Rock am Ring - Nach zweijähriger Corona-Pause feiern über 85 000 gut gelaunte Festivalbesucher alle Facetten des Rock

Rock am Ring - Ein Festival-Gigant auf neuen Pfaden

Von 
Markus Mertens
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Eine Wucht! Das Set von Korn schlug am letzten Festivaltag beim zahlreich erschienenen Publikum am Nürburgring voll ein. © Markus Mertens

Nürburg. Mehr als 85 000 Menschen haben drei Tage lang die Musik, sich selbst und das Erlebnis eines Festivals gefeiert, das sie ebenso lieben, wie sie es zwei Jahre lang vermissen mussten. Dabei kann man nicht behaupten, die Ausrichtung von Rock am Ring 2022 sei für die Verantwortlichen frei von Risiken und Nebenwirkungen gewesen.

Denn einerseits spüren zahllose Veranstalter bis heute, wie groß die Kerbe der Zurückhaltung ist, die die Corona-Pandemie in die Live-Branche geschlagen hat. Und andererseits stand mit den neuen Veranstaltern von DreamHaus auch eine große Unbekannte ganz oben in der Verantwortung, wo über Jahrzehnte Marek Lieberberg und die Seinen für Kontinuität gesorgt hatten.

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Diese Fallhöhe schien die Verantwortlichen angetrieben zu haben - musikalisch, organisatorisch und atmosphärisch. Das erste Ausrufezeichen setzte das Festivalteam dramaturgisch clever bereits ganz am Anfang. Mit ohnehin erlebnishungrigen Fans vor der Bühne beim Auftritt der Punker der Donots zum großen Bandjubiläum Die Toten Hosen auf die Bretter zu holen, gehört ohne Zweifel zum Großbesteck der Überraschungskultur. Zumal sich Zeitgeist und Entdeckungsfreude ohnedies wie ein roter Faden durch die drei Tage zogen. Ob nun die italienischen ESC-Gewinner von Måneskin eine unvergleichliche Glamrock-Show aufs Parkett legten, Rapper Alligatoah die sonst eher auf härtere Klänge geeichte Hauptbühne für den Hip Hop einnimmt, oder die US-Prog-Spezialisten von Shinedown das Podium vor 40 000 Menschen erhalten: An diesem Wochenende geschieht vieles jenseits der Erwartungen - und das vielleicht gerade deshalb gelingt.

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Das hat einerseits mit dem schier unendlichen Vertrauen der Fans in die Marke Rock am Ring zu tun, die sie kaum je enttäuscht hat - andererseits aber auch mit der Tatsache, dass bisweilen schon früh am Tag der Gang auf die weniger frequentierten Bühnen ein lohnenswerter wird. Die australischen Wunderkinder der Gang Of Youths sind mit ihrer wilden Melange auf Grunge und Garage Rock dafür ebenso ein Indiz wie die brettharten Metal-Jungs von Boston Manor oder der Gothic Rock der Black Veil Brides.

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Insgesamt versteht sich Rock am Ring in diesem Jahr wieder als gelungener Mittler zwischen den Geschmäckern. Für die Anhänger zarterer Akkorde stehen die Spotfreunde Stiller auf Abruf bereit, die Rap-Fraktion darf einen starken Casper-Auftritt bejubeln, die geradlinigen Rock-Traditionalisten bejubeln die Gitarrenriffs von Baroness und richtig auf die Mütze gibt es schließlich bei Caliban und A Day To Remember. Aus klaren Begrifflichkeiten wie diesen fällt der Auftritt von Max Gruber mit seiner Herxheimer Band Drangsal naturgemäß heraus - und doch kommt die Mischung aus Pop Noir und Straight Rock auf der kleineren Orbit Stage sogar deutlich besser zur Geltung als noch auf dem ganz großen Ring-Parkett 2019.

Just auf den großen Bühnen darf man im Übrigen eine konsequente Stärkung der Pre-Headliner-Sets konstatieren. Ob zum Auftakt The Offspring und die Broilers in Richtung Green Day weisen, am Samstag Placebo für Muse eröffnen oder zum Endspurt Bullet For My Valentine und Korn für Volbeat vorlegen: Langeweile kommt hier für die geduldigen Fans in den ersten Reihen nun wirklich keine mehr auf.

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Was man zur Abwechslung vielleicht auch einmal stark machen darf: Dass es in diesen drei Tagen eigentlich nichts zu vermelden gibt, das die Fan-Gemüter ernsthaft erregt hätte. Zwar zieht sich dann und wann etwas Verspätung durch das Programm und auch die Wärme des Freitags schlägt Samstagnacht in kühle bis schwüle Nässe um: Der Ausgelassenheit tut das in der Breite allerdings überhaupt keinen Abbruch.

Ein Fakt, den man vor dem Hintergrund potenzieller Schwachstellen durchaus als bezeichnend erkennen darf. Denn - die bärenstarken 90 Minuten Volbeat einmal ausgenommen - die Headliner von Green Day und Muse spenden ihren Zuhörern zwar ansehnliche und auch überzeugende, keineswegs jedoch spektakuläre oder gar beispielgebende Sets.

Zahlen, Daten, Fakten

  • Bei dem offiziell ausverkauften Festival an Nürburgring waren laut Angaben des Veranstalters mehr als 85 000 registrierte Besucher zu Gast.
  • Rock am Ring wurde in diesem Jahr erstmalig von der Agentur DreamHaus veranstaltet, die das Traditionsformat von Marek Lieberberg und seinem Team um MLK und Live Nation übernahm.
  • Es musizierten 69 Formationen aus den Bereichen Rock, Metal und Hip Hop auf drei Bühnen für ihr Publikum.
  • Um das Festival nachhaltiger zu gestalten, setzten die Organisatoren auf ein ökologisches Konzept , das von der Geschirrrückgabe bis zu wasserlosen Urinalen die Schonung der Umwelt im Sinn hat.
  • Einsatzkräfte von Rettungsdienst und Polizei verzeichneten einen positiven Verlauf mit einer teils um 50 Prozent niedrigeren Einsatzdichte.
  • Die nächste Ausgabe von Rock am Ring wird von 2. bis 4. Juni 2023 stattfinden, Künstler sind noch keine bekannt.

Treue Weggefährten und Ring-Neulinge verzeihen diese kleinen Mängel dennoch quasi ausnahmslos - und das nicht allein, weil sie wissen, dass nur gewinnt, wer auch etwas wagt, sondern, weil die Veranstalter plausibel machen, dass sie einen Festival-Giganten auf neuen Pfaden in Zukunft noch vollkommener werden lassen wollen. (Siehe Fazit) Für heute steht fest, dass DreamHaus und gut 85 000 Ringrocker auf drei Tage blicken, die man retrospektiv als Ausrufezeichen in einer Kulturbranche voller Fragezeichen verstehen darf. Oder wie DreamHaus-Chef Matt Schwarz es sagen würde: „Der Neustart hätte besser nicht laufen können.“

Freier Autor

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