Biblis. Der Abfallzweckverband des Kreises Bergstraße darf Bauschutts, der beim Abbruch des Kernkraftwerks Biblis entsteht, auf der Deponie in Büttelborn ablagern. Das hat das höchste hessische Verwaltungsgericht jetzt entschieden. Die Betonbrocken und Fliesen, um die es geht, befanden sich im sogenannten Kontrollbereich der beiden Kraftwerksblöcke, also dort, wo mit hochradioaktivem Material hantiert wurde. Der Bauschutt ist jetzt aber nur noch minimal belastet: Das Zeug gibt eine Strahlung von maximal zehn Mikrosievert ab. Urlauber bekommen bei jeder Flugreise ein Vielfaches ab. Dieser Bauschutt aus Biblis und anderen Kernkraftwerken ist also de facto unproblematisch.
Trotzdem wehren sich Betreiber der Deponie und Bürger mit Händen, Füßen und allen juristischen Mitteln gegen die Ablagerung dieses Materials vor ihrer Haustür. Und das beileibe nicht nur im südhessischen Büttelborn. Auch um den freigemessenen Abfall aus Philippsburg und fast allen anderen Kernkraftwerken gibt es gesellschaftlichen, politischen und juristischen Streit.
Die Bergsträßer Abfallentsorger hatten auf der Suche nach einem Lagerplatz 260 Deponien in Deutschland angefragt – keiner wollte den Müll haben. Alle schrecken zurück. Weil er eben aus einem Kernkraftwerk stammt. Und genau da zeigt sich die Janusköpfigkeit, mit der einer Renaissance der Kernkraft in Deutschland das Wort geredet wird. Alle wollen den vermeintlich billigen Atomstrom, der bekanntlich keineswegs billig ist. Aber niemand will den – unproblematischen – Abfall davon vor seiner Haustür haben.
Die Suche nach Deponieplätzen für diese Art Abfall dürfte ein Kindergeburtstag sein gegen die Suche nach einem Endlager für das richtig gefährliche Zeug aus den Reaktorkernen. Noch sind 50 Prozent der Flächen in Deutschland nicht bewertet, ob sie sich als Endlagerstandort für hochradioaktiven Müll eignen. Wenn sich die Suche konkretisiert, beginnt erst das Hauen und Stechen. Aber das wird noch sehr lange dauern. Dann sind die heutigen politischen Befürworter der Kernenergie längst nicht mehr im Amt – und nicht mehr in der Verantwortung.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Der Januskopf der Kernkraft
Die umkämpfte aktuelle Suche nach Deponieplätzen für harmlosen Bauschutt aus Kernkraftwerken zeigt: Die Debatte um eine Renaissance der Kernenergie ist absurd, findet Bernhard Zinke.