Justiz

Warum dauern Verfahren auch in den Mannheimer Gerichten so lange?

Jahrelanges Warten und Ungewissheit für alle Beteiligten: Der Mannheimer Landgerichtspräsident Martin Maurer erklärt, warum sich Gerichtsverfahren über viele Jahre hinziehen können

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Waltraud Kirsch-Mayer
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Der Prozess um den Polizeieinsatz am Marktplatz startete am Landgericht 20 Monate nach dem Tod von Ante P. – und damit vergleichsweise zeitnah. © Christoph Blüthner

Mannheim. Seine Täuschungen rund um Container und Bauzäune stammen aus den Jahren des Flüchtlingsansturms 2015 und 2016. Gleichwohl ist der Betrüger erst vor einigen Monaten verurteilt worden. Die Anklage war zwar zeitnah erhoben worden, allerdings ließ der Prozess am Mannheimer Landgericht knapp sieben Jahre auf sich warten - weshalb die Kammer bei der verhängten Gefängnisstrafe von zweidreiviertel Jahren als bereits verbüßt elf Monate zugestand.

Das Warten auf Gerechtigkeit mit dem Damoklesschwert der Ungewissheit treibt nicht nur Betroffene um - auch die Justiz, wie Landgerichtspräsident Martin Maurer einräumt. Ein Gespräch über Hintergründe kreist um das Beschleunigungsgebot für Haftsachen, die Zunahme von Mammutverfahren und den „Gesetzlichen Richter“.

Uralt-Verfahren sind deutschlandweit keine exotischen Ausnahmen. So übernahm Anfang des Jahres eine Strafkammer des Mannheimer Landgerichtes von „bis zur Halskrause belasteten Kollegen“, wie es ein Richter formuliert, den Fall jenes Juristen, der gegen sein Berufsverbot als Anwalt verstoßen hat.

Der auf Abwege geratene Advokat kam mit einer Bewährungsstrafe davon - laut mündlicher Urteilsbegründung nur deshalb, weil die Anklage fünf Jahre liegen geblieben war und der Endfünfziger die lange Zeit der Ungewissheit nutzte, ein Insolvenzverfahren durchzuziehen und sich ein neues Leben aufzubauen.

Komplexe Mammutverfahren können eine Kammer blockieren

Bekanntlich hat die Hygieneaffäre das Mannheimer Uni-Klinikum mächtig gebeutelt. Für Kritik sorgte, dass sich das Verfahren des im April 2021 wegen Verstößen gegen das Medizinproduktegesetz zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Ex-Geschäftsführers sechseinhalb Jahre hingezogen hatte - wovon die Spanne zwischen Anklage und Hauptverhandlung mehr als die Hälfte in Anspruch nahm. Das bedeutete für den pensionierten Krankenhausmanager, dass er bei Prozessbeginn bereits die 70 überschritten hatte.

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Martin Maurer, der 2017 als Präsident vom Amtsgericht sozusagen über die Straße ans Landgericht wechselte, weiß: Wenn der „Bodensatz“ an Altfällen zunimmt, kommt zunächst einmal Personalknappheit in den Sinn. „Es gibt aber auch andere Gründe.“ Maurer nennt das Beschleunigungsgebot in Haftsachen, das die Untersuchungshaft eines Tatverdächtigen auf sechs Monate beschränkt und Ausnahmen nur in engen Grenzen zulässt: „Dies hat natürlich zur Folge, dass Nicht-Haftsachen liegen bleiben.“

Maurer verweist außerdem auf deutlich mehr vorbereitungsintensive Großverfahren, die eine Kammer blockieren können. Beispiel: der vor einer Wirtschaftsstrafkammer hochstreitig geführte Mammutprozess wegen Marktmanipulation in Zusammenhang mit kanadischen Billigaktien. Es sollte 75 (!) Verhandlungstage dauern, ehe im diesjährigen Mai die Urteile verkündet wurden - hohe Gefängnisstrafen für die drei Angeklagten kombiniert mit Vermögensabschöpfungen in Millionenhöhe.

Warum Verfahren nicht einfach an Spruchkörper weitergegeben werden können

Aber warum werden „Dornröschenschlaf“-Verfahren stark belasteter Kammern nicht einfach an Spruchkörper weitergegeben, die Kapazitäten frei haben? Klar würde er gern Personalressourcen situationsbedingt nutzen, sagt Maurer: „Aber mein Planungsinstrument heißt Jahresgeschäftsverteilung -und die ist in etwa so flexibel wie ein Baustahlträger.“ Das Prinzip des „Gesetzlichen Richters“, ein im Grundgesetz verankerter Eckpfeiler der Rechtsprechung, regle die Geschäftsverteilung - was bedeutet: Im Voraus festgelegte und im Nachhinein überprüfbare Verteilungskriterien sollen verhindern, dass Fälle manipulativ einzelnen Spruchkörpern zugeordnet werden.

Dies bringt freilich auch mit sich: Eine mit vorrangigen Haftsachen oder komplexen Mammutverfahren austerminierte Kammer kann eine ihr obendrein zugeteilte Anklage oder Berufung nicht einfach an einen Spruchkörper weitergeben, der gerade „Luft hat“ - weil beispielsweise ein Prozess aufgrund eines Geständnisses schneller über die Bühne ging.

Viele Haftsachen

  • 2023 sind in A 1 bei den Großen Strafkammern (ohne Wirtschaftsstrafkammern) 87 Klagen eingegangen, davon 86 Haftsachen. Erledigt wurden 99 Verfahren mit 375 Hauptverhandlungstagen.
  • Bis Mitte Juli haben die Großen Strafkammern 66 Anklagen erreicht, davon 48 Haftsachen

Eine Abweichung vom gesetzlich (bestimmten) Richter, so Maurer, „ist absoluter Revisionsgrund“. Er schildert den Auftakt eines großen Wirtschaftsstrafprozesses, bei dem die Verteidigung einen „falschen“ Schöffen rügte. Ihr Vorwurf: Der Urlaub des ursprünglich vorgesehenen Ehrenamtlichen hätte nicht als Verhinderungsgrund anerkannt werden dürfen. Dass Anwälte den Geschäftsverteilungsplan mit Blick auf ein Revisionsverfahren nach eventuellen Unkorrektheiten durchforsten, so Maurer, sei „Teil der strafprozessualen Normalität“.

Ein zeitnaher Prozessbeginn bedeutet auch Opferschutz

Unter bestimmten Voraussetzungen und für befristete Zeit, erläutert er, könnten Hilfsstrafkammern eingerichtet werden, um das Abarbeiten aufgelaufener Verfahren zu ermöglichen. Eine solche installierte das Landgericht, um die Terminierung des Prozesses nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz nicht zu gefährden.

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Ohnehin musste die zuständige Schwurgerichtskammer zunächst bereits anhängige Haftsachen verhandeln. Die Hilfsstrafkammer hätte zusätzlich eingehende Fälle mit Beschleunigungsgebot übernehmen können - was aber nicht nötig wurde. Landgerichtspräsident Maurer: „Manchmal gebietet Opferschutz, alles daran zu setzen, damit ein Verfahren einigermaßen zeitnah eröffnet wird.“ Der Marktplatz-Prozess hat 20 Monate nach dem Tod von Ante P. am 2. Mai 2022 und ein Jahr nach Anklageerhebung begonnen.

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