Mannheim. Herr Lamadé, sind die Löwen noch ein Topclub?
Lars Lamadé: Der Gesamtverein mit all seinen Strukturen, seiner Reichweite, seinen Zuschauerzahlen und seinen Umsätzen ist das immer noch. Sportlich sind wir es im Moment aber nicht, so ehrlich muss man sein. Und das ist ein Problem: Denn der Sport ist der Kernbereich eines Handball-Bundesligisten. Da können wir auf Feldern wie Social Media oder Merchandise noch so hervorragende und stilprägende Arbeit machen. Diese Effekte verpuffen leider, wenn wir am Ende keine Spiele gewinnen. Das beste Marketing ist nach wie vor erfolgreicher Sport.
Wie erklären Sie sich die schlechte Entwicklung?
Lamadé: Blicken wir zwei Jahre zurück. Damals ist Sebastian Hinze als neuer Trainer gekommen und wir haben mit Olle Forsell Schefvert und Halil Jaganjac nur zwei neue Spieler geholt. Gefühlt war das aber danach eine komplett andere Mannschaft. Wir haben also gesehen, dass man auch dann viel bewirken kann, wenn man nur wenig verändert. Es ist wichtig, an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Vor der vergangenen Saison haben wir einige neue Spieler geholt. Richtig in die Startformation hat sich bisher leider keiner gespielt. Dies müssen wir natürlich kritisch hinterfragen und es in der Zukunft besser machen.
Was stimmt Sie zuversichtlich für die neue Saison?
Lamadé: Unsere Neuzugänge Tim Nothdurft, Sebastian Heymann und Ivan Martinovic bringen uns auf ein besseres Niveau. Davon bin ich überzeugt.
Die ehemalige Löwen-Geschäftsführerin Jennifer Kettemann hat seit 2022 von einem Fünfjahresplan gesprochen, an dessen Ende im Jahr 2027 die Rückkehr in die nationale Spitze stehen soll. Wie sinnvoll sind langfristige Pläne?
Lamadé: Ein Plan ist schon wichtig, aber im Sport grundsätzlich schwieriger als beispielsweise in der Wirtschaft. Dort ist es in gewissen Industrien einfacher, über fünf Jahre zu planen. Man entwickelt ein tolles Auto und bringt es auf den Markt. Wenn es schön aussieht, qualitativ und vom Preis her gut ist, wird es sich wohl auch gut verkaufen. Aber der Sport funktioniert so nicht.
Lars Lamadé
- Lars Lamadé wurde am 6. April 1971 geboren und ist Aufsichtsratsvorsitzender der Rhein-Neckar Löwen.
- Nach dem Abitur begann er seine berufliche Laufbahn bei der SAP. Er absolvierte sein Studium der Betriebswirtschaft mit Fachrichtung Wirtschaftsinformatik an der Dualen Hochschule in Mannheim in Kooperation mit der SAP.
- Parallel zu seiner Tätigkeit bei dem Walldorfer Softwareriesen leitete Lamadé von September 2014 bis Juni 2016 die Geschäfte der Löwen. Zuvor hatte Thorsten Storm den Bundesligisten kurzfristig verlassen und war zum THW Kiel gewechselt.
- Seit Juni 2021 ist Lamadé bei SAP für das weltweite Sponsoring verantwortlich.
Es gibt zu viele Unwägbarkeiten und Variablen. Deswegen möchte ich auch nicht mehr an diesem Fünfjahresplan festhalten. Nichtsdestotrotz bleibt es unser Anspruch, wieder zur nationalen Spitze zu gehören. Weshalb auch vollkommen klar ist: Es muss jetzt vorwärtsgehen. In der Saison 2022/23 haben wir gefühlt zwei Entwicklungsschritte nach vorne gemacht. In 2023/24 sind wir aber gefühlt wieder drei zurückgegangen. Wann wir wieder oben stehen, kann ich nicht prognostizieren. Aber außer Frage steht: Noch einmal Platz zwölf – das darf nicht passieren. Wir müssen uns verbessern.
