Mannheim. Es wäre „anders“, sagt die Frau, und man merkt, wie sie das Wort mit Mühe herauspresst, wie die Stimme bricht und ihre Augen feucht werden. „Tolle Aktion“ murmelt sie dann noch und dreht sich weg.
"Wir wollen helfen" ermöglicht Kindern in Mannheim Bescherung zu Weihnachten
„Tolle Aktion“ - diesen Satz hört das Team der Aktion „Wir wollen helfen“ an diesem Tag gerne. Er ist wie eine vorgezogene Bescherung. In einem Raum, den Hendrik Hoffman, Centermanager des Quartiers Q 6/Q 7, zur Verfügung stellt, liegen viele Geschenke bereit. Zwar greift die „MM“-Aktion „Wir wollen helfen“ das ganze Jahr über Menschen bei besonderen Notlagen unter die Arme.
Aber in der Vorweihnachtszeit wendet sich der Hilfsverein extra Kindern aus armen, zerrissenen Familien zu, verschenkt aus Spendenmitteln gekauftes Spielzeug, damit dort die Bescherung nicht ausfällt. Denn ohne diese Aktion, und das meint die Frau, wäre Weihnachten eben „anders“, ärmlicher, ohne Bescherung, ohne Geschenke, denn das Geld reicht da oft nicht mal für den Alltag, für Essen und Heizung.
Galeria-Mitarbeiter packen Weihnachtsgeschenke für bedürftige Kinder ein
Passend zu Alter und Geschlecht der Kinder, welche die „MM“-Aktion zu dem Tag eingeladen hat, haben Fachleute der Galeria in P 1 die Pakete gepackt- mit Modellautos, Puppen, Spielen, Plüschtieren. Teils sind sie in alte „Mannheimer Morgen“-Ausgaben eingewickelt - aus Gründen der Nachhaltigkeit. Den Transport von P 1 nach Q 6/Q 7 übernimmt gerne wieder das Technische Hilfswerk (THW). Für Ortsbeauftragte Nicole Dudziak und Matthias Kerkmann, erfahrener Fahrer und Logistiker, ist das schon seit Jahren Ehrensache, hier mit anzupacken, die Päckchen einzuladen und zu schleppen.
Matthias Bretschneider, der geschäftsführende Vorsitzende, drapiert darum dann noch eine Lichterkette. Auch ein paar Süßigkeiten für die Kinder hat er mitgebracht, Malbücher und kleine Geschenkartikel, die der „MM“-Aktion für diesen guten Zweck überlassen worden sind. Dann kann der Tag beginnen.
Das ist die Bilanz der "MM"-Aktion "Wir wollen helfen"
Er hofft noch auf eine "Jahresendrallye". Bislang, so die vorläufige Bilanz von Matthias Bretschneider, liegen die Spendeneinnahmen der "MM"-Aktion "Wir wollen helfen" nämlich noch unter den Rekordeinnahmen der Vorjahre. Per 21. Dezember wurden bisher 684 975,20 gutgeschrieben, zum Jahresende 2022 waren es 696 759,88 Euro. "Um das Gesamtergebnis des Vorjahres zu toppen, fehlen uns noch rund 12 000 Euro, das sollte noch hereinkommen", hofft der geschäftsführende Vorsitzende des "MM"-Hilfsvereins.
"Die Mannheimer Bevölkerung hat in der Adventszeit 2023 erneut ein starkes und befreiendes Zeichen des Mitgefühls und der Solidarität gesetzt", freut sich Bretschneider, "auch wenn das überwältigende Ergebnis der Vorjahre bislang noch nicht ganz erreicht wurde". Die Spender seien "zum Alltagsgeschäft übergegangen, der Katastrophenmodus" entfällt", vermutet er als eine Ursache. Zudem würde offenbar persönlichen Unsicherheiten, Ängsten und Sorgen ein höherer Wert eingeräumt.
