Mannheim. Am letzten Tag der Schillertage hat Christian Holtzhauer vier Theaterpraktiker aus vier Ländern eingeladen, um über die politischen Einflüsse zu sprechen, denen sie und ihre Arbeit ausgesetzt sind: Welche Strategien wenden die Regierungen gegen sie an und wo versagen ihre Gesellschaften beim Schutz der Kunstfreiheit? Die zunehmenden Repressionen unter immer mehr autoritären Regierungen kam auch drei Tage vorher in der Eröffnungsrede des Bachmannpreises zur Sprache. „Beinahe täglich“, sagte die Iranierin Nava Ebrahimi, „bauen wir menschlich ab.“ Am Samstag konstatierte der Historiker Christopher Clark in der Süddeutschen Zeitung ein „transnationales Netz der Korruption“ und Angriffe auf „das Öffentliche überhaupt“. Universelle Menschenrechte, Öffentlichkeit und Freiheit: Das ist der Dreiklang, den Friedrich Schiller repräsentiert und der die deutsche Theaterlandschaft ausmacht.
Dass von Einschränkungen und Angriffen nicht nur Theater in Serbien, Georgien oder Indien betroffen sind, macht in diesem Gesprächskreis der Ko-Leiter des Festival „Osten“, Christian Tschirner, deutlich. Auch in Deutschland, schildert er seine Erfahrungen, sind Theater und Festivals propagandistischen Angriffen und Schikanen ausgesetzt. Mit dem, was der Regisseur Data Tavadze aus Georgien, die Autorin Tijana Grumić aus Serbien und der Autor und Regisseur Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah aus Indien schildern, ist das noch nicht zu vergleichen.
Massive Angriffe auf Künstler führen zu einem Theaterstreik
In Georgien baut die prorussische Regierung seit den umstrittenen Parlamentswahlen im Oktober 2024 trotz landesweiter Proteste systematisch die demokratischen Institutionen ab. In der langen Protesttradition Georgiens, beginnt Data Tavadze seine Schilderungen, haben die Theater sich eher zurückgehalten. Doch die massiven Angriffe auf Künstler haben jetzt zu einem Theaterstreik geführt. Sein Stück „Liberté“, in dem es um Sexualität und politische Unterdrückung geht, ist zur Zielscheibe geworden. Ausschnitte der Aufführung tauchten in staatlichen Propagandakanälen auf. Neofaschisten demonstrierten dagegen, drohten, einen Schauspieler zu kastrieren, und bewarfen das Publikum mir Eiern. Die Kirche drohte, alle Beteiligten zu exkommunizieren. Tavadzes Adresse wurde mit einem Aufruf zur Gewalt veröffentlicht, seine Familie und Freunde bedroht.
Angst verbreiten auch die vielen Verhaftungen bekannter Künstler, die Folter, der sexuelle Missbrauch Gefangener, die Verurteilung ohne Beweise, vage Gesetze, langjährige Haftstrafen. Gleichzeitig wirke in der Bevölkerung die politische und kirchliche Propaganda, die universelle Werte und Menschenrechte lächerlich mache. Er halte es nicht für einen Zufall, dass sich diese an Stalin erinnernden Einschüchterungen auch außerhalb Georgiens wie ein Virus verbreiten, sagt Tavadze, sondern für einen lang geschmiedeten Plan. Was momentan bleibt, ist jetzt zu handeln, solange man noch könne. Denn was heute ist, ist besser als das, was noch kommen wird.
Demonstrationen werden von Schlägertrupps angegriffen
In ganz Serben gibt es seit dem Einsturz eines Bahnhofsvordachs mit 16 Toten am 1. November immer wieder Proteste. Gerade demonstrierten über hunderttausend Menschen in Belgrad gegen die Regierung von Alexandar Vučić, ihm werden Korruption und Verbindungen zum organisierten Verbrechen vorgeworfen. Auch angemeldete Demonstrationen, wie die Schweigeminuten für die 16 Opfer, erzählt Tijana Grumić, werden von Schlägertrupps angegriffen. Die Theater in Serbien seien bei den Demonstrationen nicht wirklich relevant. Das Kulturbudget des Staates betrage gerade mal ein Prozent des Haushalts. Als die Studierenden einen Generalstreik forderten, haben die Theater sie dabei unterstützt. Die Regierung habe daraufhin die meisten Förderungen gestoppt. Tijana Grumić glaubt nicht, dass die Regierung, was die Theater betrifft, einen Plan habe. Der Dezernent für das Theater sei ein ehemaliger Militär.
Podiumsteilnehmer
Tijana Grumić (Serbien), Autorin und Dramaturgin.
Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah (Indien), Schauspieler, Regisseur und Mitbegründer des Jangama Collective. „Still I Choose to Love“ für die Schillertage ist seine erste Arbeit in Deutschland.
Data Tavadze (Georgien), Regisseur.
Christian Tschirner (Deutschland), Dramaturg, Autor und Ko-Leiter Festival „Osten“.
Christian Hotzhauer , Schauspielintendant und Leiter der Internationalen Schillertage am NTM.
In Indien, berichtet Lakshman KP, rede die regierende Hindu-Partei (BJP) ganz offen darüber, dass sie bestimmte Ideen nicht in der Verfassung haben möchte. Sie ist gut finanziert und propagiert ihre Ideen von einem Hindu-Staat. Die Partei arbeite massiv mit konservativen, misogynen, islamophoben, führerdominierten Weltbildern gegen den säkularen Staat an einem öffentlichen Konsens. Das betreffe auch die für das Theater zuständigen Institutionen. Der Widerstand komme von sehr, sehr kleinen Theatergruppen, die nicht vom Staat finanziert werden. Es gehe also nicht um Gewalt, sondern um die Präsenz des Staates und eine mikro-faschistische Bewegung, die sich über Symbole, Social Media, Theater- und Filmschulen verbreitet.
Gruppen waren verbalen und medialen Angriffen ausgesetzt
Gerade angesichts des Kastenwesens, betont Lakshman KP, bilden die Ideen von Reinheit, rassischer Überlegenheit und hoher Männlichkeit einen Kontrapunkt zu den Werten der indischen Verfassung: Freiheit und Brüderlichkeit. Er arbeite mit seinem Kollektiv an keinen Orten und erzähle Geschichten, die Gegenbilder zu diesem Hindu-Fundamentalismus entwerfen.
Dem Ko-Leiter des Festivals „Osten“ in Bitterfeld-Wolfen, Christian Tschirner, gehe es darum, in einer dekulturalisierten Region mit einem offenen und partizipativen Angebot einen Austausch zwischen den Menschen zu ermöglichen. Die große Allianz von Gruppen war bald verbalen und medialen Angriffen ausgesetzt. Aber auch auf der institutionellen Ebene. Zudem diffamierte ein Bundestagsabgeordneter der AfD eine ihrer Produktionen. Sie würden den Einheimischen Fördergelder wegnehmen und das, was sie machten, sei keine Kunst.
Selbstzensur, weil man denkt, neutral sein zu müssen
Überrascht habe ihn, dass dort auch die politische Mitte wenig darüber wisse, wie sich Kunst und Demokratie ergänzen und dass Kunst Menschen zusammenbringt. Taucht auf der Bühne etwas auf, mit dem man nicht einverstanden ist, wird schnell gefordert, es zu verbieten. Das führt dann zu einer Art Selbstzensur, weil man denkt, neutral sein zu müssen. Und das nutzen die Rechten für ihre Angriffe aus.
Angesichts dieser dunklen Aussichten gab es doch noch etwas Positives: der Austausch darüber, das Erkennen der Strategien, die Möglichkeit, einen eigenen Plan zu entwerfen, um das zu stoppen. Auch wenn diese Versuche, das Theater zu kontrollieren, ein starkes Argument für das Theater sei, könne es nicht um einen romantischen Widerstand gehen, sondern um eine realistische Einschätzung der Situation. Für Optimismus sei es zu spät, was bleibt, ist Zuversicht.
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