Die Löwen sagen immer über sich, der Europapokal sei ihr natürlicher Anspruch. Gilt das noch?
Lamadé: Ob wir mit diesem Kader in der neuen Saison Fünfter oder Sechster werden können – das weiß ich nicht. Diese Frage muss die sportliche Leitung beantworten. Mit unseren Rahmenbedingungen bei den Löwen ist es aber nach wie vor das Ziel, in den nächsten Jahren dauerhaft um die ersten fünf Plätze zu spielen und wieder oben anzugreifen.
Was sprach für Holger Bachert als Interimsgeschäftsführer?
Lamadé: In einem Verein gibt es immer die drei Schwerpunktthemen Sport, Finanzen und Vertrieb. Mit dem Vertrieb erzielen wir die meisten Erlöse, deshalb ist das für mich ein ganz wichtiger Baustein. Und in diesem Bereich kennt sich Holger aus, in den hat er sich seit drei, vier Monaten eingearbeitet. Außerdem war er sofort verfügbar, hat große Lust auf die Löwen und kann auf eine Karriere als erfolgreicher Geschäftsmann zurückblicken. Holger weiß, dass wir nach einer langfristigen Lösung suchen. Mit ihm sind wir flexibel. Gute Leute bekommt man nicht von heute auf morgen.
Vielleicht heißt die langfristige Lösung sogar Bachert?
Lamadé: Wenn er jetzt einen guten Job macht, ist das nicht ausgeschlossen. Immer vorausgesetzt, er würde das überhaupt wollen. Wie gesagt: Im Vertrieb und Sponsoring macht ihm niemand etwas vor. Für das Thema Sport arbeiten wir jetzt Uwe Gensheimer ein. Uwes Expertise und Netzwerk werden uns dort sicherlich sehr helfen. Es bleibt der Bereich Finanzen. Aber auch dafür bringt Holger die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen aus seinem bisherigen Geschäftsleben mit, um ein vergleichsweise kleines Unternehmen wie die Löwen auf Kurs zu halten.
Werden die Löwen aus wirtschaftlichen Gründen noch gezwungen sein, Spieler in diesem Sommer abzugeben?
Lamadé: Nein. Es kann trotzdem sein, dass wir uns vielleicht noch von dem einen oder anderen Spieler trennen. Das hätte dann aber nichts mit einer finanziellen Not zu tun, sondern rein sportliche Gründe.
Wie schlimm ist die wirtschaftliche Situation überhaupt? Einerseits ist von Problemen die Rede, andererseits bekamen die Löwen problemlos die Lizenz für die neue Saison in der Handball-Bundesliga (HBL). Das widerspricht sich.
Lamadé: Auf den ersten Blick widerspricht sich das in der Tat. Letztendlich haben wir die Lizenz aber nur erhalten, weil die Löwen-Familie ganz eng zusammengerückt ist und die finanziellen Probleme mit einem Kraftakt behoben hat. Trotzdem – und das möchte ich ausdrücklich betonen – muss sich niemand Sorgen um die Rhein-Neckar Löwen machen.
Der Verein steht aus meiner Sicht wirtschaftlich auf soliden Beinen, was nicht zuletzt an unseren treuen Partnern und Fans liegt. Denen möchte ich einen großen Dank aussprechen. Ohne die Hilfe unserer Sponsoren und den Zuspruch unserer Fans (im Schnitt besuchten 8000 Zuschauer die Löwen-Heimspiele in der vergangenen Saison; Anmerkung der Redaktion) wäre es noch schwieriger geworden.
Was sagen die Sponsoren zur Entwicklung? Dauerhaft dürften die mit Mittelmaß unzufrieden sein.
Lamadé: Keiner erwartet, dass wir Meister werden. Aber Platz zwölf ist für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend. Und wenn wir das nicht verbessern, werden auch die Sponsoring-Einnahmen mittelfristig zurückgehen. Denn unsere Sponsoren zahlen nicht, damit wir um Platz zwölf spielen.
