Berlin. Es ist eine Premiere. Noch nie in der Geschichte der FDP waren die Liberalen bei Bundestagswahlen zweimal hintereinander zweistellig. Vor vier Jahren landeten die Liberalen bei 10,7 Prozent, auch diesmal wird es laut Hochrechnungen funktionieren. „Das ist ein großer Vertrauensbeweis“, sagt Christian Lindner. Für den FDP-Parteichef ist es ein beachtlicher Erfolg – aber auch eine Bürde. Er versteht das Wahlergebnis als Auftrag: „Die Bürger wollen eine Regierungsbildung aus der Mitte heraus.“ Lindner sieht die FDP in der Verantwortung. Sie seien bereit, „unseren Beitrag zu leisten“.
Drei, oder besser zweieinhalb zentrale Wahlziele hatte sich Lindner gesetzt. Ein zweistelliges Ergebnis wollte er erreichen und möglichst nahe an die Grünen herankommen. Beim dritten Ziel dagegen war der Wille des FDP-Chefs deutlich schwächer ausgeprägt. Unbedingt regieren, wie es SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz immer wollte, wie es auch die Union seit jeher bei jeder Wahl will – das gibt es zwar grundsätzlich auch bei Lindner, aber sein Regierenwollen läuft immer mit angezogener Handbremse. Die Angst vor dem Scheitern ist groß.
„Gucken, was geht“
Seit diesem Wahlabend steht immerhin fest: Das erste Ziel dürfte er erreicht haben, das zweite nur mit zwei zugedrückten Augen, das dritte Ziel hat er nicht allein in der Hand. „Gucken, was geht“, fasst Partei-Vize Wolfgang Kubicki als erster an diesem Abend die Lage zusammen.
Der Wahlerfolg hatte sich in den Umfragen bereits abgezeichnet. Ein Grund, schon mal kistenweise Sekt kaltzustellen war es trotzdem nicht. Seit der geplatzten Jubelfeier am Berliner Alexanderplatz, damals vor acht Jahren, als die FDP krachend aus dem Bundestag flog, backen die Liberalen partymäßig kleinere Brötchen und laden am Wahlabend in die verwinkelte Parteizentrale im Regierungsviertel. Aus Corona-Gründen sind diesmal noch weniger Gäste eingeladen, es ist ein gepflegter Stehempfang, der Applaus gediegen.
Lindner war damals, am Tag des spektakulären Scheiterns, 34 Jahre alt. Inzwischen ist der Parteichef gerade mal 42. Sein Auftritt spiegelt das, er hat nichts mehr von der forschen Jungenhaftigkeit der ersten Jahre in der außerparlamentarischen Opposition, Lindner hat sich in den vergangenen Monaten den Mantel des Staatsmanns umgehängt. Mehr noch: In jedem seiner Sätze schwingt bereits mit, wie schwierig die nächsten Wochen werden dürften. Lindner, der Königsmacher für eine Jamaika-Koalition unter Armin Laschet oder für ein Ampel-Bündnis unter Olaf Scholz?
Die Liberalen sind nur auf den ersten Blick in einer komfortablen Lage. Was, wenn die Grünen eine Jamaika-Koalition ablehnen, wenn eine Ampel das Einzige ist, was bleibt, und alle fragend auf die FDP schauen? Nicht ausgeschlossen ist, dass das Ringen um Bündnisse am Ende doch wieder zu einem Horrortrip für den Parteichef werden wird – ähnlich wie vor vier Jahren. Seine größte Sorge bis zum Wahlabend: Dass SPD-Mann Scholz mit Grünen und Linken in einem Linksbündnis regieren könnte – und es dann an Lindner läge, das mit einem Ja zu einer Ampel-Koalition zu verhindern.
Doch selbst wenn es nicht für ein Linksbündnis reichen sollte – die Option einer Ampelkoalition mit Rot und Grün setzt Lindner unter Druck: Seine Wunschkoalition ist ein Jamaika-Bündnis unter einem Unionskanzler – ihm graut vor Verhandlungen mit einem gut harmonierenden Gespann aus SPD und Grünen. Aber wieder nicht regieren statt falsch regieren? Das kann sich Lindner nach dem umstrittenen Jamaika-Aus von 2017 kaum ein zweites Mal leisten.
Angebot an Baerbock
Seit Wochen wiederholt Lindner: Ihm fehle die Fantasie, was SPD und Grüne den Liberalen anbieten müssten, um sie für eine Ampel zu gewinnen. Gleichwohl wendet sich Lindner am Sonntagabend in der ARD-Runde der Spitzenkandidaten an Grünen-Chefin Annalena Baerbock und schlägt vor, dass Grüne und FDP zuerst miteinander sprechen – als Parteien, die Wahlkampf gegen die große Koalition gemacht hätten.
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