Ludwigshafen. Festivalleiter Michael Kötz versprüht Zuversicht – und hält die allseitige Rede von den diversen Krisen für übertrieben. Das am Mittwoch beginnende Festival soll jedenfalls nicht davon beeinträchtigt sein, sagt er im Gespräch. Und von anderen Kulturinstitutionen will sich die Ludwigshafener Veranstaltung noch in weiterer Hinsicht unterscheiden.
Herr Kötz, Krisen sind zu unseren ständigen Begleitern geworden. Andere Festivals, selbst die große Berlinale, reagieren mit einem reduzierten Programm. Wie ist es bei Ihnen?
Michael Kötz: Haben wir wirklich mehr Krisen als früher? Oder sind wir nur empfindlicher geworden? Oder ein Opfer der Medien, wo gute Nachrichten nix bringen? Die Berlinale reduziert ein viel zu dickes Programm mit Recht. Ansonsten schlägt eben die Anhebung des Mindestlohns zu Buche und andere Kostensteigerungen. Man passt sich da an. Was uns betrifft, so gingen seit Jahren nicht so viele Tickets wie dieses Jahr im Vorverkauf weg und so viele Stars und wichtige Gäste aus der Filmwelt wie dieses Jahr hatten wir, glaube ich, noch nie. Ich sehe keine Krise.
Der Intendant und das Filmfestival
- Michael Kötz (72) ist promovierter Filmwissenschaftler und leitete lange das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg. Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen hat er initiiert.
- Das 19. Festival findet von diesem Mittwoch bis Sonntag, 10. September, auf der Ludwigshafener Parkinsel statt. Die Preisverleihung ist für Samstag, 9. September, geplant. Bereits zur Eröffnung werden zahlreiche prominente Gäste erwartet, darunter auch die Hauptdarsteller des Eröffnungsfilms „Gäste zum Essen“.
- Auf der Parkinsel dürfen nur Anwohner parken. Ein kostenloser Shuttle-Bus fährt zur Insel. Wer mit dem Auto kommt, kann das Parkhaus in der Walzmühle oder das der BASF in der Nähe anfahren.
- Über das Festival und sein Programm informiert ausführlich die Festivalillustrierte, die an vielen Orten in der Region ausliegt.
- Informationen auch im Internet unter www.festival-des-deutschen-films.de
Dabei haben aber auch Sie einen angespannten Finanzrahmen; die BASF hat ihr Sponsoring reduziert, die Stadt Ludwigshafen den Zuschuss gekürzt. Und das vergangene Festivaljahr wurde mit einem Defizit abgeschlossen…
Kötz: Ja, ohne die Bundesregierung und ihren großartigen Rettungsfond für Kulturevents, speziell solche mit normalerweise hohen Eigeneinnahmen, ohne diesen Sonderzuschuss hätten wir die Corona-Zeit nicht überlebt. Die haben das Defizit für wegbleibende Besucher übernommen. Denn unser größter Financier ist unser Publikum. Tickets und Bewirtung machen 75 Prozent unserer Einnahmen aus, Zuschüsse nur zehn Prozent. Das ist sehr ungewöhnlich. Die Stadt ist mit vier, vorher fünf Prozent dabei, das Land jetzt erfreulicherweise mit sechs Prozent. Weitere 15 Prozent kommen von Sponsoren, die keine Mäzene sind, sondern denen wir ja einen Werbeeffekt zurückgeben. Weil wir eben diese rund 100 000 Besucher haben. Wenn zwei Jahre hintereinander deutlich weniger kommen, sind wir gar nicht existenzfähig. Wir sind also eher Unternehmer, wenn auch gemeinnützig, und nur zu zehn Prozent Zuschussempfänger.
Spiegeln sich die Krisen der Zeit – Russlands Krieg gegen die Ukraine, Klima, allgemeine Teuerung und soziale Spaltung – thematisch im aktuellen Festivalprogramm wider?
Kötz: Die immer größer werdende soziale Spaltung in der Gesellschaft, die spiegelt sich natürlich. Ansonsten geht es um Liebe, um die Suche nach Glück, um Familiengeschichten. Alles wie immer. Die von Ihnen genannten Krisen spiegeln sich eher in den Nachrichten. Damit wird dort ja auch Geld verdient. Filme halten sich lieber ans Private. Krisen müssen zur realen Lebenswirklichkeit werden, auch seelisch, dann erst tauchen sie dort auf.
Nach welchen Kriterien wurde das Filmprogramm zusammengestellt?
