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Cem Özdemir in Mannheim: „Merz wird ein Rendezvous mit der Realität haben“

Unter welchen Umständen würde Cem Özdemir (Grüne) mit Markus Söder (CSU) ein Social-Media-Video drehen? Uns hat er es verraten.

Von 
Lea Seethaler
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Cem Özdemir beim Impulsvortrag und beim Gespräch mit Karsten Kammholz im lebhaften Austausch. © Christoph Bluethner

Mannheim. Die Bundestagswahl und ihre Folgen - bei seinem Besuch in Mannheim kam Noch-Bundeslandwirtschafts- und Wissenschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schnell zur Sache. „MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz hatte Özdemir beim Business Club der HAAS Mediengruppe in den Reiss-Engelhorn-Museen empfangen.

Wie passend, wie Museumsgeneraldirektor Wilfried Rosendahl gleich feststellte, ein Doppelminister zu Gast im Museum mit Forschungsinstitut auch für Archäologie und internationale Klimaforschung. Außerdem stünden Ernährung und Landwirtschaft bei der Ausstellung „Essen und Trinken. Reisen durch Körper und Zeit“ im Fokus.

Auch viele prominente Zuschauer waren ins Zeughaus gekommen. © Christoph Bluethner

Özdemir sagte in seinem Vortrag gleich: Er halte es für notwendig, dass die demokratische Opposition die künftige Bundesregierung bei ihrer Arbeit unterstütze – „aus Patriotismus, für das Land“. Özdemir, der auch Grünen-Spitzenkandidat für die baden-württembergische Landtagswahl ist, ergänzte: Wenn diese Legislaturperiode „nicht abliefert, dann werden wir bei der nächsten Wahl eine ganz andere Zusammensetzung des Parlaments haben.“ Seine Befürchtung: Dann werde die AfD vorherrschen.

Özdemir in Mannheim: Merz werde ein „Rendezvous mit der Realität“ haben

Gleichzeitig wies er darauf hin, dass Union, SPD und Grüne im künftigen Parlament keine Zweidrittelmehrheit mehr haben, die aber für eine Grundgesetzänderung nötig wäre. Vor diesem Hintergrund kritisierte Özdemir das mangelnde Interesse von Friedrich Merz (CDU) an einer schnellen Reform der Schuldenbremse, Merz werde nun ein „Rendezvous mit der Realität“ haben.

„Ich bin sehr erstaunt darüber, dass er nicht die Chance ergriffen hat, in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode die Verfassung zu ändern“, sagte der Minister in Mannheim. „Wir haben es angeboten.“ Nach Ansicht von Özdemir ist eine Verfassungsänderung dringend nötig, um den Herausforderungen der kommenden Jahre gerecht zu werden. So kämen auf die neue Bundesregierung angesichts der veränderten Ukraine-Politik der USA sehr hohe Kosten für die Verteidigung zu, sagte er.

Wenn es dem Land dient, würde ich sogar das tun.
Cem Özdemir zur Frage, ob er mit Markus Söder ein Video aufnehmen würde

Özdemir sprach außerdem über die Bedeutung von Forschung und Innovation für Deutschland, insbesondere für Baden-Württemberg. Er sprach sich beim Thema Medizin für den Verbund aus, „eine Riesenchance, die Universitätsmedizin im Land weiter zu stärken“. Der Minister hob zudem hervor, dass das Land etwa mit seinen Fraunhofer Instituten und der Start-up-Szene großes Potenzial besitze – gerade in diesen Zeiten: „Wir haben vier Fraunhofer Institute in Baden-Württemberg, die sich mit Sicherheitsfragen beschäftigen. Da liegt ein Wachstumsmotor für uns.“

Gleichzeitig kritisierte er aber, dass es Start-ups zunehmend schwerfalle, Risikokapital zu erhalten. Ohne ausreichendes Risikokapital drohe Deutschland, den Anschluss zu verlieren: „Was passiert, wenn die Betriebe das Risikokapital nicht kriegen? Dann gehen sie dorthin, wo es das Risikokapital gibt“, sagte Özdemir.

Özdemir: Wissenschaftler aus den USA hier willkommen

Auffällig oft ging Özdemir auf die politische Situation in den USA ein. „Ich höre immer wieder Töne, die sagen: Na ja, vielleicht kann man ja mit dem nur irgendwie anders arbeiten. Vielleicht wird der Trump ja an der Realität merken: ,So geht‘s nicht.‘“ Doch der Grünen-Politiker hat große Zweifel und verwies auch auf transatlantische Zusammenarbeit im Bereich Wissenschaft und Forschung: „Wir sollten gerade jetzt die Zusammenarbeit suchen, die Solidarität.“

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA äußerten Bedenken über ihre Zukunft am Standort Amerika: „Viele von denen schreiben mir. So, dass ich das nicht zitieren darf, weil sie Angst haben um ihren Job.“ Wenn in Korrespondenzen der Wissenschaftler alleine das Wort „Frau“ vorkomme, werde das gefiltert und sie gerieten in Verdacht, ,,das muss man sich mal vorstellen“, beschrieb Özdemir die Situation. Özdemir aber lädt die Forscher nach Deutschland und ins Land ein, sagte, Top-Wissenschaftler aus den USA seien hier „herzlich willkommen“.

