Berlin. Die Sozialdemokraten feiern in Berlin ihren großen Erfolg: Erst zum dritten Mal nach 1972 und 1998 landet die SPD auf Platz eins. Und der Kanzlerkandidat unterstreicht seinen Anspruch auf die politische Führung des Landes und auf die Bildung der neuen Regierung.
Ein Riesenaufschrei geht durch das überfüllte Foyer im Willy-Brandt-Haus der SPD in Berlin. Wie ein Torschrei. Wo man auch hinschaut: ein hüpfendes Meer von in die Höhe gehaltenen klatschenden Händen.
Die SPD-Anhänger feiern sich, ihre Partei und ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Berlin, SPD-Parteizentrale, 18 Uhr. Erste Prognose: die früheste Vorahnung eines Erfolges bei der Bundestagswahl. Sekt oder Selters, das ist nicht die Frage. Nicht für die SPD. Sekt natürlich, was sonst?
Generalsekretär Lars Klingbeil geht früh in die Bütt, genauer gesagt: vor die Kameras von ARD und ZDF. „Die SPD ist wieder da.“ Die Wahl sei ein Erfolg. „Wir wussten immer, dass es ein enges Rennen wird.“ Seine Partei habe den Regierungsauftrag. Und „Die Menschen wollen einen Kanzler Olaf Scholz.“
Erst um 19.02 Uhr geht Scholz erstmals auf die Bühne, sekundiert von seiner Ehefrau Britta Ernst und den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. „Es wird ein langer Wahlabend, das ist sicher“, sagt er. Die Wähler wollten, „dass es einen Wechsel an der Regierung gibt“ – und dass der nächste Kanzler Olaf Scholz heißt.
Psychologische Komponente
Die Sozialdemokraten kommen mit ihren Prozentpunkten einerseits auf den Stand von 2013. Mit Peer Steinbrück als Spitzenkandidat war man damals auf 25,7 Prozent der Stimmen gekommen. Andererseits: Eine Partei definiert sich nicht allein durch das nackte Ergebnis. Es zählt – gerade psychologisch – noch mehr der Vergleich zur direkten Konkurrenz, zu den Unionsparteien. Es wäre erst das dritte Mal nach 1972 und 1998 in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Sozialdemokraten auf Bundesebene auf Platz eins landen.
Die Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verbringen den Nachmittag in ihren Büros in der fünften Etage. Um 17 Uhr sitzt das SPD-Präsidium im Helmut-Schmidt-Saal in der sechsten Etage mit Scholz zusammen. Erst ergreifen die Vorsitzenden das Wort, dann Scholz. Er bedankt sich bei allen für den Wahlkampf und macht Mut. Er sei guter Dinge, dass seine SPD Erste werde. Die Linie ist klar: Wir sind die Sieger. Die SPD hat den Führungsanspruch.
In so einer Situation greift eine ganz simple Logik. Die SPD hatte mehrere Prozentpunkte dazugewonnen, CDU und CSU haben etwa in der gleichen Größenordnung verloren und ihr mit Abstand schlechtestes Wahlergebnis aller Zeiten errungen, besser gesagt: erlitten. Schatzmeister Dietmar Nietan sagt, noch vor zehn Wochen wäre die Frage Erster oder Zweiter noch eine „Luxusdiskussion“ gewesen.
Rot-Grün allein geht nicht
Eine halbe Stunde später ist dann der Parteivorstand dran: Hier wird nur noch die vorab gefundene Linie vorgegeben – die Sprachregelung, die Klingbeil im Fernsehen verkünden wird. In der ARD führt die SPD knapp, beim ZDF deutlicher. Wobei die Union aufgrund von Überhangmandaten womöglich die stärkste Fraktion wird. Zu den Unwägbarkeiten gehört der hohe Anteil von Briefwählern, deren Stimmen noch gezählt werden. Ein Stimmungsaufheller ist, dass die SPD auch bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich abgeschnitten hat, vor allem Manuela Schwesig im Norden.
Auf Bundesebene ist es das erwartet knappe Finale geworden, beide Volksparteien nahe beieinander. Scholz wertet das Wahlergebnis als Votum für einen „Wechsel“. Das erlaubt nur eine Lesart: Eine erneute Auflage einer großen Koalition soll unbedingt vermieden werden. Selbst als Zweitplatzierter würde Scholz versuchen, eine Koalition zu bilden. Als Wahlsieger stünde ihm traditionell das Initiativrecht zu. Für Rot-Grün allein – die Idealvorstellung von Scholz – reicht es nicht aus. Zusammen kommen die Wunschpartner auf rund 40 Prozent – im Prinzip das Potenzial, das sich im Wahlkampf schon seit Monaten abzeichnete; mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, dass die Grünen lange Zeit die Nase vorn hatten.
Ein dritter Partner ist nötig, nach Lage der Dinge die FDP – und schier alternativlos. Denn: Die Linkspartei schwächelt bedenklich. Im Laufe des langen Wahlabends bangt sie – hart an der Durstgrenze von fünf Prozent – um ihren Einzug in den Bundestag. Und selbst dann würde die Zahl der Mandate womöglich nicht eine Mehrheit ergeben.
Scholz sagt, er wolle „dafür sorgen, dass wir eine stabile Regierungskoalition zustande kriegen“. Erst warte man das endgültige Wahlergebnis ab, „dann machen wir uns an die Arbeit,“ verkündet er.
Differenzen in der Finanzpolitik
Rechnerisch sicher ist die „Ampel“, ein erfolgreiches Bündnis in Rheinland-Pfalz. Im Bund wäre es ein Novum. In der Finanzpolitik fallen Differenzen zwischen SPD, Grünen und den Liberalen ins Gewicht.
Begonnen hatte der Tag für Scholz am Morgen mit der Stimmabgabe in Potsdam, begleitet von seiner Frau, der Brandenburger Bildungsministerin Britta Ernst. Hinter ihm liegt ein Achterbahn-Jahr. Monatelang landete die SPD in den Umfragen abgeschlagen hinter der Union und den Grünen. Erst im Sommer hatten die Sozialdemokraten zur Union aufgeschlossen. Für das rot-grüne Lager war es ein Nullsummenspiel: Was die SPD zulegte, verloren die Grünen.
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