Mannheim. Die Geschichte des iranischen Regisseurs Mohammad Rasulof ist spätestens seit der Oscar-Nominierung seines 2024 erschienenen Films „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ bekannt. Da er schon mit seinen früheren Filmen gegen die Zensurvorgaben verstoßen hatte, war er immer wieder mit Gefängnisstrafen, Arbeits- und Ausreiseverboten belegt worden. Sein Film „Doch das Böse gibt es nicht“ erhielt 2020 den Hauptpreis der Berlinale. Seine Berufung zum Jurymitglied der Filmfestspiele in Cannes konnte er wegen einer Gefängnisstrafe nicht wahrnehmen. Er hatte sich kritisch über das Vorgehen des Staates gegen die Demonstrationen im Zug der Proteste um den Tod von Jina Mahsa Amini geäußert. Während sein Berufungsverfahren lief, drehte er von Dezember 2023 bis März 2024 im Verborgenen „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, einen Film über die monatelangen Proteste „Frau Leben Freiheit“. Als das Gericht Rasulofs Gefängnisstrafe bestätigte, floh er aus dem Iran.
Filmemacher im Iran
Mohammad Rasulof (1973) ist ein iranischer Filmemacher und Regisseur . Er setzt sich mit den politischen Verhältnissen in seinem Land und der Rolle der Frau auseinander, wie zum Beispiel auch die Regisseure Asghar Farhadi in „Nader und Simin“, Kambuzia Partovi in „Café Transit“, Jafar Panâhi in „Taxi Teheran“.
Wegbereiter Abbas Kiarostami gilt als einer der großen Regisseure des Weltkinos.
Die beiden Regisseurinnen Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha drehten 2024 die Emanzipationsgeschichte einer 70-jährigen Frau. Für „Ein kleines Stück vom Kuchen“ wurden sie zu vierzehn Monaten Haft verurteilt . Die Strafen müssen erst in fünf Jahren angetreten werden, sie sind aber jederzeit vollstreckbar.
Das für das „Performing Exiles“-Festival entstandene und am 19. Juni auf den Berliner Festspielen uraufgeführte Stück „Destination: Origin“ zeigt diese dramatischen Produktionsbedingungen aus der Perspektive seiner drei weiblichen Hauptdarstellerinnen: Setareh Maleki, Mahsa Rostami und Niousha Akhshi; es wurde bei den Internationalen Schillertagen im Alten Kino Franklin aufgeführt. Genau wie der Regisseur selbst, waren die Frauen gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen. Im Programmheft der Schillertage wird dem Stück der Slogan „Wir alle wollen ein Zuhause“ zur Seite gestellt.
Viele Fragen stellen sich dem Betrachter
Als Betrachter stellt man sich unvermeidbar Fragen wie: Wie kann man sich so eine geheime Filmproduktion vorstellen, an der zahlreiche Schauspielerinnen und Schauspieler, Kameraleute, Maskenbildnerinnen beteiligt sind? Wie läuft das Casting ab? Wie wirken sich der Stress auf die Arbeit und den Alltag der Beteiligten aus? Wann und wie fällt die Entscheidung, das Land zu verlassen, weil durchgesickert ist, dass man an so einem Projekt beteiligt ist? Und kommt man tatsächlich irgendwo an? Oder nimmt man seine Herkunft als Reiseziel mit ins Exil?
Mohammad Rasulof löst die Geschichte seiner drei Hauptdarstellerinnen in poetische Bilder, Choreografien, Erzählungen und Spielszenen auf. Nachdem sich der farbige persische Teppich gehoben hat, landet man in einer dunklen, von einem bedrohlichen Sound und ängstlichen Atemgeräuschen unterlegten Szenerie (Bühne Yashi Tabassomi). Eine leuchtende Frau in einem weißen Kleid zerfällt in drei Personen, die marionettenartig aneinander gefesselt sind. Sie sehen dabei zu, wie die Seele den eigenen Körper verlässt.
Seile, Bänder und Stricke als Leitmotiv der Performance
In der zweiten Szene agieren vier Frauen, Eli Riccardi spielt alle anderen Rollen. Sie tragen eine elegante dunkle Uniform, nur der Oberkörper ist hellblau. Sie bewegen sich tanzend und suchend durch einen Wald aus herunterhängenden Seilen. Obwohl das alles schon bedrückend genug ist, spart Sebastian Zamponi (Licht) nicht mit Blitzen und einem über die Szene irrenden Mond. Seile, Bänder und Stricke sind ein Leitmotiv der Performance. Eine gängige Metapher für Unfreiheit, aber in einem Land, in dem das Auspeitschen und das Erhängen als Strafen drohen, löst diese Symbolik wahrscheinlich ganz andere Vorstellungen.
Die vier Frauen tasten sich wie bei einer Festnahme gegenseitig ab. Wem kann man vertrauen, wer steht auf der anderen Seite? Und: Wer bin ich? Die Angst, heißt es später, ist die Mutter der Paranoia. Die Schauspielerinnen brechen zusammen, helfen sich gegenseitig wieder auf, bis sie die Kraft oder die Hoffnung verlässt.
Von welchem Standpunkt aus betrachtet man dieses Stück?
Setareh Maleki, Mahsa Rostami und Niousha Akhshi erzählen, wie sie zu den Rollen im Film gekommen sind, dass sie die Wahl hatten zwischen Arbeitslosigkeit oder diesem anfangs undurchschaubaren Projekt. Wie ihnen klar wurde, dass sie für ihre Kunst im Gefängnis landen könnten, wie die Angst, entdeckt oder verraten zu werden, sich einnistet und dann tatsächlich das eintritt, was sie befürchtet haben: Die Sache kommt ans Licht. Fliehen oder bleiben? Für die Entscheidung und das Packen eines Koffers bleibt wenig Zeit. Ein letztes ausgelassenes Spiel mit dem heimatlichen Mond zu einem optimistischen Chanson, dann beginnt der Weg ins Exil.
Im Gegensatz zum Iran ist Berlin bunt: Licht, Farbe, Musik, Clubs und Tanz (Video: L Wilson-Spiro), aber auch horrende Mieten und die Frage, was besser ist: bequem oder unbequem zu leben? Denn schließlich bleiben die drei Exilantinnen trotz aller Freiheiten an ihre Herkunft gefesselt.
Der Applaus und die Standing Ovations im Alten Kino Franklin hatten eine höfliche, respektvoll, anerkennende Note und stellten damit eine nicht ganz einfache Frage in den Raum: Von welchem Standpunkt betrachtet man dieses Stück. Perfekt erfüllt hat es zumindest die Erwartungen an eine dokumentarische Erzählung über die Themen Exil, Identität und künstlerische Freiheit.
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