Internationale Schillertage

Hamburg, wie es in Mannheim zur „Kabale“ singt und lacht

Wie das Deutsche Schauspielhaus Hamburg mit musikalischer Kabale im Radioformat und viel Liebe in der Opal für gute Stimmung sorgt.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg zu Gast in Mannheim (von links): Markus John, Ute Hannig, Yorck Dippe, Friedrich Paravicini, Clemens Sienknecht und Jan-Peter Kampwirth. © Matthias Horn

Mannheim. Ein Aufnahmestudio, holzgetäfelt, aus der der Zeit gefallen, groß und schön und herrlich wie goldene Rundfunkzeiten. Schon beim ersten Blick auf die Bühnenbreite der Mannheimer Oper am Luisenpark (Opal) macht sich diffuse Bekanntheit breit. Woher kenne ich das, woran erinnert das? „Fidelio“! Neunziger- oder gar Nullerjahre. Genau! Das Nationaltheater hatte mal, es ist grausam lang her, Beethovens Operneinzling in einer quasi-konzertanten Inszenierung gezeigt, deren Bühnenbild sehr ähnlich aussah.

Nun ja. So ganz zufrieden ist man mit dieser Erkenntnis nicht, aber der Abend hat ja auch eben erst angefangen. Noch 118 Minuten wird das ausverkaufte Gastspiel des Deutschen Schauspielhauses Hamburg (DSH) im Rahmen der Schillertage dauern. Alles, was sich langjährig irgendwie an Schiller und den Schillertagen interessiert zeigt, ist da. Kein Wunder, ist diese „Kabale“ doch eines der wenigen „großen Gastspiele renommierter Häuser“, die einst das Festival groß machten.

Ganz original geht es freilich auch in Hamburg längst nicht mehr zu - und im Fall dieser Produktion ist das auch explizit Programm: „Kabale und Liebe - allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“. Das ist mal eine Ansage im Titel. Eine mit Humor.

Und nun die Werbung: „Steife Haare spät bis früh - safe, safer, Safety-Sprüh!“

Clemens Sienknecht und Barbara Bürk setzen Schillers Bürgerliches Trauerspiel anno 1784 ins Radioformat. Das etwas andere „Klassik Radio“ bringt es auf „Kanale Kabale“ zu Gehör, sieben Ensemblemitglieder spielen und singen es ein. Das macht die Truppe nicht zum ersten Mal, sondern folgt mit der DSH-Premiere vom Februar diesen Jahres einem mancherorts lange erprobten Erfolgskonzept. Die Klassikerüberschreibungen und Vertonungen der besonderen Art wurden - wie sich an der langen Reihe erkennen lässt - allenthalben als humorige Theatervergnügen gefeiert und haben als „große Seitensprüngen der Weltliteratur“ in Hamburg längst Kultcharakter.

Spielen "Kabale und Liebe – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie" (v. l.): Yorck Dippe (Lady Milford), Jan-Peter Kampwirth (Ferdinand) und Ute Hannig (Kammerjungfer Sophie) vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg. © Matthias Horn

Mannheims Opal macht da keine Ausnahme: frenetischer Jubel gut unterhaltener Theaterfreunde. Das erfolgreiche Konzept geht so: Im Rahmen einer launigen Radioshow wird große Literatur, unterbrochen von kalauernden Werbeunterbrechungen, stark verkürzt von einem mit echten Typen besetzten Ensemble gesprochen, das in möglichst albernen Kostüme steckt.

Doch die immerwährende Heiterkeit hat als harmonische Basis für das literarische Miteinander auch ihre Grenzen. Barbara Bürk und Clemens Sienknecht sind dennoch wahre Freunde der Kunst - und vor allem der Musik. Was im flapsig-schrägen Vortrag der neuralgischen Textstellen auf Klamaukkosten unter den Empfindsamkeitstisch fällt, wird in musikalischer Übersetzung ausgelagert.

Die Klassikerreihe aus Hamburg

Das Format mit Live-Musik stammt von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk . Bühne und Kostüme dazu stammen von Anke Grot.

Den Auftakt hierzu machte 2015 Theodor FontanesEffi Briest“. Freilich mit dem von nun an immergleichen Zusatz und späteen erfolgslabel „- allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ .

Sie schaffte es 2016 prompt in die Bestenauswahl der bemerkenswerten Inszenierungen des Berliner Theatertreffens .

In Hamburg oder auch Düsseldorf und Hannover folgten literarische Verwandte wie Tolstois „Anna Karenina“ (2017), „Die Nibelungen“ (2019) , Dostojewskis „Schuld und Sühne“ (2023) oder Goethes „Faust“ (2024), im Februar 2025 dann „Kabale und Liebe“ . rcl

Zeit für Werbung: „Steife Haare spät bis früh - safe, safer, Safety-Sprüh!“

Das Spektrum ist hierbei stets weit, bezieht sich im Kabale-Fall auf die 1960er Jahre bis frühen 80er Jahre und reicht von Fred Bertelsmann blödsinnig lachendem Vagabunden (1958) über die Bee Gees und Dalidas „Paroles“ (1973) bis zu „Just An Illusion“ (1982) von Imagination. Dass dabei wie selbstverständlich auch ein alpines Volkslied, Bachs tonsatzgestrenges „Jesu bleibet meine Freude“ oder der Titelsong zu „Mission impossible“ um die Mikrofonecke lugt, würzt die Sache ungemein. Das alles kann freilich nur gelingen, wo eine stattliche Musiktruppe mit Originalitätsfaktor am Wirken ist. Mit Ute Hannig, Yorck Dippe, Markus John, Jan-Peter Kampwirth, Friedrich Praravicini, Clemens Sienknecht und Michael Wittenborn ist dies übererfüllt, denn bei Schauspielabenden mit Musik ist dramatischer Ausdruck traditionell seligmachender als reiner stimmlicher Schönklang.

Und hier noch ein Jingle: „Kein Stress mit Trinko Fresh! Die Stretch-Limo, die flasht!

Werbeeinnahmen müssen sein. Nur manchmal tut Werbung weh. Etwa, wenn die erste szenische Begegnung des Abends zwischen Ferdinand und Luise vom Moderator brutal durch den Sonderangebotshinweis für marinierten Schweinenacken unterbrochen wird. Geht es um Schiller, darf dessen chorische Ode „An die Freude“ natürlich nicht fehlen, musikalisch und spielerisch kunstvoll unterbrochen durch hängenden Tonabnehmer und falsche Abspielgeschwindigkeiten. Woher kennt man das? Da fällt der Groschen. Ein Song fehlt: „Alles nur geklaut“ von den Prinzen.

Das Konzept von Bühne, Kostüm und Kolorit erinnert nicht von ungefähr an die genial ästhetisierten Langsamkeitsgottesdienste von Christoph Marthaler und Anna Viebrock. Der volkstümliche Kniff: Weniger Strenge und Klarheit, dafür mehr Stimmung und Klamauk, Marthaler am Spielbudenplatz sozusagen. Erlaubt ist, was gefällt. Das nächste Stück steht auch schon fest, was Antikes: „Trauer im Elektroladen“ oder so ähnlich …

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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