Mannheim. „Theater wird jetzt großes Kino“ hat er als Motto ausgegeben: Schauspieldirektor Christian Holtzhauer nutzt mit seinem Team während der ab Sommer laufenden Generalsanierung des Nationaltheaters das frühere Kino der amerikanischen Wohnsiedlung Benjamin-Franklin-Village. Ab 1. September will er einziehen, im Dezember soll hier die erste Premiere sein. Ob das klappt, ist aber noch unklar.
„Wir werden alles dafür tun, dass es funktioniert“, versprach jetzt Achim Judt, der Geschäftsführer der städtischen Projektentwicklungsgesellschaft MWSP, die den Umbau vornimmt. Sie habe einen Generalunternehmer beauftragt, die Arbeiten im Innern des Gebäudes und außen liefen, aber jeder wisse ja, dass in der Baubranche die Preise gestiegen seien und Materialknappheit herrsche. „Im Moment sieht es so aus, dass es funktioniert“, so Judt zum Zeitplan. Als Holtzhauer aber konkret nach der für den 1. September vorgesehenen Schlüsselübergabe fragte, sagte Judt: „Teilbereiche ja – ich weiß ja, dass sie einen gewissen Vorlauf brauchen“.
„Es ist ein spannendes Projekt, das Aufbruch signalisiert“, meinte Christian Haas, der neue Vorsitzende der Freunde und Förderer des Nationaltheaters. Er hatte Holtzhauer und Judt zu seiner ersten Veranstaltung der Reihe „Begegnung“ eingeladen – 240 Jahre nach der „Räuber“-Uraufführung im Nationaltheater in B 3 und 65 Jahre nach der Eröffnung des Neubaus am Schillerplatz. Doch diese beiden Daten zeigten, so Holtzhauer, dass die Orte sich ändern könnten und Kunst losgelöst davon weiter entstehe – darauf freue er sich auch beim Franklin-Kino.
Es handelt sich dabei um eines der wenigen Gebäude der ehemals größten amerikanischen Wohnsiedlung in Deutschland, die erhalten bleiben. „Es war eine Stadt in der Stadt, da gab es alles – von der Klinik bis zum Jugendzentrum“, so Judt. Nach dem Abzug der Amerikaner 2011 habe die Stadt über die MWSP das 144 Hektar große Franklin-Areal 2015 gekauft, um es als neues Wohngebiet zu entwickeln. Ziel sei gewesen, ein Drittel der alten Gebäude zu erhalten, sagte Judt, was aber nicht ganz erreicht werde. „Die Bauweise der Amerikaner und das deutsche Baurecht passen nicht wirklich zusammen“, sagte er. Die Investoren, die dort neue Wohnungen errichten, hätten aber die Auflage, auf ihren Flächen jeweils eines der ehemals 72 gleichförmige Wohngebäude zu erhalten und zu modernisieren.
Ausstellung und Open-Air-Kino
Dagegen kümmere sich die MWSP um die öffentlichen Gebäude, erläuterte Judt. Zwei kleine Kirchen bleiben erhalten, in der früheren Vorschule soll in Zusammenarbeit mit dem Marchivum ab 2023 eine Dauerausstellung zur Geschichte der Amerikaner in Mannheim entstehen („Da wird gerade ein Kurator gesucht“), und eine der ehemaligen Panzerhallen solle bereits in diesem Sommer für ein – überdachtes – Open-Air-Kino genutzt werden. Die MWSP wolle das Gelände nicht nur entwickeln, sondern auch „sozialen Mehrwert schaffen“. In diesen Zusammenhang stellte Judt auch den Umbau des alten Kinos, wo 2011 der letzte Film lief. Es sei Teil eines „ganz, ganz tollen Ensembles“, wozu ebenso die heute als Kletterhalle genutzte ehemalige US-Sporthalle gehöre, wo einst Basketball-Superstar Dirk Nowitzki spielte.
Das Kino in seiner ursprünglichen Form reicht aber nicht als Ersatzspielstätte aus. Für Eingang, Foyer und Gastronomie entsteht ein dauerhafter Anbau, hinter dem Gebäude kommen temporär und daher in Modulbauweise Künstlergarderoben und Arbeitsräume für Bühnentechniker dazu. Um die Lasten von Scheinwerfern, Ton- und Videotechnik aufzunehmen, müsse man „komplett ein Stahlgerüst einziehen“, erklärte Judt. Der Zuschauerraum fasst 500 Plätze.
Einen Bühnenturm und Möglichkeiten zur Versenkung in der Tiefe wird die Ersatzspielstätte nicht haben, „wir können also keine Verwandlungen in die Höhe machen oder Schauspieler verschwinden lassen“, sagte Holtzhauer. Dafür erhalte man eine Drehscheibe auf der Bühne für schnelle Kulissenwechsel, was man am Goetheplatz „sehr vermisst“ habe, meinte er.
Teurer als die Miete
Holtzhauer will mit dem Programm auf Franklin sowohl jene Menschen ansprechen, die überzeugt werden müssten, „dass sie den weiten Weg auf sich nehmen“. Dabei sei man derzeit mit der Rhein-Neckar-Verkehr (RNV) „im Gespräch“, zusätzlich zur Stadtbahnlinie 5, die direkt dort hält, auch einen Bus anzubieten. Das Schauspiel wolle aber zudem den Platz vor dem früheren Kino bespielen und versuchen, die neu auf Franklin zugezogenen Bewohner für das Theater zu begeistern. Immerhin sind drei Viertel der momentan 4300 Bewohner unter 39 Jahre alt – 10 000 Einwohner soll Franklin im Endausbau haben.
Die MWSP erhofft sich daher vom Nationaltheater eine „kulturelle Belebung“ des neuen Stadtteils und erwartet, „dass sich da ein Magnet bildet, durch den noch mehr Menschen Franklin entdecken“. Auch über die Zeit als Ersatzspielstätte hinaus solle das Gebäude dann kulturell genutzt werden, erklärte Judt. Schließlich sei der Umbau „wesentlich teurer als das, was wir vom Theater an Miete bekommen“. Zahlen zu nennen, würde aber „zu weit führen“, meinte er. Der Mietpreis für fünf Jahre war zuletzt mit neun Millionen Euro angegeben worden.
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