Beim Wohnen gibt es eine Tendenz hin zu „wertig, warm, weniger“, sagt die Heidelberger Architektin Carina Krey im Interview. Besonders engagiert sich die 52-Jährige für die Philosophie neuer Wohnmodelle, in denen Menschen Flächen und Räume teilen - und natürlich auch ein Stück ihres Lebens.
Frau Krey, in Zeiten, in denen das Private über soziale Medien sehr stark auch ins Öffentliche strebt, liegt es nahe, dass das auf die Ästhetik des Wohnens Einfluss nimmt. Beobachten Sie so etwas?
Carina Krey: Die Tatsache, dass das Wohnumfeld dadurch sichtbarer geworden ist, motiviert die Menschen sicher zu noch bewussterem Gestalten. Als Architektin habe ich ohnehin oft mit Menschen zu tun, die großen Wert auf Ästhetik in ihren vier Wänden legen. Die Wünsche, die da geäußert werden, sind oft inspiriert von Fachzeitschriften, Wohndokumentationen und auch sozialen Medien. Ich glaube, dass der gestalterische Anspruch dadurch gestiegen ist, stelle aber auch fest, dass die stilistische Vielfalt etwas verloren gegangen ist. Da macht es dann immer Freude, sich den Möglichkeitsraum wieder zu öffnen und den Kunden ein passgenaues individuelles Wohnumfeld zu gestalten.
Was sind die aktuellen Trends?
Krey: Stilistisch dominieren natürliche Materialien wie zum Beispiel Massivholz in klaren abgerundeten Formen, und es zeigt sich wieder Mut zu kräftigen Farben. Außerdem werden Großpflanzen wieder mehr in die Innenraumgestaltung einbezogen. „Wertig, warm, weniger“ würde ich sagen. Hinzu kommt der Trend zur Flächenreduzierung und multifunktionaler Nutzung von Möbeln und Raumbereichen.
Wertig, warm, weniger - ist das extrem davon dann das Tiny House?
Krey: Das könnte man so sagen. Es gibt bei vielen eine Sehnsucht danach, Ballast abzuwerfen, sich zu reduzieren auf das Wesentliche und mit dauerhaften, ehrlichen Materialien zu bauen. Sich dann aber tatsächlich vom großen Eigenheim zu lösen, schaffen aber nur wenige. So entstehen Tiny Houses oft auf Gartengrundstücken oder genutzt als Ferienwohnungen. Manchen ist dann zusätzlich die räumliche Flexibilität so wichtig, dass es auch Tiny Houses auf Rädern gibt. Da landet man konzeptionell dann nah beim Wohnwagen und stellt fest, dass Campen die genannten Bedürfnisse vielleicht auch zu erfüllen vermag. Wohnen hat ja viele Gesichter.
Spielt der Gedanke des Energie-sparens im Zuge des Klimawan-dels eine Rolle bei der Reduktion von Flächen und Räumen?
Krey: Ich glaube, die Wohngewohnheiten ändern sich vor allem aus persönlichen Gründen, nur bei wenigen sind Gedanken an den Klimawandel ausschlaggebend. Doch sicher ist es ein wichtiger Effekt, dass durch geringeren Flächenverbrauch und Materialeinsatz Energie eingespart wird und das positive Auswirkungen auf die Ökobilanz hat. Aber die Wohnfläche pro Kopf steigt in Deutschland kontinuierlich. Bewohnte in den 1960er Jahren eine Person im Schnitt rund 20 Quadratmeter, waren es 1990 etwa 35 und 2020 schon über 47 Quadratmeter. Hauptursache ist weniger Luxus als vielmehr der Trend zu kleineren Haushalten. Immer mehr Menschen leben allein.
Das müsste auch bedeuten, dass sich individuelle Ästhetik kompromissloser herausschält, oder?
Krey: Ja, alleine zu gestalten, bedarf keiner Kompromisse, aber der Aspekt hat seine Schattenseiten. Für viele Singles ist das Alleinleben nicht die liebste Wohnform. Es gibt immer mehr einzelne Senioren in großen Häusern oder junge Berufstätige, für die der Wohnungsmarkt vor allem Einzelapartments bietet. Der Städtebau ist sehr kleinteilig geworden. Die Folge ist oft gefühlte Einsamkeit. Für Soziologen ist das ein großes Thema. Aber es gibt auch Strömungen nach dem Motto „Teilen ist das neue Haben“. Daraus entwickeln sich alternative Wohnkonzepte.
Etwa Mehrgenerationen- häuser?
