Internationale Schillertage

Gynäkologische Einsichten zum Finale der Schillertage in Mannheim

Mit „Queens“ aus Dortmund und „Die Räuberinnen“ aus München endet die 23. Festivalauflage auch beim Blick auf Kunst und Zahlen eher ernüchternd.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Blick in den Unterleib: Die Dortmunder „Queens" nach Schillers „Maria Stuart" spielen (von links) Marlena Keil und Linda Elsner. © Birgit Hupfeld

Das Wichtigste in Kürze

  • Die 23. Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim gingen von 19. bis 29. Juni 2025.
  • 10. 500 Zuschauer kamen zu insgesamt 62 Veranstaltungen.
  • Das Programm bot in diesem Jahr wenig künstlerische Höhepunkte.

Mannheim. Wo Blut fließt, ist Wärme, manchmal gar hitzige Wallung, und es pulst Leben. Unter Umständen nicht mehr lange, sofern der vitale Saft gerade dabei ist, aus dem menschlichen Körper ins Leere zu schießen. Im Studio Werkhaus des Nationaltheaters tut er dies so heftig, dass beim Gastspiel „Queens“ des Schauspiels Dortmund die erste Zuschauerreihe textil erheblich davon profitiert. Kann passieren - und soll angeblich beim Waschen rausgehen.

Den wackeren Dortmunder Darstellerinnen von Maria Stuart (Marlena Keil) und Königin Elisabeth I. (Linda Elsner) tut es leid, die Kunstblutpatrone platzte beim gegenseitigen Halsschlagader-Biss in die falsche Richtung.

Richtig, das steht so, wie fast alles in diesen 85 Minuten, nicht bei Schiller. Kein schottischer Kopf rollt hier, kein Lord ist hier am Schluss „zu Schiff nach Frankreich“. Überhaupt spielen Burleigh, Leicester, Mortimer oder Talbot (Ekkehard Freye und Viet Anh Alexander Tran) keine Rolle mehr. Was hier aber eigentlich geplatzt ist, das ist der feministische Traum einer weiblichen, vielleicht friedfertigeren, zumindest aber testosteronärmeren alternativen Geschichtsschreibung.

Man kann sich täuschen - auch bei Schiller

„Queens“ ist eine (weitere) Überschreibung von Schillers Historiendrama durch Christopher-Fares Köhler, Marie Senf und Regisseurin Jessica Weisskirchen. Obwohl es sich um eine Art Textvereinfachung handelt, denkt man eingangs noch, dass dies wohl der am wenigsten Schiller-ferne Abend des in die Zielgerade einbiegenden Festivals werden könnte. Man täuscht sich.

Kommentar Schillertage in Mannheim allmählich bleiben lassen?

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Ralf-Carl Langhals
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Erste Hinweise auf die Utopie einer gemeinsamen Regentschaft ohne Schafott und männliche Hof- und Politintrigen gibt das wahrlich eindrückliche Eröffnungsbild. Aus dem Vulva-Schlitz einer bühnenhohen Gebärmutter schälen sich die Königinnen gemeinsam aus ihren Fruchtblasen, während der Sprechchor Dortmund wie Macbeth‘sche Hexen in organischen Zombie-Kostümen (Bühne und Ausstattung: Günter Hans Wolf Lemke) kunstvoll bedrohlich zischelt: „Die Frau, die Geliebte, die Ungeliebte, die Jungfräuliche, die Wütende, die Erkennende, die Sich -Windende, Sich-Fragende, die Königinnenschar…“.

Leuchtende Eierstöcke und schießende Brüste

Rot ist nicht nur die Liebe, sondern eben auch Blut, das diesen etwas plakativ-kitschigen Unterleib in den Arterien der Werkhaus-Bühne durchfließt und nebenbei an das Kolorit der „Mannheimer Räuber*innen“ im Käfertaler Wald erinnert.

Diese „Queens“ sollen anders sein. Anders als bei Schiller, anders als in den Geschichtsbüchern, anders als in patriarchalisch geprägten Systemen. Anders. Irgendwie. Hier liegt das Problem. Vulgär könnte man es „Das-dicke-Eier-Problem“ nennen. Im Wald von Fotheringhay (III. Akt, 4. Szene) lässt sich dieses zum anstehenden „Queens“-Treffen natürlich auch weiblich (durch sich per Luftdruck über dem zentralen Uterus aufblähende) Eierstöcke darstellen.

Diese „Räuberinnen" wurden 2019 als Koproduktion der Münchner Kammerspiele und des Berliner Maxim Gorki Theaters auf die Bühne gebracht und waren nun zum Abschluss der Schillertage in Mannheim zu sehen (v. li.): Gro Swantje Kohlhof (Spiegelberg), Julia Riedler (Karl Moor), Eva Löbau (Franz Moor) und Sophie Krauss (Amalia) im Alten Kino Franklin. © Judith Buss

Jessica Weisskirchen kreiert eine zu üppig ausgestattete Geisterbahn, in der sich die beiden Machthaberinnen gespenstisch aggressiv verstricken wie in ihren Nabelschnüren, Blutsbanden, Haarzöpfen und Kronen. Als der weibliche Humanismus versagt, hilft nur noch der finale Rettungsbiss - bis Blut spritzt.

Bühnenbildnerisch schlichter, aber vom Ansatz her nicht weniger feminin geht es am nächsten Tag im Alten Kino Franklin zu, wo „Die Räuberinnen“ aus Matthias Lilienthals letzter Münchner Kammerspielsaison 2019 auftraten.

Regisseurin Leonie Böhm hat - wie auch Beata Anna Schmutz mit der hauseigenen Stadtensemble-Produktion „Mannheimer Räuber*innen“ - weitestgehend auf Schillers Text und Handlung sowie das Gros seines Bühnenpersonals verzichtet. Was bleibt, sind die darin angelegten Traumata und vier Figuren: die Brüder Franz und Karl von Moor, Amalia und der Agro-Antroposoph Spiegelberg.

Die politisch-korrekte Welt ist kompliziert geworden

Besetzt sind sie mit einem Damenquartett, Musikerin Fritzi Ernst von der Indie-Pop-Band mit dem schönen Namen Schnipo Schranke (also Schnitzel mit Pommes rot-weiß) liefert live den lapidaren Sound dazu.

Franz, den optisch wenig begünstigten ewigen Zweiten, die berühmte Kanaille, spielt die aus dem Freiburger „Tatort“ bekannte Eva Löbau. Da man über Schillers „Lappländersnase“, „Mohrenmaul“ und „Hottentottenaugen“ nicht mehr zu klagen wagt, jammert sie als ein Er über hängende Schamlippen, die den Vater abstoßen. Die Welt ist kompliziert geworden.

Schillertage-Bilanz

10.500 Besucherinnen und Besucher sahen bei den 23. Internationalen Schillertagen am Nationaltheater Mannheim von 19. - 29. Juni 21 Projekte in insgesamt 62 Veranstaltungen (davon 26 Theatervorstellungen) an 11 Spielorten. Besucher der kostenfreien Konzerte und Partys sind mit eingerechnet. Das NTM spricht von einer Gesamtauslastung von 97,2 Prozent , bei den 26 Theatervorstellungen von 94 Prozent.

Vergleich zu den Vorjahren : 2023 (15.000 Zuschauer in 73 Veranstaltungen), 2021 (hybride Corona-Ausgabe, 10 000 Zuschauer in 56 Veranstaltungen), 2019 (25 000 in 70, erstmals unter C. Holtzhauer), 2017 (18 000 in 90, letztmals B. C. Kosminski), 2015 (21 000 in 100), 2013 (22 000 in 100), 2011 (21 000 in 92), 2009 (20 000 in 100), 2007 (13 000 in 82, erstmals Kosminski), 2005 (35 000 in 120, letztmals J. D. Herzog).

Durch die Kürzung der Bundesfördermittel (150.000 Euro) belief sich das Gesamtbudget auf 780.000 Euro (2023. 930.000 Euro). rcl

Bruder Karl (Julia Riedler) ist ein gefallsüchtiger Publikumsliebling, aber auch tieftraurig. Papa Moors Erwartungshaltung ist schuld an seiner Psycho-Misere.

Da haben Spiegelberg (Gro Swantje Kohlhof) und die sonst doch so duldsame Amalia (Sophie Krauss) schon mehr Power, um den Theaterladen zu rocken und die Jammerläppinnen zur Tat aufzurütteln.

Nasser Quatsch sorgt für gute Stimmung

Per Wasserrutsche also ab in die böhmischen Wälder, um mit „Rote-Socken-Theater“ und viel lustigem Quatsch „Herrin über sich selbst zu werden“. Den langen, langen Weg dorthin ziehen wir uns am Tampon-Bändel, schießen uns mit den Brüsten frei, die auch zum lustigen Festgeläut taugen - „Die Glocke“, verstehste?

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Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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