Cem Özdemir beim Impulsvortrag in Mannheim. © Christoph Bluethner

Özdemir sieht zudem eine enge Zusammenarbeit zwischen Parteien und auch Bundesländern und Bund notwendig. Er zeigte sich bereit für Kooperation – auch über Parteigrenzen hinweg – wenn es dem Land diene: „Wenn ich Ministerpräsident werden sollte, werden wir zusammenarbeiten müssen, so wie ich auch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten werde zusammenarbeiten müssen.“ Dafür würde er, wenn dieser es wolle, auch ein Video aufnehmen, sagte Özdemir ironisch in Anspielung auf Markus Söders (CSU) Social-Media-Videostrategie und rollte die Augen: „Wenn es dem Land dient, würde ich sogar das tun.“

Özdemir: „Habe Ministerien für Übergabe vorbereitet“

Özdemir berichtete, er habe sich vorgenommen, beide Ministerien aktuell so vorzubereiten und zu übergeben, wie er sie gerne vorgefunden hätte. „Als Häuser, die sofort handlungsfähig sind.“

Bei der Podiumsdiskussion wollte ,,MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz dann von Özdemir wissen, wie es mit den Grünen weitergehen soll. Özdemir sagte, seine Partei müsse der Regierung kritisch auf die Finger schauen. Aber allgemein solle man zu Dingen nicht „Nein sagen, wenn sie von den Falschen kommen.“ Die Klimakrise schreite „mit Siebenmeilenstiefeln“ voran, es brauche einen guten Weg zwischen Humanität und Lösungen. Kammholz wollte wissen, was Özdemir über Robert Habecks Zukunft denke? „Sollte er sich zurückziehen, wäre das sehr bedauerlich“, sagte Özdemir. Der gebürtige Bad Uracher beklagte zudem den vulgären Umgang im Parlament durch die AfD und warnte, der Ton drohe in die Gesellschaft zu diffundieren.

Özdemir sagte auch: „Wir brauchen den Politischen Liberalismus.“ Gerade die Grünen in Baden-Württemberg seien prädestiniert, dem eine Heimat zu geben. Er sprach sich gegen einen überregulierenden Staat und dessen „Mikromanagement“ aus. Man müsse Klima, die „Schöpfung“, bewahren, es gelte Neues mit der Wirtschaft gemeinsam weiterzuentwickeln.

Cem Özdemir - „der junge Kretschmann“?

Kammholz spielte auch auf die Umfragewerte an, wonach Manuel Hagel als Ministerpräsidentenkandidat etwas beliebter als Özdemir ist. Dieser nannte gleich andere Zahlen anderer Umfragen, verwies: „beim Baden-Württemberg-Trend sind wir Grüne in Baden- Württemberg vier Prozent hochgegangen und ich bin um fünf Punkte hochgegangen.“ Allerdings gab er zu, dass es da allgemein für die Partei viel zu arbeiten gäbe, es „bogglhart“ werde.

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Mehr in frühkindliche Bildung zu Investieren sei richtig, so Özdemir weiter, nach dem Gäste in einer Runde Fragen stellen konnten. Es könne „nicht sein, dass wir Kinder in der Schule haben, die nicht satt sind.“ Erste Bürgermeisterin Diana Pretzell (Grüne), betonte, nachdem sie sich zu einer Frage meldete, „wir Kommunen tragen extrem viel an Last“. In Bezug auf Daseinsvorsorge sei aktuell „extrem wichtig, dass wir nicht nur mehr Geld sondern auch mehr Mitspracherecht kriegen.“

Auch Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) meldete mit einer Frage. Er sagte, Özdemir erinnere ihn „an den jungen Kretschmann, grün und ein bisschen schwarz, wo sich mir die Frage stellt, wie glaubwürdig ist das, was so sympathisch rüberkommt“. Er wolle wissen, wie man die Ideen auf die Straße bringen könne. Specht: „Ich mache es Ihnen deutlich“, an Beispielen.

Zwei Milliarden Investitionen von einem amerikanischen Unternehmen stehen im Raum, das nach Baden-Württemberg möchte. „Und wir sind zwischen Heidelberg und Mannheim nicht in der Lage, 15 oder 10, 12, Hektar im freien Raum zur Verfügung zu stellen?“ Die Antwort blieb Özdemir ihm schuldig – vorerst.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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