Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock betont das historisch beste Ergebnis ihrer Partei bei einer Bundestagswahl, räumt aber ein, die Erwartungen nicht erfüllt zu haben. Robert Habeck demonstriert dennoch Geschlossenheit und lobt seine Co-Parteichefin.
Vielleicht hätte der Jubel noch ein bisschen euphorischer gewirkt, wäre da der Vergleich nicht gewesen. Als um kurz nach 18 Uhr die erste Prognose zur Bundestagswahl auf der großen Leinwand erscheint, gibt es Applaus auf der Wahlparty der Grünen – erst beim Ergebnis der FDP, die hinter den Grünen liegt, und dann beim eigenen. Doch wie viel euphorischer der Moment hätte ausfallen können, wird klar, als wenige Minuten später die Zahlen für die Abgeordnetenhauswahl kommen. Dort sieht die erste Prognose die Grünen deutlich vorn, und die Freude der Berliner Grünen, die gemeinsam mit dem Bundesverband feiern, übertönt die erste Welle des Applaus mit Leichtigkeit.
Die Bundespartei der Grünen und der Berliner Landesverband feiern an diesem Abend gemeinsam in der Columbiahalle. Normalerweise, in vorpandemischen Zeiten, finden in der Halle Konzerte statt, bis zu 3500 Menschen tanzten hier. An diesem Abend stehen, pandemiebedingt, rund 400 Menschen unter den Sonnenblumen, die an die Decke projiziert werden. Und während die Landespartei jubelt, ist die Lage für die Bundesgrünen zwiespältiger.
Marathon-Wahlkampf
Die Grünen, die noch vier Jahren als kleinste Fraktion in den Bundestag eingezogen waren, haben sich vorgearbeitet auf Platz drei. Doch kann das zufriedenstellen als Ergebnis eines Wahlkampfs, der gestartet war mit dem Anspruch, Platz eins zu holen?
Noch im Frühjahr sah es so aus, als könnte diese Wahl die erste grüne Regierungschefin der Republik bringen. Jahrelang waren die Grünen in Umfragen zweitstärkste Kraft gewesen. Mit der Nominierung von Annalena Baerbock überflügelte die Partei zwischenzeitlich die Union, die 30-Prozent-Marke schimmerte am Horizont.
Die anschließende Talfahrt ist gut dokumentiert. Der Lebenslauf, die Nebeneinkünfte, das Buch mit den vielen kopierten Stellen – die Partei und die Kandidatin erwischte all das offenbar kalt. Nicht einmal die brutale Art, mit der die Flut im Ahrtal die Klimakrise und damit ein Kernthema der Grünen ins öffentliche Bewusstsein schon, änderte etwas am Abwärtstrend. Baerbock, zeitweise erkennbar angeschlagen, fing sich, trat auf der Marathon-Wahlkampf-Tour der Grünen in den vergangenen Wochen vor der Wahl wieder selbstsicherer auf, wirkte angriffslustig in den Triellen. Doch da war aus dem Dreikampf schon ein Duell zwischen Olaf Scholz und Armin Laschet geworden.
Eigene Fehler eingeräumt
Zwischen dem, was zwischenzeitlich möglich schien, und den ersten Zahlen liegen gut zehn Prozentpunkte. Es ist Baerbock, die den grünen Phantomschmerz dieses Abends zusammenfasst. „Wir wollten mehr, das haben wir nicht erreicht“, sagt die Frau, die die erste grüne Bundeskanzlerin werden wollte. Das habe man nicht geschafft, aufgrund eigener Fehler, aufgrund ihrer Fehler, auch das sagt Baerbock deutlich. Und doch: Das Ergebnis sei historisch gut – und die Partei habe eine Aufgabe. „Diesmal hat es noch nicht gereicht“, sagt Baerbock, „aber wir haben einen Auftrag für die Zukunft.“
Doch dass mehr drin gewesen wäre, lässt sich kaum wegreden. „Wir hätten uns mehr erhofft“, sagt Fraktionschef Anton Hofreiter. Fast wortgleich drückt das auch die parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann aus. „Das kann man auch an so einem Abend, finde ich, in aller Deutlichkeit sagen“, erklärt sie.
Für Parteiveteranen wie Hofreiter und Haßelmann und andere, die schon lange dabei sind, muss sich der Abend ein wenig anfühlen wie ein Deja-Vu. Denn ein Hoch bei den Umfragewerten, auf das ein Einbruch folgt – das kennen sie bei den Grünen. 2016 im Frühjahr lag die Partei bei 13 bis 14 Prozent, als eineinhalb Jahre später gewählt wurde, waren es 8,9. Ähnlich lief es 2013, als zwei Monate vor der Wahl noch 13 Prozent machbar schienen – und die Partei bei 8,4 rauskam.
Damals folgte auf die Niederlage ein fast vollständiger Austausch des Spitzenpersonals, Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast verließen die erste Reihe. Doch damit, das macht die Parteispitze an diesem Abend klar, ist dieses Mal nicht zu rechnen. Baerbock soll an diesem Abend den Saal nicht verlassen als die Kandidatin, die eine Chance verspielt hat. Habeck, dem die Frustration über den verstolperten Wahlkampf zwischendurch deutlich anzumerken war, hat warme Worte für seine Co-Parteichefin. Es sei eine „Speerspitzen-Aufgabe“ gewesen, die Baerbock da gehabt habe, sagt Habeck. Und wie sie da gemeinsam auf der Bühne stehen, sieht das Spitzenduo gelöster aus, als man sie lange zusammen gesehen hat.
Klimaschutz im Blick
Die Frage nach der Verantwortung will die Partei nicht stellen in der fragilen Phase direkt nach der Wahl. Stattdessen geht jetzt darum, Teil der nächsten Regierungskoalition zu werden und diese so grün zu machen wie möglich.
Man werde das Wahlergebnis nehmen und festhalten, man werde zusammenstehen, sagt Habeck. „Und dann versuchen wir, eine so starke, innovative Klimaschutzregierung zu bilden, wie sie Deutschland noch nicht hatte.“ Das sei der Auftrag für die nächsten Wochen und Monate. Für die Grünen kommt es darauf an, wie viel sie erreichen können mit diesem Wahlergebnis.
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