Kommentar Beschuldigte haben ein Recht auf ein zeitnahes Urteil - und das ist gut so

Oft dauert es mittlerweile lange, bis am Mannheimer Landgericht Strafverfahren beginnen. Waltraud Kirsch-Mayer kommentiert die Gründe dafür und erklärt, wieso jeder Beschuldigte das Recht auf ein zeitnahes Urteil hat

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Waltraud Kirsch-Mayer
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Sie sind eng miteinander verwoben, bilden aber gleichwohl ein Spannungsfeld. Strafjustiz und Zeit. Dass sich im Laufe der Geschichte unsere Ansichten zu Schuld und Sühne ziemlich gewandelt haben, ist Teil dieses Phänomens. Dazu kommt: Zeit macht zwar keine Straftaten ungeschehen, sie kann aber deren Ahndung mit dem Instrument der Verjährung aushebeln. Sofern es nicht um Mord geht. Hingegen vermögen wenige Sekunden einer falschen (Impuls-)Entscheidung – etwa bei einem eskalierenden Streit nach einer zufällig in der Nähe stehenden Bronzefigur zu greifen und damit zuzuschlagen – für Jahre hinter Gitter bringen.

Die Zeit hat viele Facetten, die auch in der Strafjustiz umtreiben. Dazu gehört, dass Zeitpunkt und Zeitdauer nicht selten ein (problematisches) Zeitfenster öffnen. Zu schaffen macht in der Rechtsprechung, dass Verfahren zunehmen, bei denen zwischen Anklageerhebung und Prozessbeginn längst nicht mehr als exotische Ausnahme fünf Jahre und länger liegen.

Justiz

Warum dauern Verfahren auch in den Mannheimer Gerichten so lange?

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Weil beispielsweise eine Strafkammer mit Haftsachen, die es beschleunigt zu verhandeln gilt, komplett ausgelastet ist, und deshalb ihre anderen Fälle im Stapel bleiben. Weil komplexe Mammutverfahren inzwischen 60, ja 70 und 80 Verhandlungstage dauern. Weil der jährliche Geschäftsverteilungsplan zwischen Strafkammern, die austerminiert sind, und solchen, die noch Luft haben, kein flexibles Umschichten zulässt – schließlich soll als Lehre aus der Geschichte die festgezurrte Zuständigkeit eines Spruchkörpers jegliche Form der Manipulation mittels Hin- und Herschieben verhindern.

Was es bei überlangen Strafverfahren auch immer für nachvollziehbare Gründe geben mag: Bis heute gilt die Erkenntnis des italienischen Rechtsphilosophen Cesare Beccaria von 1766: Für Betroffene bedeuten sie „unnütze und schreckliche Qualen der Ungewissheit“. Der Bundesgerichtshof bevorzugt zwar eine andere Wortwahl wie der berühmte Aufklärer, ist sich aber mit Beccaria einig: Das Recht auf ein faires Verfahren schließt zeitnahes Ausleuchten zur Last gelegter Vorwürfe ein – samt Urteil versteht sich. Und das kann ja auch ein Freispruch sein. Bekanntlich gilt zunächst mal die Unschuldsvermutung.

„Alles zu seiner Zeit!“ Diese im Alltag bewährte Maxime sollte auch bei der Rechtsprechung Richtschnur sein. Man muss nicht Jura studiert haben, um zu dem Schluss zu kommen: Wenn sich ein Strafverfahren dreimal so lange hinzieht, wie das spätere Urteil Zeit im Gefängnis verhängt, kann das nicht richtig sein. Auch wenn es rechtens sein sollte.

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