Kulturpolitik - Umfrage unter Mannheimer Veranstaltungshäusern, Kinos und Agenturen zur Verschärfung der Corona-Regeln

Entsetzen und Wut über 2Gplus und Besucherminus: „Zeugnis des Staatsversagens“

Von 
Jörg-Peter Klotz
Lesedauer: 
Öffentliche Veranstaltungen sollen demnächst untersagt oder reduziert werden - auch für Geimpfte. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Buchstäblich über Nacht sind in Baden-Württemberg die Corona-Schutzmaßnahmen verschärft worden – mit teilweise tiefgreifenden Auswirkungen für Kulturveranstaltungen wie der Halbierung der Besucherkapazität, obwohl Geimpfte und Genesene mit Mund-Nasen-Schutz ab sofort nur frisch getestet Einlass bekommen. Für diese 2Gplus-Regelung bringt die zermürbte Branche teilweise noch Verständnis auf. Ansonsten hört man bei einer Umfrage dieser Redaktion unter Mannheimer Veranstaltern, Kinos und Kulturhäusern viel Wut, Verzweiflung und Fatalismus.

Denn zwangsläufig hat jetzt wieder ein Reigen von Terminverlegungen eingesetzt. Am härtesten betroffen: das Quartett Schöne Mannheims und das Schatzkistl, die von jetzt auf gleich eine der wenigen ausverkauften Shows der Spielzeit am Mittwochabend wegen Überbuchung verlegen mussten. „In einer Nacht- und Nebel-Aktion auf 15. Dezember 2022“, wie Schatzkistl-Impresario Peter Baltruschat berichtet. Auch der Auftritt von Comedy-Star Kaya Yanar am Freitag im Rosengarten findet nicht statt (neuer Termin: 28. Juli 2022), genau so wenig wie die Show des Duos Eure Mütter am Sonntag im Capitol.

Kritik an Kurzfristigkeit

Dessen Geschäftsführer, SPD-Kulturpolitiker Thorsten Riehle, zeigte sich „entsetzt darüber, dass die Landesregierung in fast zwei Jahren Pandemie immer noch nicht in der Lage ist, zumindest mit einem Vorlauf von 24 Stunden neue Verordnungen zu verkünden. Von uns wird erwartet, dass wir alle Planungen sofort umsetzen.“ Das sei aufgrund der Herausforderung und der psychischen und physischen Belastung der Mitarbeitenden kaum noch vertretbar. Klapsmühl’-Chef Wolfgang Schmitter findet die Änderungen auch mit Blick auf die Information des Publikums viel zu kurzfristig: „Die ganze Verwaltung gleicht einem Hühnerhaufen, der durch einen Fuchs aufgescheucht wurde.“

Baltruschat spricht von einer „Zumutung und einem weiteren Zeugnis des andauernden Staatsversagens bei der Bewältigung der Pandemie.“ Dabei halte er die Maßnahmen an sich für sinnvoll und hilfreich, insbesondere die Tatsache, dass die Überprüfung der Corona-Daten plus Abgleich mit einem Ausweisdokument verpflichtend durchgeführt werden müssten.

Die Verhältnismäßigkeit von 2Gplus und Besucherminus werden je nach Ausgangslage sehr verschieden gesehen: Subventionierte Häuser wie das Nationaltheater oder die Kunsthalle, die ihren Publikumsstrom gut steuern können, äußern auf Anfrage hohe Akzeptanz der Maßnahmen. Das städtische Kulturzentrum Alte Feuerwache klingt kritischer: „Zusätzliche Kapazitätsbegrenzung in kleineren Veranstaltungshäusern ist eher nicht sinnvoll, da die Möglichkeit einer sicheren Nachverfolgung dort immer gegeben ist und durch 2Gplus schon erhöhte Sicherheit besteht“, teilt Sprecherin Dorothee Puhr mit. Der zusätzliche Personalaufwand für Kontrollen sei schon enorm gewesen, bevor zusätzlich Tests und Ausweise kontrolliert werden mussten.

Bis zum Vierfachen, wie Riehle für das Capitol anmerkt. Er zweifelt daran, dass die Reduzierung aller Kapazitäten in den Veranstaltungsstätten zu einer Minderung des Infektionsrisikos führt: „Wenn nur noch Geimpfte und Genesene Zugang haben, die noch dazu einen tagesaktuellen Test vorweisen müssen, ist das Risiko einer Ansteckung kaum noch vorhanden. Hinzu kommen ja noch die weiteren Maßnahmen wie Maskenpflicht, Lüftungskonzepte, Luftfilteranlagen und vieles mehr. Für mich ist das ein Ausdruck von Hilflosigkeit.“

Mehr zum Thema

Kommentar Ständig neuen Corona-Regeln: Wer bitte blickt da noch durch?

