Mannheim. „Geht’s nicht auch eine Nummer kleiner?“, fragte FDP-Stadträtin Birgit Reinemund. Sie sprach damit aus, was indirekt hinter mancher Wortmeldung steckte. Zum Konzept für die Ersatzspielstätten während der Generalsanierung des Nationaltheaters hatte der Kulturausschuss viele Fragen, einige Bedenken, teils gab es kräftigen Gegenwind. Zu einer zustimmenden Empfehlung konnte sich das Gremium am späten Dienstagabend nicht durchringen. Die endgültige Entscheidung fällt aber ohnehin erst am 22. April der Gemeinderat.
„Es sind etliche Fragen offen“, meinte SPD-Fraktionsvorsitzender Thorsten Riehle. Auch SPD-Stadträtin Helen Heberer fand manche Angaben „zu vage“: „Wir müssen das in unserer Fraktion darstellen“, erklärte sie. Angela Wendt (Grüne) wollte „noch mal das ganze Zahlenwerk“ schriftlich aufgeschlüsselt bekommen, „damit uns kein Fehler passiert zu dieser späten Stunde“. Immerhin hatte der Ausschuss zu diesem Zeitpunkt bereits über fünf Stunden getagt – und es ging dann noch eine Weile weiter.
Das Niveau halten
Stadtrat Alexander Fleck verteidigte für die CDU zwar die Konzeption, sprach aber auch von einem „finanzpolitischen Riesenkraftakt“. Kulturpolitisch handele es sich jedoch um einen „großen Wurf“, der es möglich mache, künstlerisch „maximale Möglichkeiten zu entfalten, und diesen Anspruch sollten wir an das Haus auch haben“. So argumentierte ebenso ML-Fraktionschef Achim Weizel. Das Nationaltheater müsse während der Generalsanierung alles tun, um seine Zuschauer zu halten, „das geht schlecht, wenn wir das Niveau senken“, warnte er.
Er reagierte damit auf Reinemund, die sich über die Gesamtkosten von über 33 Millionen Euro „ziemlich erschrocken“ zeigte. „Bei mir steigt der Adrenalinspiegel ins Unendliche“, kritisierte sie. Zumindest dem Bau einer Leichtbauhalle auf der Oktoberfest-Fläche beim Technoseum werde die FDP nicht zustimmen. „Man muss eben fünf Jahre mal nicht auf höchstem Niveau spielen, sondern mit den vorhandenen Ressourcen auskommen“, verwies sie auf die wegen Corona eingeführten „White Wall“-Opern mit verringertem Ensemble.
Doch da widersprachen ihr der Geschäftsführende Intendant Marc Stephan Sickel und Opernintendant Albrecht Puhlmann vehement. Sickel räumte zwar ein, dass es sich „um einen Batzen Geld“ handele. Es sei aber viel weniger als bei Ersatzbauten anderer Theatersanierungen – etwa 100 Millionen Euro in Stuttgart – und entspreche dem Wunsch, weiter das Mannheimer Repertoire als „Säule“ des Nationaltheaters zu pflegen. Ohne entsprechend große Ersatzspielstätten müsse man Teile des Ensembles und der künstlerischen Kollektive (Chor, Orchester) entlassen, so Puhlmann. Es sei „ein Ding der Unmöglichkeit“, dann das Nationaltheater nach fünf Jahren der Generalsanierung wieder auf das vorherige Niveau zu bringen.
Sickel versicherte, nach dem jetzt vorgelegten Konzept sei das „traditionsreiche Nationaltheater in der Lage, auf höchstem künstlerischen Niveau“ zu spielen und das Publikum „vielfältig erreichen zu können“. Auf Nachfrage räumte er allerdings ein, dass man „bei seriöser Betrachtung“ davon ausgehen müsse, während einer so langen Generalsanierung 30 Prozent des Publikums zu verlieren. Bei der Suche nach Sponsoren für einzelne Projekte der Sanierung sei zwar „einiges gelungen“, die geplante „breit angelegte Spendenkampagne“ für die Bürger haben man wegen Corona aber nicht gestartet.
Sickel bekräftigte zudem, dass ein Theaterbetrieb in so vielen Ersatzspielstätten „einen Rattenschwanz“ zusätzlicher Personal- und Logistikkosten verursache, die er auf 900 000 Euro jährlich bezifferte. Er sagte aber zu, dies mit Hilfe von Einsparungen oder Umschichtungen zu lösen. „Wir wissen, dass wir unseren Beitrag leisten müssen“, versicherte er.
Kritik an Ludwigshafen
Mehrere Stadträte kritisierten, dass Ludwigshafen den Mannheimern im Pfalzbau so wenig Termine, pro Spielzeit 35 bis 40 Vorstellungen, anbiete. „Sehr unbefriedigend“ nannte Riehle das, Weizel sprach von einem „echten Drama“, zumal sich die von den beiden Städten kommunizierten Vertragsdetails noch unterscheiden. „Wir wollten dort deutlich mehr machen“, gab Sickel zu, „doch es gab auf der Strecke sehr unterschiedliche Sichtweisen“, bedauerte er. Aber nur der Pfalzbau habe einen Bühnenturm, weshalb man eben nur dort alte, beliebte Mannheimer Produktionen weiterspielen könne – daher werde man nicht, wie Fleck vorschlug, ganz auf Ludwigshafen verzichten können.
Ersatzspielstätten
- Das gesamte Konzept der Ersatzspielstätten für die auf fünf Jahre geschätzte Generalsanierung kostet 33,1 Millionen Euro, die Sanierung selbst 247 Millionen Euro.
- Das Schauspiel soll im ehemaligen Kino der Amerikaner auf Franklin unterkommen, das danach Kulturzentrum für den neuen Stadtteil wird. Das wird vom Gemeinderat gebilligt.
- Zudem werden Rosengarten, Rokokotheater Schwetzingen und Pfalzbau angemietet. Eine Anmietung vom Kulturhaus Käfertal oder der Alten Feuerwache, wie von Helen Heberer vorgeschlagen, ist laut Theater nicht nötig – in dieser Größenordnung gibt es weiter das Studio Werkhaus, das nicht saniert wird.
- Umstritten ist der auf 17 Millionen bezifferte Bau einer Leichtbauhalle auf dem Oktoberfestplatz zwischen Technoseum und Benz-Station.
Für Neuproduktionen brauche das Theater indes einen weiteren Ort, verteidigte Sickel die Idee einer temporären Leichtbauhalle auf dem Oktoberfestplatz. Man müsse sich den Leichtbau indes „schon etwas massiver vorstellen“, antwortete Marcus Augsburger, Leiter der Geschäftsstelle Generalsanierung, auf die Bedenken von Riehle, der Bau liege in der Einflugschneise und nahe einer lauten Eisenbahntrasse. Der Schallschutz sei gewährleistet. Da die Ersatzspielstätten vor der Generalsanierung, die im zweiten Halbjahr 2022 beginnen solle, fertig sein müssten, wäre der Zeitplan aber „relativ sportlich“, so Augsburger. Noch vor der Sommerpause müsse man den Auftrag erteilen.
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