Der Etat muss zur neuen Saison nicht reduziert werden. Wo stehen die Löwen Ihrer Meinung nach im Etat-Ranking der Bundesliga?
Lamadé: Ohne ganz genaue Zahlen zu nennen und zu kennen, bin ich mir sicher, dass wir aktuell nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten wie etwa der THW Kiel, der SC Magdeburg und die MT Melsungen haben. Andererseits sind wir wahrscheinlich wirtschaftlich von diesen Clubs auch nicht so dramatisch weit weg, wie es jüngst auf dem Spielfeld aussah. Daher war bei uns die Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Aufwand und sportlichem Ertrag zuletzt viel zu groß. Das können wir uns auch nicht schönreden.
Das „Hopp Family Office“ verwaltet das Vermögen der Familie Hopp. Künftig geben die Löwen ihre Buchhaltung an dieses Büro ab. Welche Vorteile hat das?
Lamadé: Daniel Hopp hat uns gefragt, ob wir unsere Buchhaltung vom „Family Office“ machen lassen wollen, da dieser Bereich dort bereits auch für andere Sportorganisationen gemacht wird. Es wäre unklug gewesen, dieses Angebot abzulehnen. Denn dort sitzen jede Menge Fachkräfte, bei denen ich davon ausgehe, dass wir mit ihnen nicht in die finanziellen Schwierigkeiten der vergangenen Monate geraten werden. Es gibt für uns also nur Vorteile.
Man könnte aber auch die These aufstellen, dass die Löwen nun vollends unter der Kontrolle der Familie Hopp stehen.
Lamadé: Da muss ich entschieden widersprechen. Es kann uns doch gar nichts Besseres passieren. Und was wir machen, ist auch nichts Ungewöhnliches. Viele kleine mittelständische Unternehmen geben gewisse Themen wie die Buchhaltung oder Personalabrechnungen an externe Organisationen ab. Daniel Hopp hatte als einer der Gesellschafter schon immer Einblick in die Zahlen bei den Löwen.
Aber er wird uns auch weiterhin freie Hand lassen, was wir mit unserem Budget machen. Er hat sich in all den Jahren noch nie in irgendwelche operativen Entscheidungen wie beispielsweise Spielertransfers oder Trainerverpflichtungen bei den Löwen eingemischt. Wichtig ist ihm nur – wie allen anderen Beteiligten auch –, dass wir im Budget bleiben.
Wir sind ein wenig vom Thema abgekommen. Muss der neue Geschäftsführer Handball-Expertise mitbringen?
Lamadé: Es gibt Stimmen bei uns, die das so sehen. Meiner Meinung nach wäre das nicht zwingend notwendig, weil wir Uwe Gensheimer zum Verantwortlichen in diesem Bereich aufbauen wollen. Man kann auch darüber diskutieren, ob Uwes Rolle ihn irgendwann als Geschäftsführer qualifiziert. Ich will also nicht von vorneherein komplett ausschließen, dass das Gespann Gensheimer/Bachert eine längerfristige Lösung sein könnte.
Möglicherweise auch als eine Doppelspitze, wie es sie jetzt auch beim THW Kiel gibt. Allerdings hat Uwe gerade erst seine aktive Karriere beendet und muss sich erst einmal in der neuen Rolle einfinden und einarbeiten. Das wird sicherlich einige Zeit dauern. Wir werden das von nun an genau beobachten, aber wir werden nichts überstürzen.
Jennifer Kettemann sprach davon, dass sie Uwe Gensheimer gemeinsam mit Trainer Sebastian Hinze einarbeiten würde. Wer übernimmt nun den Kettemann-Part?
