehen und weitere Experten für Altersbestimmung hinzuziehen. Die fanden sie in Mannheim. Das sei „über persönliche Kontakte“ gelaufen, so Ronny Friedrich, seit 2014 Laborleiter am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie. „Wir haben zunächst nur die Proben zur Untersuchung bekommen und wussten nicht, warum und wozu“, erzählt er. Das sei auch nicht wichtig – die Mannheimer Forscher untersuchen unabhängig vom Kontext einfach, ob ein ihnen vorgelegtes Exponat echt und wie alt es ist. Ab 2019 nahmen sich Friedrich und sein Team etwa 20 Proben der drei Holzstücke vor. Sie wendeten dann die C14-Datierung, auch Radiokarbonmethode genannt, an – sie misst, wie stark die Kohlenstoffanteile eines Exponats schon zerfallen sind, woraus sich das Alter ergibt.

Normalerweise ermögliche diese Methode keine jahrgenaue Datierung. Dass man jetzt erstmals nicht nur eine Zeitspanne, sondern ein genaues Datum für den Aufenthalt der Wikinger in Amerika angeben können, liege an neuen Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Sonnenstürmen. 992 n. Chr. hat sich solch ein massiver Sonnensturm ereignet, der deutlich mehr Kohlenstoff in den Baumringen des folgenden Jahres hinterlassen habe als üblich.

Baumfällungen fanden vor 1000 Jahren statt

„Der signifikante Anstieg der Radiokohlenstoffproduktion zwischen 992 und 993 n. Chr. kann in Baumringarchiven auf der ganzen Welt festgestellt werden und damit zur hochgenauen Datierung dienen“, erläutert Friedrich. Solch ein Baumringe-Vergleichsarchiv gibt es auch in Mannheim – mit 50 000 Hölzern, die teils bis in die Eiszeit zurückreichen. Jede der nun in Mannheim untersuchten Holzobjekte wies diese Spuren 29 Wachstumsringe (also Jahre) vor der äußeren Baumrinde auf. Das erlaube die Schlussfolgerung, dass die Fällung der Bäume im Jahr 1021 n. Chr. stattfand – also genau vor 1000 Jahren.

„Eine Sensation“ nennt Friedrich die Studie, die jetzt im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlicht wird. „Die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Groningen war fantastisch, und gemeinsam haben wir ein tolles Ergebnis erzielt“, freut er sich. „Ich hätte nicht gedacht, dass da eine so großartige Sache herauskommt“, so der Laborleiter.

„Stolz, dass wir an einem so wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn einen Anteil haben“ äußert sich Wilfried Rosendahl, Generaldirekor der Reiss-Engelhorn-Museen: „Es zeigt, welche einzigartige Forschung wir hier betreiben.“ Aber auch die Museumsbesucher haben etwas davon. Gerade läuft die Vorbereitung für die kulturhistorische Sonderausstellung „Die Normannen“, die ab September 2022 anhand hochkarätiger Exponate den Aufstieg der Normannen als Nachkommen der Wikinger beleuchtet.

Redaktion Chefreporter

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