Ab heute, so könnten wir es formulieren, geht es ums Ganze fürs Nationaltheater Mannheim. Der musikalische Startschuss am Abend im Luisenpark mit dem „Opern Air“ führt in die nach dem Zweiten Weltkrieg vielleicht schwierigste Zeit der Institution. In 330 Tagen fällt der vorerst letzte Vorhang im Spielhaus am Goetheplatz – bezeichnenderweise mit Richard Wagners „Götterdämmerung“. Dann folgen ab 31. Juli Auszug und Sanierung, von der keiner genau weiß, wie lange sie dauern und wie viel sie kosten wird. Mindestens vier Jahre sollen es werden, und die Kosten sind alles in allem deutlich höher als mit 300 Millionen Euro veranschlagt – für Sanierung, Interimsspielstätten und alles andere, doch sowohl die Zeit- als auch die Geldachse scheinen, die Erfahrung anderer Theatersanierungen lehrt es, weiter offen – zumal vor dem Hintergrund der Baustoffpreisexplosion. All das ist schwindelerregend.
Hinzu kommt, dass der die Sanierung koordinierende Intendant Marc Stefan Sickel mit Start der Arbeiten geht, und auch Generalmusikdirektor (GMD) Alexander Soddy hört dann auf. Für beide gibt es derzeit keine Nachfolger. Noch nicht.
Problem dezentralen Spielens
Opernintendant Albrecht Puhlmann kann trotzdem gut schlafen, wie er der Redaktion verrät, denn: „Ich bin deswegen nicht beunruhigt.“ Er gehe mit „einem lachenden und einem weinenden Auge“ in die Saison. „Wir haben uns vorgenommen, diese letzte Spielzeit vor der Sanierung in vollen Zügen gemeinsam mit unserem Publikum zu zelebrieren und zu genießen.“ Puhlmann findet den Bau von Architekt Gerhard Weber „einen großartigen Ort, um Theater und Kunst zu machen“.
Und dort wird es von nun an darum gehen, in den kommenden elf Monaten das Publikum ans Haus und seine Kunst zu binden. Das dezentrale Spielen an verschiedenen neuen und für Theatergänger teils ungewohnten Orten wird zur Treueprobe für alle hinter und vor der Bühne. Die Voraussetzungen sind gut. Durch einige aus der Pandemie verschleppte Produktionen ist die Spielzeit prallvoll an Premieren, 44 sind es in der kommenden Spielzeit in allen vier Sparten.
Umgesetzt kann das etwa in der Oper nur werden, weil innovative Konzepte aus der Pandemie fortgeführt werden. Geradezu bestechend sei die im Lockdown entstandene Vielfalt durch das Konzept der White-Wall-Opern, so Puhlmann. „Dieses Konzept dient darüber hinaus als Grundlage, um einen kompletten „Ring“-Zyklus in nur einer Spielzeit zum Abschied von Alexander Soddy zu realisieren“ – allerdings, so betont Pressesprecherin Doreen Röder, nicht, wie zuletzt, in gekürzten 90-Minuten-Versionen. Nein, der „Ring“ werde in voller Länge, also gut 15 Stunden Spielzeit, umgesetzt.