Allerdings werde die "MM"-Aktion "weiter von der der Breite der Bevölkerung getragen", auch wenn der Anteil der Großspenden gestiegen sei. Die größte Einzel- und Firmenspende kommt mit 50.000 000 Euro von Bauhaus, gefolgt von 20 000 Euro von Diringer & Scheidel, 15 000 von Lochbühler und mehreren Überweisungen von 10 000 Euro. Drei Spendenaufrufe anlässlich runder Geburtstage, Jubiläen oder anderer besonderer Ereignisse führten zu Spenden von 6700 Euro, "einem der höchsten Zuflüsse aus diesem Segment in den letzten Jahren".
Allerdings wird das Geld auch gebraucht. "Wenn die Anzahl der Anträge bei Hilfsverein ein Gradmesser für die finanzielle Not der Ärmsten in der Stadt ist, dann war die gefühlte Armut schon sehr lange nicht mehr so groß", registrierte Bretschneider "ein Allzeit-Hoch". In den vergangenen Wochen wurden 3212 (Vorjahr 3039) Anträge auf Weihnachtshilfe bearbeitet. In 2631 (2364) Fällen konnten sie gewährt werden - Spielzeug für Kinder, ansonsten Büchergutscheine oder Gutscheine für Lebensmittel, die besonders an arme Ältere Menschen mit karger Rente gehen. Zur diskreten Unterstützung verschämter Armer, die nie selbst um Hilfe bitten würden, erhielt das Sozialamt pauschal 12 000 Euro.
In 2023 gingen 938 (291) Anträge auf Einzelfallhilfe beim Hilfsverein ein. Das ist ein Anstieg gegenüber 2022 um über 200 Prozent, der zu einem Teil auf Flüchtlinge aus der Ukraine zurückzuführen ist. "Nicht in allen Fällen sind die Voraussetzungen für eine Hilfe durch den Verein gegeben", so Bretschneider. In 250 (149) komplexen Fällen wurden die Betroffenen zu Gesprächen eingeladen. So konnten einfühlsam individuelle Lösungen gefunden werden. Im Ergebnis gewährte die Aktion 554 (182) Einzelfallhilfen mit einem Gesamtwert von 168 000 Euro (76 000 Euro) - bei einer Spannweite von 40 bis 2500 Euro, mal in Form von Gutscheinen, mal Bargeld.
In der Summe wurden seit Jahresbeginn bis zum 17. Dezember 6125 (4494) Anträge bearbeitet, das ist ein Plus von 36 Prozent. Davon konnten 5012 (3695) bewilligt werden. Häufigste Ablehnungsgründe sind unvollständige oder fehlende formale Nachweise der Bedürftigkeit und unsere subjektive Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Antragstellenden. Die bis zum Stichtag insgesamt bewilligten 13 625 Hilfen überschreiten erstmals in der Vereinsgeschichte den Wert von 720 000 Euro, so Bretschneider: "Die Anzahl der bearbeiteten Anträge, die Stückzahl der gewährten Hilfeleistung und das bereitgestellte Hilfevolumen markieren historische Höchstwerte in der Vereinsgeschichte".
"MM"-Aktion zaubert Kindern ein Lächeln ins Gesicht
Er zaubert vielen Menschen ein Lächeln ins Gesicht, ein sehr dankbares Lächen - und manchmal spürt man die Dankbarkeit richtig. Etwa bei jener alleinerziehenden Mutter, die im Rollstuhl hereinfährt. „Da ist bei einer Operation etwas schiefgegangen“, sagt sie, „noch Wochen“ werde sie nicht arbeiten können, da sei die Finanzierung von Festen wie Weihnachten mit zwei Kindern „ganz schwierig, wenn es Sie nicht gäbe“, seufzt sie.
Nun kann die „MM“-Aktion nicht alle Wünsche erfüllen. „Barbie mit Röhrchen“ wünscht sich eine Fünfjährige, die an der Hand ihrer Mutter kommt, vergnügt herumtänzelt. Im Kindergarten sei sie nicht, denn da seien auch Jungs, „und Jungs sind doof“, sagt sie. Das Geschenk für sie und ihre Geschwister nimmt die Mutter erleichtert entgegen, für die Kleine gibt es was Süßes.
