Schillertage

Schillertage: Wie Rimini Protokoll im Dunkeln Theater macht

Im Eintanzhaus war Stefan Kaegis Stück „Société anonyme“ zu Gast. Zu sehen gab es gar nichts, aber viel zu hören und zu riechen.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Blick ins Eintanzhaus: "Société Anonyme" von Rimini Protokoll fand fast im Stuhlkreis, aber in völliger Dunkelheit statt. © Thomas Aurin

Mannheim. Ein Oval ist nur fast ein Kreis. Zur runden Sache fehlt ihm eine Kleinigkeit. Dennoch kann hier - auch in dramatischer Hinsicht -elliptisch ordentlich beschleunigt werden. Wer nach einigen Erklärungen und Vorreden das Mannheimer Eintanzhaus als Kooperationsstätte der Schillertage betritt, sieht von Bühnenbildner Aljoscha Begrich lose im Oval angeordnete Stühle. Sitzt man, geht ganz langsam und kunstvoll das Licht aus. 90 Minuten wird man nun im Dunkeln auf einem Stuhl sitzen und nichts sehen. Gar nichts.

Die im Dunkeln sieht man nicht

Niemand tritt hier auf einer Bühne ins Scheinwerferlicht. Die blinde Musikerin Gül Pridat führt mal Glöckchen schlagend, mal summend oder singend über den von Arvild Baud kunstvoll gewebten Soundteppich aus atmosphärischen Nebengeräuschen, in dem neun anonyme Stimmen von Dingen erzählen, die das Licht der Öffentlichkeit nicht vertragen oder scheuen. Wo die Sonne der Gerechtigkeit nicht hinscheint, ist es meist finster. Und die im Dunkeln sieht man nicht. „Société Anonyme“ nennt Stefan Kaegi seine 2023 im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses uraufgeführte Produktion, was zu Deutsch eigentlich nichts anderes als Aktiengesellschaft bedeutet. Kaegi stellt uns einige Anteile einer anonymen Gesellschaft vor, wenn auch mit wenig Wirtschaftsbezug.

Stefan Kaegis „Société Anonyme" bei den Schillertagen im Mannheimer Eintanzhaus. © Thomas Aurin

Es geht hier im buchstäblichen Wortsinn um das Obszöne. Um all das, was nicht auf die Bühne (ab scena), in die helle Fläche öffentlicher Darstellung und bürgerschaftlicher Repräsentation gehört.

Existent und real sind all diese Dinge, die im Dunkeln liegen, dennoch. Auch wenn sie selbst das Label nicht mehr mögen: Als „Spezialisten der Wirklichkeit“ traten die drei Mitglieder des Doku-Theater-Kollektivs Rimini Protokoll vor 25 Jahren an, das seitdem häufig in der Region zu Gast war. Bei Zeitraumexit, im Heidelberger Kunstverein, der Mannheimer Kunsthalle und mehrfach im Nationaltheater rückten sie meist spektakulär Realität ins Kunstlicht – und führten das NTM und Mannheims OB-Kandidat Sven-Joachim Otto als „Wallenstein“ 2006 sogar zum Berliner Theatertreffen.

Wenn das Obszöne sinnlich wird

Diesmal, wieder im Rahmen der Schillertage, wirkt Rimini-Mitglied Stefan Kaegi an den unbeleuchteten Stellen unseres Miteinanders. Wir hören Stimmen. Ein scientologischer Immobilienmakler, eine schizophrene Anwältin, eine von Missbrauch betroffene Sachbearbeiterin, ein im Darkroom Sex suchender Orchestermusiker, ein hemmungsloser Steuerberater, ein launiger Beichtvater, ein Hafenarbeiter ohne Papiere, eine Aktivistin des Schwarzen Blocks und die Mitarbeiterin einer Samenbank - sie alle kommen zu Wort. Und erzählen uns Dinge, über die man sonst nicht spricht.

Das ist fraglos ein illustrer Reigen, über dessen Zusammensetzung man ebenso diskutieren kann wie über die immerwährende immersive Publikumsbeteiligung. Doch die Ellipse ist eben keine ganz runde Sache. Spaß macht das trotzdem, wird komisch, poetisch oder bedrohlich und macht nachdenklich. Man schnuppert Parfüm, isst Kekse, fächelt sich Luft zu, spürt Regen, riecht Trockeneisnebel und wird nachdenklich. In Summe also ein ungewöhnlich sinnlicher Abend mit Charme.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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