Gerade das Großprojekt „Der Ring des Nibelungen“ kann wohl auch nur so in die Ersatzspielstätte beim Benz-Stadion übernommen werden. Puhlmann ist „gespannt und in Vorfreude auf die nun Gestalt annehmenden verschiedenen Interimsspielstätten“, wie er sagt, „gerade der sogenannte Opern-Cube auf dem Oktoberfestplatz wird immer konkreter und die Planungen für die erste Saison dort ab Winter ’22/23 sind im vollen Gange. Das macht natürlich auch Spaß!“
Belegung von unter 20 Prozent
Das sagt ein Intendant, der gerade aus den Theaterferien gekommen ist, der aber auch ganz genau weiß: „Wir sind uns sehr bewusst darüber, dass die kommenden Jahre eine Herausforderung sein werden, und wir hoffen sehr auf die Neugier der Mannheimerinnen und Mannheimer, die neuen Spielorte gemeinsam mit uns zu entdecken und sie zu ihren Theatern zu machen.“
Das Schauspiel von Intendant Christian Holtzhauer konzentriert sich dabei auf das ehemalige Kino auf dem Franklin-Gelände, wo auch der Tanz von Stephan Thoss Abende ohne Orchester gestalten wird. Das Junge Nationaltheater Ulrike Stöcks bleibt, wo es ist: in der Alten Feuerwache. Am kompliziertesten ist es für die Oper, die bis zu 40 Abende im Ludwigshafener Pfalzbau, 18 Vorstellungen im Schwetzinger Rokokotheater sowie den Regelbetrieb in der erwähnten und noch zu errichtenden Leichtbauhalle Opern-Cube an der Theodor-Heuss-Anlage anbieten wird. Dort, im Cube, aber auch im Pfalzbau werden auch die großen Tanzabende mit Orchester über die Bühne gehen.
Puhlmann ist guter Dinge. „Mein Eindruck ist schon heute, in den ersten Tagen der neuen Saison ein sehr positiver. Die Nachfrage ist da und der Vorverkauf hat deutlich angezogen, was mir sagt, dass es nach wie vor ein großes Bedürfnis nach Oper und Theater gibt, sagt er. So seien auch die beiden Seebühnen Konzerte am Freitag ausverkauft, was in Pandemiezeiten heißt: 176 der knapp 1000 vorhandenen Plätze werden nur belegt – zweimal.
Während im Bayreuther Festspielhaus im Sommer im geschlossenen Raum die Hälfte der Plätze belegt wurde – 911 plus nochmals rund 100 Orchestermusiker, 50 Chorsänger und Solisten –, geht das Nationaltheater (im Freien) auf supersicher – mit einer Belegung von unter 20 Prozent. Puhlmann hofft: „Wir werden auch entsprechend das Platzangebot durch die neue Coronaverordnung des Landes Baden-Württemberg modifizieren und erhöhen die Kapazitäten bei gleichzeitiger Beobachtung des Infektionsgeschehens.“
Nachfolge Alexander Soddys
Sieht man vom Rokokotheater in Schwetzingen ab, so ist die Anbindung der Interimsspielstätten vor allem mit dem öffentlichen Nahverkehr gut. Es sei tatsächlich „eine der brennendsten Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer“, so Puhlmann. Im NTM-Magazin ist dazu ausführlich mehr zu lesen.
Nun gilt es aber erst mal, die Saison beginnen zu lassen – und einen GMD zu finden: „Die Weichenstellung ist da schon länger erfolgt“, so der Intendant, „und wenn es uns im Frühjahr dieser Saison gelingt, die fünf Kandidaten dem Orchester, dem Chor und dem Haus mittels Proben und Aufführungen zu präsentieren, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass wir ab 2023 einen neuen GMD haben werden. Die Latte jedenfalls hänge mit Alexander Soddy, der 22/23 noch Chefdirigent der Akademiekonzerte bleiben und laut Puhlmann „vielleicht auch die eine oder andere Oper“ dirigieren wird, sehr hoch.
Die ersten Veranstaltungen
3.9., 17 und 20 Uhr: Opern Air im Luisenpark (ausverkauft)
4.9., 14 und 16 Uhr: Café Concert im Waldeck-Saal der REM
4.9., 19.30 Uhr: Der Barbier von Sevilla im Opernhaus
5.9., 10 Uhr: Madama Butterfly im Opernhaus
8.9., 19.30 Uhr: Eugen Onegin im Opernhaus
9.9., 18 Uhr: Tanz Workshop: Let’s move auf dem Theatervorplatz
8.-10.9. Wounds Are Forever (Selbstporträt als Nationaldichterin) im Stream auf www.nachtkritik.de
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Fürs Nationaltheater Mannheim geht’s um Treue