Mannheim. Die Aufklärungsarbeit „hilft nichts, wenn im normalen Film - sei es im Kinofilm oder im ,Tatort’ - das Stottern nach wie vor viel zu viel als Kurzbeschreibung für das vernachlässigte Kind aus dem Heim, das etwas Schlimmes angestellt hat, hergenommen wird.“ Mit diesen Worten antwortete der stotternde Autor Jochen Praefcke vor einem Jahr auf die Frage, wie das öffentliche Bild von Stotternden gezeichnet wird. „Es wäre vielleicht mal an der Zeit, dass der Kommissar stottert, während er seinem normalen Beruf nachgeht“, sagte er im „Ppppodcast“.
Alltagserfahrungen zeigen
Ein stotternder TV-Kommissar? Ist das denkbar? Ulrich Herrmann leitet die Redaktion „Tatort“ beim Südwestrundfunk (SWR) und ist in der neuen Ppppodcast-Folge Gesprächspartner von „MM“-Redakteur Sebastian Koch, der selbst stottert. Herrmann verspricht: Der SWR konzipiert in den kommenden Jahren eine „Tatort“-Folge mit einem stotternd sprechenden Charakter.

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An Beispielen für Figuren, die stottern, in Medien mangelte und mangelt es schon jetzt nicht. Da ist allen voran Schauspieler Colin Firth zu nennen, der als König George VI. in „The King’s Speech“ die wohl gelungenste künstlerische Darstellung eines Stotternden in jüngster Vergangenheit zeigte. Weniger gelungen ist die unter anderem in der Sitcom „Hausmeister Krause“, in der die Figur Herbert Fink stottert: ein einfältiger, schüchterner, jungfräulicher „ewiger Junggeselle“. Praefcke kritisiert in seinem Buch über sein Stottern auch Bestseller-Autorin Cornelia Funke für ihre Zeichnung des stotternden Darius in „Tintenherz“. Und auch bei Harry Potter wird „gestottert“: Professor Quirrell spielt in „Harry Potter und der Stein der Weisen“ das Stottern vor, um als unsicher und ängstlich wirkender Charakter nicht unter Verdacht zu geraten, den Stein stehlen zu wollen.
In Filmen werde in den meisten Fällen noch immer kein natürlicher Umgang mit dem Stottern dargestellt, kritisiert Herrmann im Ppppodcast. „Das ist tatsächlich sehr ärgerlich.“ Es sei etwa interessant, dass in keinen anderen „Tatort“-Formaten Figuren stottern. Dabei sei es „spannend“, einen Ermittler stotternd zu zeichen, weil es unserer Alltagserfahrung entspräche, dass „Menschen mit Stottern durch den Alltag gehen“, sagt Hermann, der aber betont: Die Frage nach einem stotternden Kommissar umfasse mehr Charaktere als die - in der Regel - zwei Hauptermittler. Auch Assistenten der Kommissare oder Spurensicherer können wesentliche Teile der Haupthandlung sein, etwa die Figur des Kriminaltechnikers Peter Becker im Ludwigshafener „Tatort“. Es sei spannend, das Stottern „nicht als Teil des Dramas“ darzustellen, sondern die Botschaft zu senden: „Da ist jemand, der stottert, und der macht seinen Job genau wie die anderen.“
Der „Tatort“-Redaktionsleiter tendiert dazu, einen Schauspieler zu besetzen, „den man vielleicht auch schon kennt“. Er halte es aus Produktionsgründen aber „für schwierig“, wenn es aufgrund des Stotterns von Schauspielerinnen und Schauspielern zu Verzögerungen komme. „Ich glaube, dass man das Stottern perfekt spielen kann“, sagt Herrmann und verweist auf den bereits angesprochenen Firth, der für seine stotternde Leistung 2011 mit dem Oscar als „bester Hauptdarsteller“ ausgezeichnet wurde.
Das Gespräch mit Herrmann ist ab sofort auf Spotify, Apple Podcast und Deezer sowie der Webseite dieser Redaktion kostenlos abrufbar.
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