Auffallend viele kleine Kinder kommen an dem Tag mit - der Kindergarten habe wegen Krankheit zu, ist oft zu vernehmen. Daher hört das Team des Hilfsvereins oft ein schüchternes „Dankeschön“ aus Kindermund, manchmal von den Müttern herausgefordert. „Wie sagt man?“, fragen einige streng.
Wenn die Waschmaschine kaputtgeht, fällt in manchen Familien die Bescherung aus
Aus manchen bricht auch heraus, was sie umtreibt. „Fürs Kind ist das wichtig“, so eine Frau mit Blick auf das Geschenk, „aber ich hab keinen Mann, da brauche ich auch keine Weihnachten“, meint sie verbittert. „Ich würde ja gerne arbeiten“, sagt eine andere Frau und stellt sich als Bürokauffrau vor. Stundenweise oder von zu Hause aus ginge das, obwohl sie drei Kinder, darunter einen Jungen mit Behinderung, alleine großziehe: „Aber jemanden wie mich stellt niemand ein.“ Dann seien noch Staubsauger und Waschmaschine kaputt gegangen: „Ich wüsste nicht, wie ich Essen kaufen oder den Kindern was schenken sollte, wenn es Sie nicht gäbe“, klagt sie. Und eine Mutter dankt: „Das Kind soll nicht merken, wie schlecht es uns geht.“
„Tolle Aktion“, „Prima“, „Super“, „toll, dass Ihr das macht“ oder „klasse“ ist immer wieder zu hören, dazu die Klage über enorm gestiegene Lebensmittel- und Energiekosten, die das Leben noch mehr erschweren als ohnehin schon. „Wow“, freut sich eine Mutter über ein Geschenk, und eine andere dankt noch viel mehr: „Supi, supi, supi, vielen, vielen Dank! Jetzt bin ich glücklich, weil meine Kinder etwas haben“.
„Supi“ - dieses Wort gebraucht ebenso eine junge Frau, die gerade aus dem Fitnessstudio kommt, das gegenüber vom Raum mit der Geschenkeausgabe liegt. „Schön, dass Sie das machen“, lobt sie und erkundigt sich, wie man dafür spenden kann. „Mein Mann überweist“ kündigt eine andere Frau an, die diese Aktion „so richtig toll“ findet. Sie erkundigt sich aber auch genau, wie der „MM“-Hilfsverein prüft, wer bedürftig ist und in den Genuss von Spielzeuggeschenken kommen darf.
Nicht nur Spielzeug: "Wir wollen helfen" verschenkt auch Gutscheine für Kleidung und Essen
Und es gibt ja nicht nur Spielzeug. Für ältere Menschen gibt es Lebensmittel-Gutscheine, für ältere Kinder verteilen wir Gutscheine, einlösbar nur für Kleidung, Schulbedarf oder Spielzeug, sowie Büchergutscheine von der Quadratebuchhandlung in R 1. Sonst auf Antiquariat spezialisiert, richtet sie dann immer mit viel Mühe spezielle Tische mit Kinderbüchern. Nach dem Versand der Gutscheine würden sie „regelrecht überrannt“, berichtet Mitarbeiter Sven Reinhardt.
Besonders beliebt seien „nach wie vor die Klassiker wie Pippi Langstrumpf und Räuber Hotzenplotz“, aber auch Lernhilfen und Wörterbücher seien gefragt. „Wir machen ein reichhaltiges Angebot, bestellen auch jeden Tag nach“, ergänzt Inhaber Joachim Krause und freut sich, dass er „sehr viel Dankbarkeit“ erlebt. Etwas für Lese- und Sprachförderung zu tun, helfe ja auch bei der schulischen Entwicklung - und dass die Kinder dann später mal keine Hilfe bräuchten, sondern auf eigenen Beinen stehen können.
Und das wollen manche auch. In einem der vielen Dankschreiben an den „MM“-Hilfsverein schrieb eine Frau: „Sobald es mir finanziell wieder bessergehen sollte, werde ich Sie natürlich mit einer Spende unterstützen. Die Arbeit, die Sie leisten, ist unbezahlbar“. Sie wäre nicht der erste Fall, in dem jemand spendet, der früher mal geholfen bekommen hat.
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