Ludwigshafen. Seit 43 Jahren prägt es das Ludwigshafener Stadtbild, so gut wie jeder ist schon einmal dort gewesen. Sei es für einen Behördengang, für eine kurze Besorgung oder für ein Essen in der Mittagspause. Das Rathaus mit Rathaus-Center ist eines der wenigen echten Wahrzeichen der Stadt, und entsprechend emotional ist der bevorstehende Abriss für viele Bürgerinnen und Bürger.
Und obwohl der signifikante Gebäudekomplex so vertraut wirkt, birgt er auch einige Geschichten, die der Öffentlichkeit noch nicht bekannt - oder die bereits schon wieder in Vergessenheit geraten sind. Einige dieser ungeahnten Einblicke haben Stefan Mörz, Leiter des Stadtarchivs, und Marcel Jurkat, Leiter Repräsentation und Städtepartnerschaften, bei einem bebilderten Vortrag am Mittwochabend in der Volkshochschule offenbart.
Wurzeln sorgten für Risse in Decken
So können sich heute vermutlich nur noch wenige daran erinnern, dass das Rathaus-Center einmal eine regelrechte grüne Oase gewesen ist. Nach der Eröffnung des Einkaufszentrums im März 1979 und des Rathaus-Turms im darauffolgenden Mai waren die äußeren Dächer sämtlicher Zwischen-Ebenen des verschachtelten Gebäudes mit sogenannten hängenden Gärten geziert. Liebevoll angelegte Grünflächen, kleine Bäumchen, Lavendelbeete. „Das war wirklich sehr schön“, sagt Mörz.
Mit dem Zauber sei es dann aber eines Tages vorbei gewesen. „Die Bäumchen haben ihre Wurzeln so tief geschlagen, dass es Risse in den darunter befindlichen Decken gab“, erläutert der Stadtarchivar. Bei Regen tropfte fortan Wasser in das Rathaus-Center. „In der Folge hat man also leider sämtliche Gärten abgeräumt und die Dächer mit 0815-Bodendeckern versehen“, bedauert Mörz. „Es ist schade, dass man sich nicht für eine anständige Sanierung entschieden hat.“ Einzig der Garten vor dem Standesamt sei erhalten geblieben, damit Hochzeitspaare dort schöne Fotos machen können.
"Keller ist regelrechtes Labyrinth"
Undicht war das Gebäude jedoch nicht nur wegen der Dachbegrünung. „In den 1970er Jahren wurde generell nicht so solide gebaut“, sagt Mörz und lacht. Jedenfalls habe sich, nachdem die Stadt 1992 den Rathaus-Turm erworben habe, ein ständiger Sanierungsbedarf ergeben. „Im Zimmer des Kämmerers musste bei stärkerem Regen die Feuerwehr das Wasser abpumpen“, berichtet der Archivar. Und auch in das Oberbürgermeister-Büro ganz oben im 15. Stockwerk sei im Winter bei schmelzendem Schnee reichlich Wasser eingedrungen. „Da kamen einige Eimer zum Einsatz.“
Von der Spitze zum Fundament: Unter dem Rathaus-Center befindet sich ein Keller in gigantischer Größe, wie Marcel Jurkat erläutert. „Das ist ein regelrechtes Labyrinth.“ Teil dieses Geflechts aus Räumen und Gängen ist das Rathaus-Archiv. „Das umfasst Rollregale für Akten in einer Länge von zwölf Kilometern“, berichtet Archivar Mörz. Knapp die Hälfte davon entfallen auf das Bauamt und beinhalten Schriftsätze, Anträge und Genehmigungen zu Häusern in der Stadt. „Diese werden erhalten und kommen ins Haus der Geschichte, das in der Rhenushalle entstehen wird“, erklärt Mörz.
Etwa zwei Kilometer Aktenmaterial wird von Ämtern selbst mitgenommen, etwa aufzubewahrende Belege der Stadtkasse. Den Rest hat Mörz sich gemeinsam mit einer Kollegin vorgenommen und akribisch durchforstet. „Einige Abschnitte konnte man quasi ungesehen entsorgen, aber es gab Teile, da musste man sich mit jedem einzelnen Stück befassen“, sagt er. Monatelang habe das gedauert. Die Akten aus etwa 30 Dienststellen reichten zum Teil bis in die 1950er Jahre zurück. Letztlich blieben rund 300 Meter Akten übrig, die das Stadtarchiv für aufbewahrenswert erachtete.
Das Rathaus-Center
- Das Rathaus mit Rathaus-Center wurde im Frühjahr 1979 auf dem Gelände des ehemaligen Ludwigshafener Hauptbahnhofs im Norden der Innenstadt eröffnet.
- Der Gebäudekomplex entstand nach den Entwürfen des Bonner Architekten Ernst van Dorp.
- Der 72 Meter hohe Rathaus-Turm ging 1992 in den Besitz der Stadt über. 2019 kaufte sie das komplette Einkaufszentrum für insgesamt rund 46 Millionen Euro.
- Ende 2021 wurde das Center offiziell geschlossen. Es soll zugunsten einer optimierten Planung beim Abriss der Hochstraße Nord und Neubau der Helmut-Kohl-Allee rückgebaut werden.
- Die Etagen 6 bis 15 stehen aus Brandschutzgründen bereits seit dem Jahr 2016 leer. Die bislang dort ansässigen Verwaltungsbereiche wurden dezentral in der Stadt untergebracht.
- Der Abriss soll bis Ende 2024 vollzogen werden.
Und der Rest? „Kommt oder kam bereits in den Häcksler“, berichtet Mörz. „Das sind unglaubliche Mengen an Papier- und Aktenabfall. Zur datensicheren Entsorgung wurde eigens ein Unternehmen beauftragt.“ Wie im privaten Bereich ist auch bei der Verwaltung ein Auszug also eine gute Möglichkeit, auszumisten.
Weiterhin Teil der Verwaltung im Rathaus
Apropos Auszug: Der ist noch gar nicht vollständig abgeschlossen, wie Jurkat berichtet. So seien die Bereiche Gebäudemanagement und IT nach wie vor im Rathaus untergebracht, weil die Ausweichquartiere noch nicht fertig sind. „Das wird voraussichtlich im März oder April soweit sein“, kündigt er an. Der Schuhmacher Advar Tolu, der auf seinem Mietvertrag besteht und das Center nicht verlassen will, ist also gar nicht so allein auf weiter Flur.
An den bald beginnenden Abrissarbeiten wird das jedoch nichts mehr ändern. „Und so bleibt uns nur, Rathaus und Rathaus-Center stets in Erinnerung zu halten“, schließt Jurkat. So wie die hängenden Gärten, die es einst schmückten. Oder die unzähligen Akten, die in seiner vier Jahrzehnte langen Geschichte angefallen sind.
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