Lamadé: Uwes Aufgabengebiet ist der Sport. Und in diesem Bereich kennt er sich ohnehin schon gut aus. Als Hilfe stehen ihm hier Sebastian Hinze und Oliver Roggisch zur Verfügung. Oliver hatte dort schon in ähnlicher Position gearbeitet. Letztendlich wird Uwe neben der Einarbeitung seine eigenen Erfahrungen sammeln. Der Übergang vom aktiven Sportler hin auf die andere Seite ist sicherlich nicht ganz einfach. Das ist uns allen bewusst und daher bekommt Uwe hier auch jede Unterstützung. Wie sich solch ein Acht-oder-mehr-Stunden-Tag im Büro anfühlt, wird ihm Holger sicherlich erklären können. Das wird für Uwe eine vollkommen neue Erfahrung (lacht).
Was erhoffen Sie sich ganz konkret von der Personalie Gensheimer?
Lamadé: Ich habe seit Jahren darauf gedrängt, dass wir im Sport noch zusätzlich zum Trainer eine Unterstützung haben. Es muss jemanden geben, der sich unabhängig vom Trainer voll und ganz dem Sport widmet und in der Organisation mithilft. Trainer kommen und gehen. Und dann darf nicht das Ganze zusammenbrechen, wenn ein Trainer plötzlich weg ist.
Mit Uwe haben wir jemanden, der sich nach seiner Einarbeitung um die langfristige sportliche Ausrichtung der Löwen kümmert, der eine strategische Kaderplanung und die Verzahnung mit dem Nachwuchs verantworten soll. Wenn sich mit jedem Trainer auch die sportliche Ausrichtung verändert, wird es schwierig, sich überhaupt zu entwickeln. Mit Uwe versprechen wir uns langfristig Konstanz auf dieser Position.
Es fühlt sich jetzt alles nach einem Neustart bei den Löwen an. Die einstige Geschäftsführung ist komplett weg. Wie groß ist das Vertrauen des Aufsichtsrats in Trainer Sebastian Hinze?
Lamadé: Wie ich eben schon sagte: Wir wollen eine Entwicklung sehen. Es muss nach oben gehen. Die Neuzugänge sind allesamt seine Wunschspieler, entsprechend erwarten wir in der Tabelle einen Schritt nach vorne. Wie groß der sein sollte, möchte und kann ich jetzt noch nicht sagen. Klar ist nur: Wir erwarten bessere Leistungen – und das ist die Aufgabe des Trainers. Platz zwölf können wir uns nicht noch einmal erlauben. Es fehlte nicht viel und wir wären im Abstiegskampf gelandet. Sebastian ist aber auch sehr ehrgeizig und selbstkritisch genug. Dies sieht er sicherlich genauso.
Vor knapp einem Jahr war noch von einer vorzeitigen Vertragsverlängerung mit Sebastian Hinze die Rede.
Lamadé: Sebastians Vertrag endet in einem Jahr, entsprechend werden wir uns ohnehin in den nächsten Monaten zusammensetzen und über die Zukunft sprechen. Aber erst einmal liegt der Fokus nun auf einer guten Vorbereitung und einem erfolgreichen Saisonstart. Dies wird wegen der zeitlichen Überschneidung mit den Olympischen Spielen in Paris sowieso nicht ganz einfach.
Gibt es Entscheidungen bei den Löwen, die Sie in der Vergangenheit anders getroffen hätten?
Lamadé: Wenn ich sehe, wie viel Geld wir als Ablöse für Joel Birlehm vor zweieinhalb Jahren in die Hand genommen haben, macht es natürlich allein schon betriebswirtschaftlich wenig Sinn, dass wir ihn jetzt wieder abgegeben haben. Joel hat sich mit den Löwen komplett identifiziert, er ist meiner Meinung nach ein starker Torwart und mit 27 Jahren auch in einem guten Alter.
Mit Blick auf die nächsten drei bis fünf Jahre hätte ich mich daher eher für das Duo Späth/Birlehm entschieden. Aber das ist meine persönliche Meinung. Diese Entscheidungen werden von den Sportverantwortlichen getroffen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Handball Kettemann ist das Gesicht des Niedergangs der Rhein-Neckar Löwen