Ludwigshafen. Die Leuchtschrift über dem Eingang zum Musikclub flackert und zischelt. Man fürchtet sogleich, sie könnte ganz erlöschen und mit ihr die Tangobar „Glorias Argentinas“, die ohnehin zum Namen gebenden Ruhme Argentiniens so wenig noch beiträgt wie der Zustand des Landes als solcher, der von der schweren Wirtschafts- und Gesellschaftskrise des Jahres 2001 geprägt ist.
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In „Adios Buenos Aires“ von Regisseur German Kral, einem von Arte und dem WDR koproduzierten Spielfilm, den das Ludwigshafener Filmfestival im Wettbewerb zeigt, bilden die gesellschaftlichen Umstände den Rahmen für eine melancholisch gestimmte Beziehungsgeschichte: Julio, leidenschaftlicher Bandoneonspieler in einer Tangokapelle, zudem Besitzer eines Schuhladens und eines alten Peugeots, stößt mit Taxifahrerin Mariella buchstäblich zusammen. Das bleibt nicht ohne einige Folgen, doch nach einer angesichts ihres Temperaments erwartbar nicht unkomplizierten Beziehung steht dem eher ausgeglichenen Julio lange nicht der Sinn, denn er will nach Deutschland auswandern.
Nah an Darstellern und Musik
Argentinien gehe vor die Hunde, ist er überzeugt - und überwirft sich deshalb auch mit dem prinzipienfesten Mitmusiker Atilio, der das Motto predigt: „Schwierigkeiten sind Möglichkeiten.“ Entsprechend hatte die Kapelle gerade noch einen längst im Altenheim lebenden legendären Sänger überredet, mit ihnen zu musizieren, was auch leidlich gut gelungen ist.
Krals Melodrama ist nah an seinen sympathisch-liebenswerten Figuren, nah auch an der durch eingespielte Fernsehnachrichten dokumentierten gesellschaftspolitischen Wirklichkeit. Vor allem aber ist er nah an der Musik, an den Klängen des Tangos, der hier als Spiegel, aber auch Gegenpol des Geschehens fungiert. Menschen flunkern, schimpfen, streiten in diesem Film; viele kümmern sich vor allem um sich, einige sind bestechlich gar, aber (fast) alles sieht man ihnen gern nach in dem versöhnlich gestimmten, sehenswerten Werk. Es feiert die Musik - und in und mit ihr auch das Leben.
Dabei ist dieser Film recht konventionell erzählt, anders als „Seid einfach wie ihr seid“, das Spielfilmdebüt von Alicia Gruia, das ebenfalls im Ludwigshafener Wettbewerb läuft. Wirklichkeitsnähe wird hier durch den Anschein einer Dokumentation suggeriert, denn vorgeblich filmt Regiestudentin Sienna als Abschlussarbeit das erste Zusammentreffen ihres Vaters und ihrer Mutter seit 25 Jahren, als die Mutter Mann und Tochter zurückließ, um nach Portugal zu gehen.
Aber was ist überhaupt Wahrheit und Schein? Der Film ist inszeniert, Schauspieler spielen die Rollen; die titelgebende Devise könnte aber auch dann nicht befolgt werden, wenn der wacklig mit Handkamera gedrehte Film, der den teils prominenten Darstellern wohl Raum für Improvisation ließ, tatsächlich eine Dokumentation wäre und keine sogenannte Mockumentary.
Eine Frage der Perspektive
Den bodenständigen Vater Jürgen macht die Situation verlegen. Dass die exaltierte Gloria, die leibliche Mutter, bei dem Dreh dabei sein würde, hatte er so wenig gewusst wie seine Frau Uta. Alle tragen das Ihre zum entstehenden emotionalen Durcheinander bei, nicht zuletzt auch Siennas Partner, der zwar die Kamera hält, aber gleichfalls nicht die Fäden zusammenführt. Ein tragikomisches Geschehen nimmt seinen Lauf - und es bestätigt sich, dass es zumal bei Film und Kunst keine Neutralität geben kann und alles eine Frage der Perspektive bleibt.
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