Kötz: Kriterien sind in der Kunst auf eine seltsame Weise unbestimmt, aber konkret. Es sind ja Wolkengebilde, über die man urteilt, wofür man eine Art sachkundiges Mitgefühl braucht. In früheren Zeiten wurde das besser verstanden als in unserm Technikzeitalter. Letztlich wollen wir den Menschen eine Freude machen. Das ist das Wichtigste. Ab und zu aber auch mit etwas, wonach sie gar nicht gefragt haben, es dann aber doch vielleicht als Bereicherung ihres Lebens empfinden.
Besonders die hoch subventionierten Kultureinrichtungen wie Theater richten ihr Programm anscheinend zunehmend nach den gesellschaftspolitischen Zeichen der Zeit aus. Wie stehen Sie dazu?
Kötz: Ja, das tun sie. Ich finde das dramatisch falsch. Es ist anpasserisch und kunstfeindlich. Wenn der Kunst vorgegeben wird, wo sie kritisch sein darf und wo auf keinen Fall, also beispielsweise auf keinen Fall gegen diese künstliche neue Achtsamkeit vorgehen darf, dann geht sie daran zugrunde. Kritische Kunst müsste heute ein Zeichen gegen das Wokeness-Biedermeier setzen und sich richtig unbeliebt machen. Das wär wieder Theater, das sich lohnt. Beim Film kommt das jetzt vom angeblich viel zu braven Fernsehen, so bei unserem „Polizeiruf 110 – Little Boxes“. Mein Geheimtipp!
Hat Sie eigentlich Kritik erreicht, nachdem das Festival bekannt gab, dass dieses Jahr mit Axel Milberg und Justus von Dohnányi zwei Männer über sechzig mit Schauspielpreisen geehrt werden?
Kötz: Da soll beim eben erwähnten Zeitgeist der großen Achtsamkeit gegenüber allen Ausgrenzungen das Geschlecht angeblich keine Rollen spielen. Aber das gilt nur dann, wenn es nicht ein bestimmtes ist. Super, oder? Ich könnte jetzt darauf hinweisen, dass es letztes Jahr ja zwei Frauen waren, was übrigens niemandem auffiel. Mache ich aber nicht.
Wie bewerten Sie aktuell die Lage der Filmbranche in Deutschland? In den USA sind Drehbuchschreiber und Schauspieler in Streik getreten, um für bessere Arbeitsbedingungen und Zukunftsperspektiven zu streiten…
Kötz: Autoren und Schauspieler sind im Mainstream-Kino der USA sehr oft nur Material für gutes Business. Die streiken zu Recht. Ob ihnen das wirklich nützt, wird sich zeigen. Hierzulande ist das zumeist anders. Wobei Filmemachen kein Bürojob ist. Es muss immer improvisiert werden, und sei es nur wegen des Wetters. Wer da auf seinem 8-Stunden-Tag beharrt, obwohl es heute um die Wurst geht, der ist nicht tragbar. Ausgebeutet werden darf er trotzdem nicht. Aber das regelt sich in der Filmbranche gerade von selbst, weil der Fachkräftemangel auch hier dazu zwingt, so human wie möglich zu sein.
Wir erwarten so viele Schauspielstars und Mitwirkende, dass es kaum einen Tag geben wird, an dem der rote Teppich nicht bevölkert ist.
Welche Höhepunkte versprechen Sie dem Publikum in diesem 19. Festivaljahr?
Kötz: Jeden Tag einen neuen Höhepunkt. Wir erwarten so viele Schauspielstars und Mitwirkende, dass es kaum einen Tag geben wird, an dem der rote Teppich nicht bevölkert ist. Die Filme kann man sich nach Themen aussuchen oder nach dem Stil – von „unterhaltsam leicht“ bis „eigenwillig“. Vor allem soll man sich zu den Filmen mit anderen verabreden, Bekannte treffen und solche, die es noch werden wollen. Denn dafür sind wir da.
Und worauf freut sich der Intendant selbst am meisten?
Kötz: Ich freue mich auf unsere Gäste aus der Filmwelt, wo mittlerweile zahlreiche Freundschaften bestehen. Aber das allein wäre es auch nicht. Mindestens genauso freue ich mich auf die strahlenden Gesichter der vielen Menschen. Für uns alle, die wir ja rund zehn Monate für das Festival gearbeitet haben, ist dieses Strahlen eine echte Belohnung. Denn die strahlen ja nur dann, wenn wir für sie das Richtige gemacht haben, Überraschungen inklusive. Und darum geht es uns.
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