Ludwigshafen. Das Ludwigshafener Rathaus-Center darf offiziell abgerissen werden. Eine entsprechende Genehmigung zum Rückbau sei kürzlich bei der Stadtverwaltung eingegangen, berichtete Tiefbau-Bereichsleiter Björn Berlenbach jüngst im Stadtrat. „Es geht jetzt Schlag auf Schlag. Wir wollen möglichst schnell den Bauzaun aufstellen und die Baustelle absperren“, so Berlenbach. „Denn ein leerstehendes Gebäude neigt dazu, dass dort nachts Dinge passieren, die nicht unbedingt erwünscht sind.“
Ganz leerstehend ist das zum Jahreswechsel geschlossene Einkaufszentrum jedoch noch immer nicht. Der letzte verbliebene Mieter, Advar Tolu, harrt mit seinem Rapid Schuh- und Schlüsselservice weiter aus. Sein Mietvertrag läuft noch bis Mitte 2023, und er will das Rathaus-Center nicht verlassen. Mit einem Eilantrag war er vor Kurzem vor Gericht gescheitert. Er hatte die Wiedereröffnung der Passage und der Eingänge aus Richtung Innenstadt gefordert, damit sein Geschäft für Kunden besser erreichbar ist.
Auf eine Berufung verzichtet der 44-Jährige, wie er im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet. „Die haben hier ja schon alles kaputt gemacht“, sagt er mit Blick auf die Schadstoffuntersuchungen der Stadt, für die Decken und Wände geöffnet werden. „Die Sicherheit der Passanten wäre nicht gewährleistet, damit muss ich leben“, sagt Tolu, der das Vorgehen der Stadt als „Schikane“ bezeichnet. Der Ladenbetreiber ist immer noch davon überzeugt, dass es die Verwaltung auf ein Enteignungsverfahren anlegen wird. „Aber ich bleibe hartnäckig. Wenn es um Enteignung geht, dann wird das ein Riesenprozess“, kündigt er an.
Bestimmte Voraussetzungen
Doch kann die Stadt als neue Eigentümerin des Centers den letzten Mieter einfach so enteignen? Darüber hat diese Redaktion mit Ralf Müller-Terpitz, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Mannheim, gesprochen. Mit Blick auf den vorliegenden Fall spricht er von einer „untypischen Konstellation“. Als Mieter habe Advar Tolu ein mietvertraglich begründetes Besitzrecht. Dieses würde die Stadt im Falle einer Enteignung an sich ziehen. „Grundsätzlich ist es denkbar, jede eigentumsrechtliche Position unter Einschluss des Besitzrechts kann enteignet werden“, sagt Müller-Terpitz.
Für eine Enteignung müssten jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. „In erster Linie muss eine Enteignung dem Allgemeinwohl dienen. Ohne die Details näher zu kennen, scheint mir dies in diesem Fall argumentierbar zu sein“, sagt der Rechtsexperte mit Blick auf die städtebauliche Bedeutung eines reibungslosen Abrisses des Gebäudekomplexes. „Aus meiner distanzierten Draufsicht scheinen Gründe für eine Enteignung vorzuliegen.“
Im Falle einer Enteignung schließe sich dann die Frage an, was der Mieter von der Stadt als Entschädigung erhält. Dies hänge im Wesentlichen von den ihm entstandenen Schäden ab. „In diesem Fall könnten das also Umzugskosten, neue Einrichtung oder Maschinen sowie ein möglicherweise entstandener Verdienstausfall sein“, so Müller-Terpitz. Können sich beide Parteien nicht auf eine Entschädigungssumme einigen, so muss diese letztlich in einem zivilrechtlichen Verfahren festgelegt werden.
Auch gegen die Enteignung selbst könnte sich der Mieter wehren - auf dem verwaltungsrechtlichen Weg. „Sofern die Enteignung von der zuständigen Enteignungsbehörde als sofort vollziehbar erklärt wird, könnte die Sache in einem Eilverfahren in wenigen Wochen geklärt werden“, so der Professor.
Stadt bereitet Angebot vor
Eine weitere Voraussetzung für ein Enteignungsverfahren ist, dass im Vorfeld alle anderen, milderen Mittel wie insbesondere eine gütliche Einigung ausgeschöpft seien. Dabei geht es beispielsweise auch um Abfindungsangebote. Ein Angebot von 30 000 Euro durch den alten Eigentümer des Rathaus-Centers hat Tolu eigenen Angaben nach bereits abgelehnt. Die Stadt ließ beim jüngsten Zivilverfahren durchblicken, dass sie eine solche Summe keinesfalls anbieten könne.
Gleichwohl ist die Verwaltung weiterhin an einer gütlichen Einigung interessiert. „Die Stadt bereitet derzeit ein Angebot vor, das den Interessen beider Seiten Rechnung tragen soll“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. „Eine Kontaktaufnahme ist beabsichtigt, sobald das Urteil des Landgerichts Frankenthal rechtskräftig ist“, erläutert sie. Es ist der letzte Anlauf, ein Enteignungsverfahren doch noch zu umgehen.
Streit um Rathaus-Center
- Das Rathaus-Center befindet sich seit 1. Januar 2022 im Eigentum der Stadt Ludwigshafen. Sie hat es für rund 46 Millionen Euro erworben, um es zugunsten einer optimierten Stadtstraßen-Planung abreißen zu können.
- Am 31. Dezember wurde das Center geschlossen, die Baustelle wird bereits eingerichtet.
- Fast alle Mieter haben das Center spätestens zum Jahresende verlassen. Der Mietvertrag des Rapid Schuh- und Schlüsselservice, wurde jedoch nicht fristgerecht gekündigt und läuft noch bis August 2023.
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