Krey: Da ziehen meist Menschen ein, die aufgeschlossen sind und sozialen Kontakt im Haus suchen. In diesen Konzepten bereichern sich viele Altersgruppen gegenseitig, es können sich aber aufgrund unterschiedlicher Wohnbedürfnisse der Generationen auch Spannungen aufbauen. Andere Projektideen zielen darauf ab, Bewohner in bestimmten Lebensphasen zu vereinen, etwa Wohnkonzepte für Senioren oder für die die Altersgruppe 55 plus.
Man sucht Gemeinschaft?
Krey: Wird das bei der Planung in den Mittelpunkt gestellt, entstehen neben privatem Wohnraum vielfältige gemeinschaftlich nutzbare Flächen, was das Sozialleben des Einzelnen ungemein bereichern kann, ja. Es braucht etwas Mut und viel Offenheit, sich auf diese Konzepte einzulassen, aber mit einer solchen Architektur kann sowohl der vorher genannten Vereinsamung als auch dem steigenden Flächenverbrauch entgegengewirkt werden. Das könnte das Wohnmodell der Zukunft sein.
Das klingt wie ein glühendes Plädoyer. Wohnen Sie denn selbst so?
Krey: Ich befinde mich noch in der Familienphase. Die Kinder wohnen noch zuhause, es ist viel los bei uns, und somit ist die Familie die Gemeinschaft. Für die Zukunft habe ich aber schon darüber nachgedacht, ob und wie sich unser Haus umbauen ließe, um ein kleines gemeinschaftliches Wohnprojekt darin zu leben. Und tatsächlich sind wir so begeistert von der Idee des gemeinschaftlichen Wohnens im Alter, dass wir hierzu im Büro ein Konzept entwickelt haben, das wir derzeit in Mannheim realisieren.
Ich frage, weil Architekten doch durchaus auch den Ruf haben, moderne funktionalistische Dinge zu propagieren und zu bauen, selbst dann aber in einer schnuckeligen Altbauwohnung residieren. Aber in den 1970ern gab es übrigens schon solche Projekte des gemeinsamen Hausbaus - das hat auch mit Familien funktioniert.
Krey: Na ja, auch Architekten sind Menschen mit begrenzenden Lebensumständen und Geldbeuteln. Nicht jeder hat die Möglichkeit, so zu leben, wie er es sich erträumt und fachlich empfiehlt. In den 70er Jahren gab es eine Welle revolutionärer Wohnprojekte, die teils gut funktioniert haben. Rückblickend wurde damals oft der Fehler gemacht, den Anteil an privater Wohnfläche zu klein zu halten. So fehlten in vielen Kommunen entscheidende Rückzugsräume. Am besten funktionieren Konzepte, in denen viele Menschen gemeinschaftlich leben und dabei einen klar definierten Bereich für sich privat haben. Soziologen sprechen vom „Haus der 100“ und meinen, dass bei dieser Anzahl an Bewohnern jeder im Haus andere Menschen findet, die zu ihm passen und bei denen er sich wohlfühlt.
Wo Sie schon von Geld sprechen: Das gemeinsame Bauen ist doch günstiger als das Solo-Eigenheim!
Krey: Ja, wenn Strukturen und Räume gemeinsam genutzt werden, muss man die ja auch nicht allein finanzieren. Man kann ganze Funktionsbereiche wie Fitnessraum, Hobbyzimmer, Dachterrasse teilen, und schon nehmen die privaten Wohnungen weniger Raum ein. Aber nicht nur das. Auch bei der Ausstattung einer Werkstatt profitiert man monetär vom Teilen: Werkzeuge können von mehreren genutzt werden, und nicht jeder muss seine eigene Leiter in seiner Wohnung verstauen. Am besten wäre es, wenn in einer funktionierenden Gemeinschaft auch noch die individuellen Fähigkeiten geteilt würden und man sich damit gegenseitig wohlwollend unterstützt. Das könnte beide Seiten zufriedener machen und beschreibt eigentlich das Lebensgefühl im traditionellen Dorf.
Ein mittelalterliches Dorf mit Werkstätten im Kleinformat?
Krey: Interessant, dass man die „guten Zeiten“ gedanklich oft nach früher verlagert. Ich glaube, diese Dorfgemeinschaften gibt es auch heute noch. Leider wird der ländliche Raum förderpolitisch oft benachteiligt, und es ist nicht einfach, die spezifischen Potenziale dort zu erhalten, obwohl sie in vielerlei Hinsicht Vorbild sein können.
Blicken wir noch in die Zukunft: Wie leben wir in 50 Jahren, energetisch, konzeptuell und ästhetisch?
Krey: Im Einklang mit der Natur. Hoffentlich.
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