Veröffentlicht
Kommentar von
Steffen Mack
Mehr erfahren
Verschärfte Vorschriften

2G im Handel, 2Gplus auf Weihnachtsmärkten - die neuen Corona-Regeln in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Lisa Uhlmann und Steffen Mack
Mehr erfahren
Pandemie

Ausgangsbeschränkungen für Nichtgeimpfte und Nichtgenesene in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Michael Krumpe
Mehr erfahren

„Mehr und mehr verarscht“

Für die international wie lokal erfolgreiche Agentur BB Promotion sagt Anna Höly: „Uns schmerzt bei der aktuellen Lage, dass wir als Veranstalter zusammen mit unseren Partnern und Konzepten gerade erst den Re-Start gefeiert haben, ein sicheres Live-Entertainment für das Publikum bieten und schon wieder zu den Ersten gehören, die reglementiert werden, obwohl ganz klar an anderer Stelle versagt und teilweise zu lange abgewartet wurde.“

Maifeld-Derby-Macher Timo Kumpf kommt sich „von der Politik mehr und mehr verarscht vor“. Er sei für eine Impfpflicht, damit dieser „Wahnsinn“ endlich ein Ende habe. „Durch die Kapazitätsminderung erwarte ich mir weitere Absagen und Verschiebungen. Zum Beispiel haben wir Johannes Oerding im Januar. Ich kann hier nicht die Hälfte des Publikums wieder heimschicken“, so der Delta-Konzerte-Chef. Kontrollen habe man gut hinbekommen, vor allem „sehr verantwortungsvoll. Verantwortungsvoller als jeder andere Lebensbereich. Aber ohne Unterstützung der Kosten und des potenziellen Gewinns wird das künftig nicht mehr gehen und das Sterben der Branche weiter voranschreiten.“ Hier wünscht sich auch Peter Baltruschat „eine sehr kurzfristige, zielführende Antwort der Politik – und zwar, bevor wir absaufen.“

Dieter Semmelmann, der mit Semmel Concerts im Winter einige Shows in der SAP Arena vor der Brust hat, schaut nach vorn: „Ein geplanter Konzertbesuch bewegt womöglich den einen oder anderen zur Impfung. Dennoch: Veranstaltungen, die während der Pandemie in den Verkauf gingen, werden nur sehr schleppend angenommen.“ Deshalb seien staatliche Überbrückungshilfen für die Veranstaltungsbranche auch 2022 notwendig. „Eine feste Zusage, dass zumindest Geimpfte und Genesene auf jeden Fall Konzerte besuchen werden und guten Gewissens Karten kaufen können, wäre zudem enorm wichtig.“

Für Filmtheater „desaströs“

Für die Filmtheater stellt sich die Lage noch einmal anders dar. Die Halbierung der Kapazität fällt dort kaum ins Gewicht, weil die Häuser von sich aus Abstand zwischen den besetzten Plätzen einbuchen, um das Sicherheitsgefühl zu fördern. Während Frank Noreiks (Cineplex/Cinemaxx) 2Gplus zwar nicht verhältnismäßig, aber nachvollziehbar findet, nennt Erdmann Lange diese Verschärfung „desaströs für die Branche“. Beide verweisen auf die statische Sitzposition, auf Statistiken, die kaum Infektionen in Kinos zeigten, und sie verstehen nicht, dass zum Beispiel in der Gastronomie die Regel nicht gilt.

Vor allem fürchten sie den Mangel an Testkapazitäten. Lange: „Nun wurden gerade erst Testzentren abgebaut, an die die Menschen sich gewöhnt hatten. Ohnehin wird aber nur eine Minderheit die Mühen eines Tests extra wegen eines Kinobesuchs auf sich nehmen.“ Wie sein Kollege fühlt er sich frustriert, weil „Betriebe wie unserer, die alle Maßnahmen seit März 2020 mitgetragen und umgesetzt haben, nun auch für die ,mitbestraft“ werden’, die seit Monaten die Regeln nur lax oder gar nicht einhalten – ohne je kontrolliert zu werden.“ Noreiks betont, die Kinos hätten „alles gemacht, was man machen kann – und darüber hinaus. So macht man eine Branche kaputt.“

Ressortleitung Stv. Kulturchef

Thema : Coronavirus - aktuelle Entwicklungen im Überblick

  • Mannheim Urlaub und die Pflicht zur Online-Registrierung: Was Reiserückkehrer beachten müssen

    Wer Urlaub in einem Risikogebiet (Inzidenz über 50) macht, muss bei der Rückkehr nach Deutschland einiges beachten. Selbst Geimpften und Genesenen drohen Bußgelder, wenn sie sich nicht anmelden.

    Mehr erfahren
  • Karte und Grafiken Coronavirus: Fallzahlen aus Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und Rhein-Neckar

    Wie viele Coronavirus-Fälle wurden in der Region registriert? Wir geben einen Überblick über die bestätigten Fälle in der Metropolregion Rhein-Neckar und im Main-Tauber-Kreis.

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen